Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Polnische Presseschau 31. August 2025

zusammengestellt von Norbert Kollenda

Mit dem neuen Präsidenten stehen erste Kämpfe zwischen Staatsoberhaupt und Regierung bevor. Zugleich wird positiv auf die Bindungen der PiS an die Bischöfe verwiesen, verbunden mit Erinnerungen an deren versöhnliche Haltung gegenüber den Deutschen 1965. Heute wiederum richten sich Bischöfe gegen die Einführung eines neuen Unterrichtsfachs. (Norbert Kollenda)

Präsident Nawrocki: Selbstgefälligkeit und Konfrontationskurs

Przeglad, 11. August 2025

Kommentar von Chefredakteur Jerzy Domanski:

Von Karol Nawrocki erwarte ich nichts Gutes – und leider wird sich diese Prognose schnell bestätigen. Schon seine Amtseinführung fand statt, ohne dass die einfachste Frage nach den Wahlen beantwortet wurde: Wie viele Stimmen hat er tatsächlich erhalten?

Diese Frage wird ihn noch oft verfolgen, ebenso wie die vielen dunklen Flecken in seiner Biografie. Nach Ansicht von über zehn Millionen Wähler:innen disqualifizieren sie ihn als Staatsoberhaupt. Noch fehlen ihm die Mittel, um diese Menschen einzuschüchtern – auch wenn er den Wunsch hegt, Polen mit harter Hand zu regieren.

Seine Antrittsrede war geprägt von Ambition und Selbstgefälligkeit: Ich, ich und nochmals ich. Was will er nicht alles tun, lösen, schaffen, bauen? Größenwahn an der Grenze zwischen Kabarett und Umkleiderede. Ein paar hundert Worte machen ihn weder zu einem großen Redner noch die endlose Deklination des Wortes „Polen“ zu einem Patrioten.

Nawrocki hat geschrien – bei Kundgebungen, im Sejm. Doch Schreien ist ein Zeichen von Schwäche, nicht von Stärke. Große Führer sprachen leise und wurden gehört, weil sie eine Strategie hatten.

Nawrocki hingegen verkündete im Sejm, er sei die Stimme des Volkes. Doch dieses Volk scheint rasch auf die Hälfte geschrumpft zu sein. Er ist der erste Präsident, der nur für seine eigene Wählerschaft spricht.

Seine Kampagne, eine Idee von Parteichef Kaczynski, stellte ihn als „Bürgerkandidaten“ dar – eine weitere Lüge. Von Bürgern sprach er nicht, und auch Kaczynski erwähnte er nicht […]. So ist es wohl Kaczynskis Schicksal: Präsidenten zu schaffen, mit denen er später kämpfen muss.

Nawrocki erklärte, Polen müsse auf den Weg der Rechtsstaatlichkeit zurückkehren. Auch ich hoffe darauf – und erwarte, dass die Vorwürfe gegen ihn aufgeklärt werden. Ebenso, dass die zahlreichen Skandalfiguren und Diebe der PiS endlich hinter Gitter kommen.

Robert Walenciak in derselben Ausgabe:

Alles ist klar: Karol Nawrocki ist vereidigt, Präsident der Republik Polen, und hat eine Rede gehalten, die sein Programm skizzierte. Kommentatoren waren sich einig: sie klang wie ein Plan zum Kampf gegen die Regierung von Donald Tusk.

Anhänger der Regierungskoalition erklärten es offen – und sie zittern bereits. Dass wir nun einen neuen Machtkampf an der Spitze haben, dass Nawrockis Ziel die Schwächung der Regierung ist, weiß jetzt jede:r. Die offene Frage bleibt, wie er diesen Plan umsetzen will – und mit welchem Ergebnis.

Polens diplomatische Blamage in Washington

Stanislaw Obirek in studioopinii.pl, 20. August 2025

Die Abwesenheit eines polnischen Vertreters bei den Gesprächen mit Donald Trump am 18. August 2025 im Weißen Haus über die Zukunft der Ukraine ist ein diplomatischer Fehlschlag – sowohl für die Kanzlei von Präsident Karol Nawrocki als auch für die Regierung von Premierminister Donald Tusk.

