Anfang Januar haben Tarifverhandlungen für elf Millionen Beschäftigte im Dienstleistungssektor begonnen
von Violetta Bock
Für über elf Millionen Beschäftigte geht es in diesem Jahr darum, ob sie in Zeiten der Inflation spürbare Verbesserungen in Tarifkämpfen durchsetzen können, vom Handel bis zur Zeitarbeit. Die Voraussetzungen sind ganz unterschiedlich, gemeinsam ist vielen, dass der Organisationsgrad nicht hoch und die Arbeitgeber stur sind.
Die Post geht ab
Den Anfang machten die Beschäftigten der Post AG. Mehr als 15000 traten Mitte Januar in der Brief-, Paket- und Verbundzustellung in den Streik. Die Kolleg:innen fordern 15 Prozent mehr bei einjähriger Laufzeit. Die Post AG, die weiterhin Gewinn über Gewinn einstreicht, hat auch nach der ersten Verhandlungsrunde kein Angebot vorgelegt, um Reallohnverluste auszugleichen.
Bei der DP AG sind fast 90 Prozent der Tarifbeschäftigten in den Entgeltgruppen 1 bis 3 eingruppiert. Das Monatsgrundentgelt in diesen Gruppen beträgt zwischen 2108 und 3090 Euro brutto. Bei der letzten Tarifrunde gab es lediglich zwei Prozent mehr.
Die Tarifverhandlungen werden am 8./9.Februar 2023 fortgesetzt. Unterstützung ist gefragt. Vielen sitzt das Ergebnis von 2015 noch in den Knochen. Beim Besuch im Streiklokal merkt man das deutlich. Die ersten beiden Streiktage scheinen an den meisten Orten noch kurz gehalten, Fotos werden gemacht um zu zeigen, dass die Kolleg:innen diesmal bereit sind, für ihre Forderungen zu kämpfen.
Solidarität kommt in jedem Fall gut an. Die LINKE hat inzwischen Aufkleber für Briefkästen aufgelegt, die man bestellen kann.
Der öffentliche Dienst in den Startlöchern
Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst für Bund und Kommunen steht in den Startlöchern. Verhandelt wird aber auch für die kommunalen Versorgungsunternehmen, die unter den Tarifvertrag Versorgungsbetriebe (TV-V) fallen, sowie für die kommunalen Nahverkehrsunternehmen mit den jeweiligen landesweiten Tarifverträgen Nahverkehr (TV-N).
Am 24.Januar ist die erste Verhandlungsrunde für die 2,5 Millionen Beschäftigten. Der Organisationsgrad bei solch einer großen Fläche ist nicht hoch. Und es gibt deutlich Hochburgen, die die letzten Monate genutzt haben, um Mehrheiten für den Streik zu organisieren.
Es geht um den Nahverkehr, es geht um Erzieher:innen, es geht um Stadtverwaltungen und Krankenhäuser. Kurz: Es geht um die öffentliche Daseinsvorsorge, die gerade in Krisenzeiten ihre Bedeutung gezeigt hat. Gefordert werden 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro monatlich mehr, für Azubis 200 Euro monatlich mehr. Die Arbeitgeber klagen auch hier, sie hätten kein Geld.
Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) schrieb schon im November in einer Pressemitteilung: »Die Forderungen sind auch aus Sicht der Mitgliederversammlung inakzeptabel. Ein Mindestbetrag wird abgelehnt.«
Aber klatschen war gestern. Auf der Kampagnenseite »Zusammen geht mehr« macht Ver.di sichtbar, wieviele bisher in sogenannten Stärketests bereit sind, für die Forderungen zu kämpfen. Bislang wurden dafür bundesweit um die 330000 Unterschriften in den Betrieben gesammelt.
Online ist transparent, welche Betriebe dabei sind: etwa fast 5000 in der Landeshauptstadt Hannover; über 3000 Unterzeichneten bei den Berliner Stadtreinigungsbetrieben; die Frankfurter Stadtverwaltung, mit je über 2000 Unterzeichneten das Klinikum Stuttgart und die Essener Stadtverwaltung…
An manchen Orten ist die Unterstützung nach Region eingezeichnet, in manchen ausdifferenziert nach Bereichen und es wird einzeln aufgeführt, wieviele bei Kliniken, Kitas, der Bundesagentur für Arbeit oder der Ruhrbahn unterschrieben haben.
Deutlich wird: von nichts kommt nichts. Hier wird nicht gepokert, sondern über das Ergebnis entscheidet das Kräfteverhältnis. Schon bald kann daher auch mit Aktionen gerechnet werden. Da der öffentliche Dienst direkt die Öffentlichkeit angeht und die Möglichkeiten, durch Streiks ökonomischen Druck aufzubauen, geringer sind, sollten sich viele hinter die Forderungen stellen.
Überall wird über Personalmangel geklagt, aber die Arbeitsbedingungen und Löhne haben sich längst nicht so entwickelt, dass Abhilfe geschaffen wurde. Die VKA stellt wie gewohnt die Interessen gegeneinander: »Wir brauchen genügend Mittel, um den Herausforderungen durch die Klimakrise gerecht zu werden und eine nachhaltige Mobilitätswende zu erreichen. Das sind auch Investitionen in nachfolgende Generationen.« Dabei ist genau dafür eine Gehaltsverbesserung für die ÖPNV-Beschäftigten und die in den kommunalen Energiebetrieben wichtig.
So wird die Bündnisarbeit mit Fridays for Future in die nächste Runde gehen. Der nächste globale Klimastreik am 3.März bietet sich an, die Forderungen aus den Nahverkehrsbetrieben einzubringen; der internationale Frauenkampftag am 8.März für die Forderungen aus dem Sozial- und Erziehungsdienst und den Kliniken.
In einzelnen Städten haben sich bereits Solidaritätskreise gegründet. In Berlin kamen zu einem Ratschlag über hundert Unterstützende.
Studentisch Beschäftigte
In den letzten Jahren haben sich zunehmend Studierende organisiert, die als Hilfskräfte prekär arbeiten, um tarifvertragliche Absicherung durchzusetzen. In Hamburg kämpfen sie seit drei Jahren; im Januar stand schließlich ein Antrag in der Hamburger Bürgerschaft zur Abstimmung, in dem bundesweit eine Tarifierung für die rund 300000 Beschäftigten gefordert wird.
Hamburg will für die 4000 studentisch Beschäftigten hier Mindestvertragslaufzeiten von einem Jahr einführen. Bislang laufen die Verträge überwiegend nur sechs Monate. Damit ist Hamburg nach Berlin das zweite Bundesland, das eine Mindestzeit einführt.
TVStud Hamburg fordert darüber hinaus studentische Personalräte und die bundesweite Tarifierung ab 1.Oktober. Um in noch mehr Orten Fuß zu fassen, laden die TVStud Initiativen vom 24. bis 26.Februar zu einer Konferenz.
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