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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 01/2023

Statt schlechter Qualität in Zukunft noch weniger Qualität
von Violetta Bock

15 Prozent mehr Lohn – das ist mal eine angemessene Ansage angesichts einer Inflation von gut 10 Prozent. Ab Januar 2023 verhandelt Ver.di bei der Deutschen Post AG über die Erhöhung der Tarifentgelte der Beschäftigten, Auszubildenden und dual Studierenden.

Die zuverlässige Zustellung von Briefen, Behördenschreiben und Paketen gehört zur Grundversorgung einer funktionierenden Gesellschaft. Doch die Deutsche Post AG war in den letzten Wochen mehrfach mit Skandalen in den Medien. Teils wochenlang, gar bis zu sechs Wochen wurde in Berlin oder in Gemeinden in Baden-Württemberg und Bayern keine Post zugestellt. Über 37000 Beschwerden über mangelhafte Zustellungen gingen allein 2022 bei der Bundesnetzagentur ein. Als Begründung wurden Corona-Ausfälle und Personalmangel angegeben.
Doch das eine ist vorgeschoben und das letzte selbstverschuldet. Die miesen Arbeitsbedingungen bei der Post durch Befristungen, Überstunden, Arbeitsverdichtung und niedrige Löhne bei Neueinstellung dürften inzwischen allgemein bekannt sein. Brief- und Paketzustellerin ist ein Knochenjob. Die Antwort der Post auf die schlechte Qualität lautet: noch weniger Qualität. Statt an den Arbeitsbedingungen etwas zu ändern, um mehr Personal zu gewinnen und (gesund) zu halten, schlagen sie weniger Qualität vor.
Die Deutsche Post ist gesetzlich verpflichtet, mindestens 80 Prozent aller Briefe am nächsten Werktag zuzustellen, 95 Prozent am übernächsten. Der Konzern hatte vorgeschlagen, eine Zweiklassenpost einzurichten, bei der dies nur noch bei Aufpreis garantiert ist. Laut Berichten auf spiegel.de prüft die Regierung ebenfalls verschiedene Varianten, um das Postgesetz zu verändern, etwa indem bei längerer Zustelldauer das Porto verringert wird oder Briefe künftig an Packstationen geliefert werden. Dort müssten Empfänger:innen dann selbst ihre Post abholen und damit wäre der Briefbote an der Haustür, den alle in der Nachbarschaft kennen, endgültig Geschichte.
Wie genau die Änderungen aussehen sollen, ist noch unklar. Ein Vorschlag wurde jedoch für Anfang 2023 angekündigt. Beides wäre zum Nachteil von Beschäftigten und Kund:innen.
Ein Zusteller aus Hannover berichtet, die Arbeitsbedingungen seien derzeit so schlimm wie noch nie. Viele schämen sich gar, bei der Post zu arbeiten. Nicht nur die eisigen Temperaturen, auch ein hoher Krankenstand und der Personalmangel tragen derzeit zur schlechten Stimmung bei. Flexibilisierungsansätze, die Touren aufteilen sollten, funktionieren nicht; hinzu kommen die gigantischen Post- und Paketmengen.
Wenn die Post hier schlechte Qualität ausschließlich mit Personalmangel begründet, unterlässt sie zu sagen, dass sie selbst Anfang des Jahres massiv Personal abgebaut hat. Sie war wohl davon ausgegangen, dass Amazon mehr abdeckt, doch Amazon hat diese Kapazitäten gar nicht. Zudem ist die Annahme, dass die Paketmengen »nach« der Pandemie zurückgehen, nicht wie erwartet eingetroffen. Und schon vor der Pandemie fuhr die Post auf Verschleiß. Betriebsräte und Gewerkschaft hatten vor dieser Fehlkalkulation gewarnt, doch die Post baute 7000 Arbeitsplätze ab.