Nawrocki scheute offenbar die Konfrontation, in Anwesenheit führender europäischer Politiker über ein mögliches Kriegsende zu sprechen. Tusk wiederum nutzte die Gelegenheit nicht, den Platz an Nawrockis Seite einzunehmen – jenes Präsidenten, der, wie seine Anhänger nicht müde werden zu betonen, „eine besondere Beziehung zu Donald Trump“ habe, dies aber nun offenbar „vergessen“ hatte.

Dabei verfügte Tusk dank seiner langjährigen Erfahrung in Brüssel über beste Ausgangsbedingungen. Doch seine Berater ließen diese Chance ungenutzt verstreichen.

Am Ende war Polen der große Verlierer: Seine Stimme blieb in einer für das Land existenziellen Frage unhörbar. Die Erklärung des Präsidialamts, alle Kräfte auf Nawrockis offiziellen Besuch im Weißen Haus am 3. September zu konzentrieren, wirkt wenig überzeugend.

Deutlich wurde das auch durch Georgette Mosbacher, frühere US-Botschafterin in Polen, enge Freundin Donald Trumps und eine mit solchen Treffen bestens vertraute Kennerin.

Ihre Stimme ist von Gewicht, denn weder Kaczynski noch Nawrocki können diesmal behaupten, es sei „Tusks Schuld“. Mosbacher stellte klar:

Wahrscheinlich ist eher Polen schuld als irgendjemand anderes.

Sie erinnerte daran, dass Polen gerade einen neuen Präsidenten habe, der erst vor wenigen Wochen vereidigt worden sei – und dass es daher naheliege, dass der Präsident und sein Team zunächst abwarteten, bis dieser sich eingearbeitet habe und auf eine Einladung aus dem Weißen Haus reagieren könne.

Mosbacher sagte weiter:

Ich hoffe, dass der neue polnische Präsident sich sicher fühlt und sich bewusst ist, dass Polen eine wichtige Rolle spielt und seine ihm zustehende Position auch einnimmt.

Zudem mahnte sie:

Man muss sich nun zusammensetzen und das Problem lösen. Der Krieg und das Blutvergießen sind schrecklich; sicher wird nicht jeder mit einem Abkommen zufrieden sein, aber das Ende des Krieges ist unausweichlich. Davon bin ich überzeugt.

Witkoff sagte, dass wir bereit sind, Sicherheitsgarantien ähnlich wie in Artikel 5 des NATO-Vertrags zu geben. Putin hat dies akzeptiert – das sind großartige Neuigkeiten.

All das ist bekannt – doch Konsequenzen wurden nicht gezogen. Genauer gesagt: Die polnischen Politiker, die wir gewählt haben und die wir mit unseren Steuern dafür bezahlen, uns bei einem für unser Land so wichtigen Treffen zu vertreten, haben daraus keine Schlüsse gezogen.

Natürlich hat Mosbacher recht. Bedauerlich ist nur, dass weder Nawrocki noch Tusk dies erkannt haben und die Gelegenheit schlicht vertan wurde.

Ich bin kein Bewunderer Trumps und halte seine diplomatischen Fähigkeiten eher für die Selbstdarstellung eines Narzissten, der zufällig im Weißen Haus gelandet ist. Aber er ist nun einmal Präsident der USA – des Landes, das den größten Einfluss auf eine Beendigung des am 24. Februar 2022 von Putin begonnenen Krieges hat.

Polen dagegen, das Land, das von diesem Krieg am stärksten bedroht ist und bisher am meisten getan hat, um die Ukraine bei der Bewältigung der verheerenden Folgen zu unterstützen, hat sich blamiert. Als Gesellschaft haben wir die Prüfung bestanden – als Staat hingegen sind wir durchgefallen.

Eigentlich möchte ich gar nicht an die peinlichen Annäherungsversuche des früheren Präsidenten Duda gegenüber Trump erinnern, die das Amt kompromittiert haben.

