15 Punkte des Infrastrukturprogramms, über die wenig berichtet wurde
von Tobias Pflüger
An das Infrastrukturpaket knüpfen sich viele Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse. Aber viele dieser Ausgaben für Infrastruktur sind eng mit den Rüstungsmilliarden verknüpft: Wenn Soldaten für den Krieg im Osten durch Deutschland ziehen sollen, da dürfen Brücken nicht zusammenbrechen. Auch das Deutsche Rote Kreuz und die Feuerwehr sollen mitmachen. Stupid: „Die Infrastruktur ist Teil unserer Sicherheitsarchitektur“.
Tobias Pflüger listet in einem Beitrag für die Informationsstelle Militarisierung 15 Punkte dazu auf (hier in Auszügen).
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Das Infrastrukturprogramm und die nach oben offenen Rüstungsmilliarden (»whatever it takes«, Friedrich Merz) sind zwei Seiten einer Medaille, sie gehören zusammen, eines dieser Pakete allein würde im Sinne der Erfinder keinen Sinn machen. Insbesondere aus der Riege der Ministerpräsidenten der Länder war zu vernehmen, dass es keine Trennung der beiden Pakete geben soll. Das entspricht auch der inneren Logik, da das Infrastrukturfinanzpaket kein ziviles Finanzpaket ist.
2
Militärische Kriterien werden bei der Vergabe der Gelder aus dem Finanzpaket eine wesentliche Rolle spielen. Der ehemalige FDP-Verkehrsminister hat es in einer Sendung mit Sandra Maischberger in der ARD gesagt: »Hinzukommt, dass die Infrastruktur Teil unserer Sicherheitsarchitektur ist. Viele übersehen, dass die zivilen Infrastrukturen auch für militärische Mobilität erforderlich sind. Und Deutschland ist ein wichtiges Transitland für die NATO… Infrastrukturinvestitionen sind wichtig für unsere Sicherheit.«
3
Das Infrastrukturprogramm hat mit dem schon etwas länger beschlossenen »Operationsplan Deutschland« (OPLAN DEU) zu tun, einem geheimen Dokument, das die zivil-militärische Zusammenarbeit und insbesondere das Funktionieren der Logistik und der Transportmöglichkeiten für die Bundeswehr und andere NATO-Armeen regelt und gerade Stück für Stück implementiert wird.
Es geht darum, dass ein Aufmarsch nach Osten über die Infrastruktur in Deutschland erfolgen soll. In der EU gibt es dazu Programme namens »Military Mobility«. In den Operationsplan Deutschland sind zivile Organisationen wie das Deutsche Rote Kreuz (DRK) und Feuerwehren eng eingebunden und ein Teil davon. Der Operationsplan Deutschland soll auch in den Kommunen umgesetzt werden. Für die umfangreichen Infrastrukturmaßnahmen des Finanzpakets spielen also militärische Kriterien eine zentrale Rolle. Das allein ist ein Grund, das Infrastrukturfinanzpaket als solches abzulehnen.
Wie die Umsetzung konkret aussehen könnte, formuliert ein Interessenverband der Logistiker:
»Infrastruktur und Verteidigung müssen in weiten Teilen im Zusammenhang gestaltet werden: Die verteidigungswichtige Infrastruktur ist ein wesentlicher Bestandteil der gesamtstaatlichen Verantwortung … Straßen und Brücken, aber auch die Schieneninfrastruktur könnten, anstatt im Einzelplan 12 (Digitales und Verkehr) des Bundeshaushalts im Einzelplan 14 (Verteidigung) verankert werden. Für letzteren gilt dann ggf. die nach oben offene Änderung der Schuldenbremse. Wie für Ersatzbrücken wäre es möglich, Genehmigungsvorgaben im Wege der einfachgesetzlichen Regelung zu straffen. So könnte aus sicherheitspolitischer Sicht ein überwiegend öffentliches Interesse festgestellt und dieses als vorrangiger Abwägungsbelang gerichtsfest geregelt werden.« (Bundesverband für Eigenlogistik und Verlader, 20.3.2025.)
4
Hätte das Billioneninfrastruktur- und -rüstungspaket parlamentarisch verhindert werden können? Ja, im Bundesrat hatten die Landesregierungen, die das Doppelpaket befürworteten, keine ausreichende Mehrheit. Doch zuerst fielen die Freien Wähler (FW), Regierungspartner in Bayern um, Hubert Aiwanger teilte mit, er wäre ansonsten entlassen worden, weil die SPD bereit stand, die Freien Wähler zu ersetzen. Damit war eine Mehrheit für das Doppelpaket gegeben. Dass dann auch noch die Regierungsvertreter:innen der Linken in den Koalitionen in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern – entgegen den Beschlüssen der Partei – zustimmten, ist nur noch peinlich.
