Arbeitgeber suchen die Machtprobe
von Levent Hacioglu
Der öffentliche Dienst begleitet einen von morgens bis abends und von der Geburt bis zum Tod. Wenn wir morgens das Licht anschalten, duschen gehen, mit der Straßenbahn fahren, die Geburt eines Kindes erleben, heiraten, krank sind oder unsere Liebsten bestatten – immer nehmen wir den öffentlichen Dienst in Anspruch.
Etwa 2,3 Millionen Beschäftigte dieses öffentlichen Dienstes fordern derzeit eine Lohnerhöhung von 8 Prozent sowie höhere Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten. Außerdem wollen sei beim Thema Arbeitszeit Verbesserungen erzielen: Die Kolleg:innen fordern drei zusätzliche freie Tage, um die immer weiter steigende Arbeitsverdichtung etwas auszugleichen. Neu ist die Forderung nach einem »Meine-Zeit-Konto«, mit dem es mehr Kontrolle über die eigene geleistete Arbeitszeit geben soll. Die Forderungen sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern das Ergebnis einer breiten Befragung unter den Kolleg:innen.
In der letzten TVöD-Runde im Jahr 2023 beteiligten sich so viele Kolleg:innen wie noch nie. Grund dafür waren die zuvor gestiegenen Lebenshaltungskosten wegen Rekordinflation und Ukrainekrieg. Der Tarifkampf war die Chance, den massiven Reallohnverlust zumindest teilweise auszugleichen. An der Lage hat sich seitdem nicht viel geändert. Weiterhin dominieren wirtschaftliche Krisen, geopolitische Spannungen und massive soziale Unsicherheit unseren Alltag. Die aktuelle Tarifauseinandersetzung findet also wieder in einer politisch brisanten Zeit statt.
Das deutsche Wirtschaftsmodell ist in der Krise: der Dreiklang aus billiger Energie aus Russland, Absatzmärkten in China und militärisch- politischer Absicherung des globalen Markts durch die USA ist zerbrochen. Und die zentrale politische Frage ist jetzt: Wer soll für diese Krise zahlen und auf wessen Rücken wird sie ausgetragen? Für die deutsche Wirtschaft, die Arbeitgebervertreter und die Politik ist die Antwort klar, wie schon in Folge der Finanzkrise und der Coronakrise: auf dem Rücken der Kolleg:innen.
›Die Zeiten des Paradieses sind vorbei‹
»Die Zeiten des Paradieses sind vorbei«, das waren die Worte von Friedrich Merz. Unter seiner Kanzlerschaft droht jetzt eine »Agenda 2030«, die mit Blick auf die Profitrate an die Erfolge der Agenda 2010 anknüpfen soll – aber unter veränderten Rahmenbedingungen.
Die Pläne der Unionsparteien sehen vor, dass die Steuereinnahmen sinken, indem Unternehmen entlastet, der Solidaritätszuschlag gestrichen, die Energiekosten für Unternehmen gesenkt und die Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz angehoben wird. Gleichzeitig sollen die Kosten für die Rentenfinanzierung durch eine längere Lebensarbeitszeit – noch auf freiwilliger Basis – gesenkt und die Sanktionen gegen Bezieher:innen der Grundsicherung verschärft werden. Austeritäts- und Sparpolitik sind die Antworten der Kapitalkreise und ihrer politischen Vertreter, um die Profite der deutschen Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Das zeigt sich auch am bisherigen Verlauf der Tarifverhandlungen. Am 17. März ging die dritte Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst ohne Ergebnis auseinander. Die Arbeitgeber von Bund und Kommunen haben schon in den ersten beiden Verhandlungsrunden kein Angebot unterbreitet. Dafür aber klar gemacht, dass es in ihrer Welt diesmal eine Nullrunde und eine lange Laufzeit braucht, um Ruhe für die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte zu haben.