Umso mehr hoffe ich, dass unsere Politiker diesmal die richtigen Lehren aus dem Misserfolg ziehen – und nicht erneut einen idiotischen Streit um Posten beginnen, der uns schon einmal vor der EU blamiert hat. Diesmal geht es um unsere Sicherheit, nicht um die Ambitionen einzelner Politiker.

Meine Einschätzung ändert sich auch nicht durch die Ankündigung, dass Premierminister Tusk am Tag nach dem Treffen in Washington zu Beratungen mit europäischen Diplomaten eingeladen wurde.

Regierungssprecher Adam Szlapka teilte mit, Tusk werde heute (geschrieben vor dem 19.8.2025) um 12 Uhr mit den Führern der „Koalition der Willigen“ zusammenkommen, gefolgt von einer Sitzung des Europäischen Rates um 13 Uhr. Ursprünglich war für 12 Uhr eine Regierungssitzung angekündigt gewesen. Das ist zwar richtig, kommt aber zu spät und reicht nicht aus. Der bittere Nachgeschmack der diplomatischen Blamage bleibt.

Was den neuen Präsidenten betrifft, mache ich mir keine Illusionen. Seine diplomatischen „Erfolge“ werden eher an die martialischen Posen seines Vorgängers anknüpfen als an eine durchdachte Strategie.

Auch die Auswahl seiner Berater verheißt wenig Gutes – es handelt sich vor allem um Leute, die bereits dem früheren Präsidenten dienten. Eine Ausnahme bildet der Historiker Andrzej Nowak, doch dessen Geschichtspolitik dürfte kaum zu besseren Beziehungen mit unseren Nachbarn im Osten oder Westen beitragen.

Sicher ist nur: Man wird uns davon überzeugen wollen, dass wir einen großartigen, ja beinahe providentiellen Präsidenten haben. Ob Karol Nawrocki jedoch auch Menschen außerhalb seines eigenen Lagers überzeugen kann, bleibt eine offene Frage.

Gesetze gegen Hass – und der Widerstand der Rechten

Przeglad, 25. August 2025

Alle Versuche, Hassreden einzudämmen, stoßen auf gnadenlose Angriffe von PiS und Konfederacja. Neue Gesetzesinitiativen, die die Lage verbessern könnten, werden sofort als Angriff auf die Meinungsfreiheit denunziert – ein vermeintlicher Angriff.

In Wahrheit geht es um die wachsende Verrohung, um die Straffreiheit für Lügner:innen und Hasser:innen. Wer verteidigt diesen paradoxen Zustand? Genau diejenigen, die davon profitieren, in Polen eine Atmosphäre des Krieges zu schüren.

Für sie bedeutet Redefreiheit das Recht, mit Andersdenkenden ungestraft das Schlimmste anzustellen. Das ist ihr Treibstoff – in den Parteien ebenso wie im medialen Hintergrund. Und sie werden ihn vehement verteidigen, weil sie keine anderen wirksamen Mittel haben, um Spannungen zu erzeugen und negative Emotionen in der Gesellschaft zu schüren.

Ein Symbol für diese Haltung ist Maciej Swirski, der sich selbst einmal als „Taliban der PiS“ bezeichnete. Nun wird er vor dem Staatsgerichtshof stehen – eine Sanktion, die angesichts der Schwere seiner Rechtsverstöße kaum mehr als symbolisch wirkt.

Präsident Kaczynski machte ihn einst zum „Hüter der Meinungsfreiheit“ und verspottete damit die Gesellschaft. Swirski in dieser Rolle verkörpert das Schlimmste an der PiS – und an Kaczynski selbst.

Acht Jahre lang, mit uneingeschränkter Macht ausgestattet, hat diese Partei jedes Schamgefühl verloren. Sie bleibt, und das wird sich nicht ändern, eine Partei der Peinlichkeit und der Blamage.

Bezeichnend ist, dass Swirski niemals auf Beschwerden über Hassreden in den rechten Medien reagierte, dafür aber konsequent kritische Stimmen gegen die PiS bestrafte.