6
Von den Infrastrukturmilliarden fließen, den Grünen sei Dank, umfangreich Gelder in Waffenlieferungen, insbesondere in die Ukraine. Das wurde sofort nach der Abstimmung im Bundestag vom Haushaltsausschuss beschlossen.
»Für das laufende Jahr stehen demnach drei Milliarden Euro zusätzlich zu den bisher eingeplanten vier Milliarden Euro zur Verfügung« (Tagesspiegel, 19.3.2025); »für die Jahre 2026 bis 2029 wurden zudem weitere Mittel in Höhe von 8,25 Milliarden Euro bewilligt. Damit können jetzt Verträge für Lieferungen geschlossen werden« (tagesschau.de, 21.3.2025).
»Nach Angaben der Bundesregierung sollen von den freigegebenen Mitteln unter anderem Lenkflugkörper, Überwachungsradare, Aufklärungsdrohnen, geschützte Gefechtsfahrzeuge, Handwaffen und ›diverses Zusatzgerät‹ gekauft werden. Die ersten Lieferungen sollen bald starten. Auch Flugabwehrsysteme der Typen Iris-T und Patriot sollen bestellt werden. Diese müssen aber erst noch produziert werden, bis zur Auslieferung könnten zwei Jahre vergehen.« (br.de, 21.3.2025.)
7
Bei allen angeschafften Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern ist der Rüstungsexport ein wesentlicher Bestandteil von Planung und Durchführung der Beschaffung von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern. Das bedeutet, dass die Rüstungsexporte, die demnächst durch die Beschaffungen aus den Mitteln des Sondervermögens sowieso schon in die Höhe schnellen werden, noch einmal erheblich gesteigert werden.
Die jetzigen Hunderte von Rüstungsmilliarden sind also ein Durchlauferhitzer für viele weitere Rüstungsexporte in den nächsten Jahren in alle Welt. Und dass Rüstungsexporte aus oder Rüstungskooperationen mit Deutschland auch völkerrechtswidrig in Kriegen eingesetzt werden, sieht man aktuell in der Türkei oder in Israel.
8
Die jetzigen Rüstungsmilliarden sollen schwerpunktmäßig für Rüstung aus der EU und befreundeten Staaten liegen. Beim Sondervermögen I lag insbesondere zu Beginn der Schwerpunkt der Beschaffungen auf Großwaffen von der Stange wie dem F-35. Nicht selten waren das Waffen aus den USA. Hier findet also ein rüstungsindustrieinterner Switch statt.
Doch – das wird häufig übersehen – die Rüstungsindustrie der westlichen Staaten und ihrer geopolitischen Freunde ist meist so aufgebaut, dass an einzelnen Rüstungsprojekten verschiedenste Firmen beteiligt sind, häufig kommen sie aus verschiedenen Ländern.
Rüstungsindustriekooperationen, an denen deutsche und US-amerikanische Firmen beteiligt sind, sind sehr häufig. Um beim F-35 zu bleiben: Rheinmetall, der lauteste Rüstungskonzern mit Sitz in Düsseldorf, baut Rumpfmittelteile für den Kampfflieger. 2023 hieß es:
»Der Düsseldorfer Technologiekonzern [beabsichtigt], am Standort Weeze im Kreis Kleve (NRW) eine hochmoderne Fabrik zur Produktion der Rumpfmittelteile des derzeit leistungsfähigsten Kampfflugzeugs der Welt, F-35A Lightning II, zu errichten« (Rheinmetall, Pressemitteilung, 4.7.2023).
Laut tagesschau.de vom 15.9.2023 hat die Lufthansa »angekündigt, sich an einem Konsortium mit dem Rheinmetall-Konzern zur Fertigung und Wartung von Teilen des Lockheed-Kampfjets F-35 zu beteiligen«. Die Lufthansa wolle auch »bei dem großen Hubschrauberauftrag, den die Bundeswehr mit Boeing verhandelt, für den schweren Transporthubschrauber mit an Bord sein«, verkündete der Vorstandsvorsitzende Carsten Spohr.