Das spiegelt sich auch im Angebot der Unternehmer wider: 2 Prozent Lohnerhöhung zum 1. Oktober 2025, 2 Prozent zum 1. Juli 2026 und 1,5 Prozent zum 1. Juli 2027; die nächsten Verhandlungen würden dann zu Beginn des Jahres 2028 stattfinden. Dieses Angebot bedeutet einen massiven Reallohnverlust. Gleichzeitig lehnen die Unternehmer alle Arbeitszeit- und Entlastungsthemen mit dem Argument ab, nach ihrer Auffassung werde in Deutschland eh schon zu wenig gearbeitet.
Merz’ Plan einer Agenda 2030 wirft seine Schatten voraus. Das deutsche Wirtschaftsmodell soll gesunden, indem eine innere Abwertung und eine Senkung der Reallöhne durchgesetzt, die Prekarität der abhängig Beschäftigten gesteigert und der Sozialstaat geschleift wird.
Die Arbeitgeber wollen die Machtprobe
Die Gewerkschaft Ver.di hat zwar in der dritten Verhandlungsrunde bis zuletzt um einen Abschluss gerungen und ist den öffentlichen Arbeitgebern weit entgegengekommen. Doch diese ließen die Verhandlungen scheitern und riefen die Schlichtung an. Spätestens jetzt ist klar, was sich auch vor der Bundestagswahl und in anderen Tarifrunden wie der IGM, der Post oder bei der Bahn abgezeichnet hat: Die Arbeitgeber und die Politik wollen die Machtprobe.
Das alles erinnert an die Tarifrunde im öffentlichen Dienst 1992. Auch damals wurde die Gewerkschaft durch die Arbeitgebervertreter unter der Regierung Kohl in den Erzwingungsstreik gedrängt, weil sie die Machtprobe suchten. Nicht die Gewerkschaft hat dort den Erzwingungsstreik forciert, sondern die öffentlichen Arbeitgeber, die das Schlichtungsergebnis ablehnten und die Gewerkschaft in einen unbefristeten Streik zwangen, um nicht eine empfindliche organisatorische Niederlage zu erleiden. Auch in dieser Tarifrunde könnte es zu einer solchen Situation kommen, wenn auch unter etwas veränderten Vorzeichen.
Der Vorsitzende der Schlichtungskommission ist diesmal ein alter Bekannter und den Arbeitgebern nahestehender Vertreter: Roland Koch. Deswegen können die Kolleg:innen mit hoher Wahrscheinlichkeit kein gutes Schlichtungsergebnis erwarten.
Aus diesem Grund bereiten sich die Kolleg:innen ernsthaft auf einen unbefristeten Streik vor. Denn wollen sie diese Machtprobe für sich entscheiden, brauchen sie eine reale Drohkulisse, um selbstbewusst in die Schlichtung zu gehen, um wenn notwendig ein schlechtes Schlichtungsergebnis abzulehnen.
Ob es soweit kommt, wird davon abhängen, wie stark die Kolleg:innen sich in den nächsten zwei Wochen aufstellen und davon, wie ernst es die öffentlichen Arbeitgeber mit einem gesellschaftlichen Großkonflikt meinen.
Sollte dieser Konflikt aber ausbrechen, dann braucht es nicht nur die Kolleg:innen im öffentlichen Dienst, dann sind wir alle gefragt, denn es geht um die Zukunft unserer öffentlichen Daseinsvorsorge, von der am Ende immer die ärmsten Teile der Bevölkerung am meisten profitieren. Stadtversammlungen zur Unterstützung der Kolleg:innen werden bereits in vielen Städten geplant. Auch die Linke muss hier eine entscheidende Rolle spielen und als politischer Akteur Wege der Hoffnung aufzeigen. Es geht um gesellschaftliche Macht und Umverteilung, das muss ausgesprochen und den Kolleg:innen damit der Rücken gestärkt werden.
Der Autor ist Mitglied von Ver.di und arbeitet im öffentlichen Dienst.
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