Streikbereit
Dies alles trägt dazu bei, dass die Kolleg:innen sauer und streikbereit sind. Der Lohn wird aufgefressen durch die Inflation. Kein Wunder also, dass bei der Mitgliederbefragung zu den Tarifforderungen viele 10 Prozent für eine zu geringe Forderung hielten. 43000 Ver.di-Mitglieder haben an der Befragung teilgenommen. Für 160000 Tarifbeschäftigte bei der Deutschen Post ist das eine deutliche Rückmeldung und hat sich auf die endgültig beschlossenen Forderungen ausgewirkt: 15 Prozent mehr Gehalt für alle Tarifbeschäftigten, 200 Euro mehr pro Monat für Auszubildende und Dualstudierende, Laufzeit von 12 Monaten. Ebenso lehnt Ver.di, zumindest den Verlautbarungen zufolge, eine Einmalzahlung klar ab.
Die Post hat wenig überraschend die Forderungen als realitätsfern abgelehnt. Der Konzern lässt sich mit den Worten zitieren: »Bei den anstehenden Tarifverhandlungen wird es wichtig sein, dass wir die Balance zwischen Lohnsteigerungen für unsere Beschäftigten und wirtschaftlicher Tragfähigkeit für das Unternehmen finden.« Demnach dürften 15 Prozent eigentlich kein Problem sein, hat die Deutsche Post DHL Groups doch 2021 einen Rekordgewinn von 8 Mrd. Euro erzielt und rechnet für 2022 mit 8,4 Mrd. Euro. Sie wissen gar nicht wohin mit dem Geld und gaben erst vor kurzem bekannt, den Kauf von DB Schenker zu erwägen und damit weltweit zum Marktführer in der Speditionsdivision zu werden.

2023 – ein Tarifmarathon
Dennoch ist ein Erfolg in der Tarifrunde kein Selbstläufer. Im Januar endet die Friedenspflicht, ein erster Verhandlungstag ist für den 6.Januar festgesetzt. Ein langer Aufbau von Strukturen mit Tarifberatern, wie Ver.di das nun öfter tut, wurde bisher nicht in Angriff genommen. Anfang des Jahres stehen mehrere Betriebsversammlungen an. Für viele neu Eingestellte könnten dies die ersten Streiks werden. Es wird also zentral darauf ankommen, wie es gelingen kann, Kolleg:innen für Ver.di und die anstehenden Warnstreiks zu gewinnen.
Als Gesamtorganisation scheint sich Ver.di allerdings auf die Tarifrunde öffentlicher Dienst zu konzentrieren, die etwas später anfängt. Die Versuchung könnte also groß sein, bei der Post ein schnelles Ergebnis zu erzielen. Mit 15 Prozent liegt die Forderung deutlich über der im öffentlichen Dienst und beträgt fast das doppelte wie bei der IG Metall. Ein Erzwingungsstreik ist eventuell notwendig. Dafür sollte diesmal auf eine Urabstimmung gedrängt werden, um nicht eine noch größere Enttäuschung als 2015 zu erleben.
In jedem Fall sollte Solidarität eine Selbstverständlichkeit sein, sei es am Briefkasten, beim Infostand, bei Aktionen oder online. Gerade beim Krisengewinnler Deutsche Post hätten 15 Prozent Signalwirkung auch für anderen Branchen, und Unterstützung lässt sich hier einfacher organisieren, weil jede:r auf den Erhalt von Briefen angewiesen ist. Vielleicht gelingt es an dem einen oder anderen Ort, Aktionen der verschiedenen Branchen und Betriebe zusammenzuführen.
Immerhin gibt es Tarifverhandlungen für 11 Millionen Beschäftigte im Jahr 2023. Zu den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen (2,8 Millionen Beschäftigte) kommen die Tarifverhandlungen für Leih-/Zeitarbeit (735000 Beschäftigte). Neben der Deutschen Bahn AG (119000 Beschäftigte) und dem Kfz-Gewerbe (410000 Beschäftigte) starten dann im Frühjahr 2023 die Tarifverhandlungen im Einzelhandel sowie im Groß- und Außenhandel, die die zweite große Tarifrunde des Jahres 2023 markieren. In der zweiten Jahreshälfte kommen dann im öffentlichen Dienst auch noch die Tarifverhandlungen für die Bundesländer hinzu. Außerdem werden in vielen kleineren Tarifbranchen die Verträge neu verhandelt (WSI-Tarifarchiv). Hier wird es überall zentral um einen Inflationsausgleich gehen.

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