Folgerichtig warnte ausgerechnet der Rheinmetall-Vorstandschef Armin Papperger laut Presse davor, »die transatlantische Partnerschaft nicht (zu) riskieren«, er plädierte für »Gespräche mit Trump«. Und: »Die USA sei im Verteidigungsbereich zurzeit nicht zu ersetzen.« »Es gebe gültige Verträge.« »Die transatlantische Kooperation auch in der Rüstung dürfe man nicht riskieren« (Deutschlandfunk, 13.3.2025). »Europeans-only- Waffen« werden also nicht so einfach.
Nichtsdestotrotz lässt sich eine Entwicklung beobachten, dass es insbesondere bei neuen Rüstungsprojekten »rein europäische« Vorhaben geben soll. Ein wesentliches Beispiel ist das »Future Combat Air System« (FCAS), das bisher eine französisch-deutsch-spanische Kooperation ist, entsprechend holprig ist der bisherige Verlauf dieses »europäischen« Rüstungsprojekts.
9
Die Freigabe der Gelder für die Rüstung ist das eine, Beschaffungsentscheidungen und vor allem ihre Umsetzung, insbesondere bei Großwaffen, das andere, sie dauern meist ziemlich lange. Letztere haben eine Vorlaufzeit von 5 bis 12 Jahren (manchmal noch länger).
Wann die nun freigegebenen Hunderte Milliarden Euro tatsächlich in Form von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern bei der Bundeswehr stehen, ist eine völlig andere Geschichte. Wichtig ist: Ob die geopolitische Situation dann noch so ist wie heute, ist völlig offen. Dennoch wird die Aufrüstung als Reaktion auf die jetzige geopolitische Situation dargestellt.
10
Von einer Reihe von Firmen und aus einer Reihe von Bundesländern ist zu vernehmen, dass Betriebe, die bisher anderes hergestellt haben, nun auf Rüstungsproduktion umgestellt werdem sollen. In Brandenburg wirbt Minister Keller (SPD) für Rüstungsbetriebe (Tagesspiegel, 13.3.2025): »Wenn sich Unternehmen hier ansiedeln, die in der Rüstung tätig sind, wird es mit dieser Landesregierung keine Probleme geben.« (Wohlgemerkt, in Brandenburg regiert das BSW mit.)
In Bayern beruft der Ministerpräsident einen Rüstungsgipfel ein, um sich mit der umfangreichen bayerischen Rüstungsindustrie auszutauschen. »Die Staatsregierung werde in den kommenden Wochen einen ›bayerischen Rüstungsgipfel‹ veranstalten«, sagte Markus Söder laut Süddeutscher Zeitung am 21.3.2025. »Etwa ein Drittel aller deutschen Rüstungsbetriebe seien im Freistaat angesiedelt. Schon jetzt sei Bayern in Europa führend bei Defence Tech. ›Dieses Engagement werden wir jetzt noch stärker ausbauen.‹«
In Baden-Württemberg erklärt Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), das Land wolle und solle seinen neuen Wirtschaftsschwerpunkt auf Rüstung umstellen:
»Wir müssen auch in der Verteidigung Hochtechnologie herstellen. Wir haben ja schon Schlüsselakteure bei uns im Land, die so etwas können. Etwa die am Bodensee ansässige Firma Diehl Defence, die weltweit führend bei bestimmten Systemen zur Luftverteidigung ist … Technologieführerschaft muss aber unser Anspruch in der gesamten Verteidigungswirtschaft sein. Das wird ein neuer industrieller Schwerpunkt für Baden-Württemberg werden, da bin ich mir sicher … Wir können den Unternehmen beispielsweise helfen, sich zu vernetzen. Nicht nur in Baden-Württemberg, sondern darüber hinaus, also national und international. Das Ziel muss der schrittweise Aufbau einer europäischen Rüstungsindustrie werden.«
»Der Prozess umfasst übrigens auch zivile Bereiche der Wirtschaft. Auch hier müssen die Firmen ertüchtigt werden, mehr in den Verteidigungssektor hineinzuliefern. Früher nannte man das Dual Use und man hat ungern darüber geredet. Heute ist so etwas aber nötig und wichtig.«
»Frage: Sie sehen Rüstung also als Chance für die Wirtschaft und die Jobs in unserem Bundesland?«
»Ja, das ist eine Chance. Die deutschen Rüstungsausgaben werden in den kommenden Jahren stark ansteigen. Im Raum steht das Ziel von 3 Prozent Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt. Oder sogar noch mehr. Daher ist klar, dass der Bereich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor wird. Wir müssen mit unserer potenten Hochtechnologie dabei sein.« (Südkurier, 4.3.2025.)
Das ist eine klare Ansage, Waffen statt Autos. Schon heute sind zumindest im Raum Stuttgart, Ulm und Bodensee hohe Konzentrationen von Rüstungsfirmen vorhanden.
11
Offen wird geplant, die Wirtschaft in der EU in Richtung »Kriegswirtschaft« umzubauen (t-online, 16.3.2025). Dazu kursieren bereits Entwürfe für sog. Instrumente wie EDIP und andere. Es gibt Beschlüsse des EU-Gipfels, vorbereitet von der EU-Kommission, »für Aufrüstungsprojekte unter anderem EU-Kredite in Höhe von 150 Milliarden Euro [zu] vergeben« und »Verteidigungsausgaben von den strengen EU-Schuldenregeln auszunehmen«. Insgesamt sollen in den kommenden vier Jahren 800 Milliarden Euro für Rüstung mobilisiert werden.
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Es wird eine Umstrukturierung von Krankenhäusern auf »Kriegstüchtigkeit« geben. Neben ganz konkreten Planungen z.B. in Köln für Kliniken im Krieg, fordern Landesgesundheitsministerinnen Kriegstüchtigkeit für alle Krankenhäuser:
»Wir brauchen deshalb einen umfassenden ›Zivilen Operationsplan Deutschland‹. Denn eine intakte Gesundheitsversorgung ist für die Verteidigung eines Landes ebenso wichtig wie die Bundeswehr«, so die CSU-Gesundheitsministerin Judith Gerlach (Der Spiegel, 17.3.2025). Der Generalstabsarzt Johannes Backus meint: »Die Verteidigungsfähigkeit beginnt auch im Krankenhaus …Deutschland wird in einem solchen Szenario eine logistische Drehscheibe für Truppen und Verwundetentransporte sein« (FAZ, 18.3.2025).
Die SPD-Gesundheitsministerin in Thüringen, Katharina Schenk, äußert sich ähnlich. Es ist also mit einer umfassenden Militarisierung des Gesundheitswesens zu rechnen.
13
Eine politische Kontrolle der vielen nun folgenden Rüstungsprojekte ist dringend vonnöten. Als ehemaliger Parlamentarier im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags und im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments weiß ich, dass bei diesen Größenordnungen die parlamentarische Kontrolle immer schwieriger wird, da dies auch bedeutet, sich mit den einzelnen Rüstungsprojekten im Detail zu beschäftigen, aufzudecken, wo Fehlplanungen und offensichtliche Verschwendung sind.
Politische Kontrolle bedeutet auch, dass journalistisch über all diese Rüstungsprojekte und ihre internen Probleme berichtet wird. Inwiefern wird das bei der derzeitigen Mediensituation im Bereich Bundeswehr, Krieg und Frieden erfolgen? Um so mehr ist eine Kontrolle »von außen« notwendig.
14
Am Rande des NATO-Gipfels im Juli 2024 haben Olaf Scholz und Joe Biden mit einer Protokollerklärung eine Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland – vermutlich in Grafenwöhr – vereinbart. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass diese Entscheidung rückgängig gemacht würde. Es ist also weiterhin mit ihrer Stationierung zu rechnen. Häufig nicht erwähnt wird, dass diese US-Mittelstreckenwaffen mittelfristig durch »eigene« »europäische« Mittelstreckenraketen ersetzt werden sollen.
15
Wer glaubt, Politik machen zu können, ohne etwas mit diesen Rüstungs-, Militär- und Geopolitikfragen zu tun haben zu müssen, hat sich spätestens nach dem Beschluss über die de facto 1 Billion Euro für Infrastruktur und Rüstung geschnitten. Die Dimension der beiden Pakete ist so enorm und so umfangreich, dass bei jeder anderen politischen Frage, die etwas mit Finanzierung und politischen Prioritäten zu tun hat, dieses Billionenpaket im Raum steht. Es ist eine Entscheidung, die aufgrund der großen Dimension mehrere Generationen betreffen wird. Und es ist eine Entscheidung, bei der man nur dafür oder dagegen sein kann.
Alle, die das lesen, sind aufgerufen, Protest und Widerstand zu zeigen und zu organisieren. »Antimilitarismus ist eine Tugend«, gerade in diesen Zeiten.
www.imi-online.de/2025/03/24/mit-einer-billion-euro-in-den-krieg-whatever-it-takes/
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