Kirche, Nationalismus und ziviler Widerstand

studioopinii.pl, 9. August 2025
https://studioopinii.pl/archiwa/246637

Dass Pater Rydzyk seit Jahren die Kirche zerstört, ist nicht unser Problem. Diese Institution ist als Körperschaft weder Hüterin des Glaubens noch der Moral.

Im Gegenteil: sie verbreitet Aberglauben, Magie und fördert unmoralische Verhaltensweisen – jüngstes Beispiel ist die Auflösung der Kommission für Pädophilie.

Weitaus bedenklicher ist jedoch, dass Rydzyk und der Episkopat das staatsbürgerliche Denken untergraben, indem sie die Gesellschaft in eine parteipolitische und konfessionelle Logik zwängen, die mit dem Wohl des polnischen Staates nichts zu tun hat.

Ein Leserbrief an studioopinii schildert einen Besuch am 13. Juli in Jasna Góra, wo sich die „Familie von Radio Maryja“ versammelte:

Die Frauen beteten in der Kirche, ich wanderte auf den Wällen und hörte der Messe von außen zu. […] Die aggressive Rhetorik und der monotone Tonfall änderten nichts an […] dem Eindruck des Niedergangs: verzweifelte Aufrufe zu einem nationalen Unglück, das die Menschen zurück in die Kirchen treiben soll.

Die Teilnehmer – meist über 75 Jahre alt, mit eigenen Hockern, weil sie weder knien noch lange stehen können – wirkten wie eine Menge, die von einer Teufelsmesse zurückkehrt: grimmige Gesichter, verloren, verängstigt, Gestalten wie aus den Gemälden von Hieronymus Bosch. Vergleichbare Szenen sieht man auch in Lichen [ein Wallfahrtsort].

Am Eingang zum Parkplatz sammelten Freiwillige Unterschriften für eine Petition gegen Migranten. Jagoda, die für ihre scharfe Zunge bekannt ist, hielt es nicht aus und fuhr die Sammler an: ‚Ihr seid Katholiken? Nach der Messe protestiert ihr gegen Einwanderer? Nach den Teilungen fanden Polen Zuflucht in der Emigration. Im Zweiten Weltkrieg nahm das muslimische Iran Zehntausende unserer Landsleute, darunter viele Kinder, auf. Auch nach dem Kriegsrecht und seit 1989 fanden wir Aufnahme. Und ihr verweigert heute Flüchtlingen Hilfe? Wo ist euer Gewissen, euer Solidaritätsgefühl? Diese Menschen fliehen, weil sie überleben wollen.‘

Einige reagierten aggressiv, andere beschämt. Am Ende zerstreuten sich die Wartenden, ohne zu unterschreiben. Wir dulden Aggression und Dummheit zu sehr. Oft genügt es, zu sagen: ‚Ihr habt Unrecht, besinnt euch!‘

Ein anderes Bild bot sich in Bogatynia [eine Kleinstadt im Dreiländereck bei Zittau]. Dort trat Robert Bakiewicz auf, der mit einer „Flut von Einwanderern“ drohte – und wurde ausgebuht.

Zunächst wollte er im Kulturhaus eine Show veranstalten, doch die Einwohner versperrten ihm den Weg und machten klar, dass sie ihn nicht in ihrer Stadt haben wollten. Also zog er mit seinen Schlägertrupps auf die Straße – und stieß dort auf die wahre Kraft der lokalen Gemeinschaft.

Die Menschen ließen ihn nicht gewähren: Vuvuzelas, Sirenen, Trillerpfeifen, Sprechchöre – eine totale Geräuschblockade. Immer wieder riefen sie in seine Richtung: „Hör auf zu lügen!“ Schließlich hielt Bakiewicz den Druck nicht aus, brach seine Rede ab, bat die Polizei um Hilfe und klagte, die Situation sei „unzumutbar“.

In einem Portal wurde kommentiert:

Was in Bogatynia geschehen ist, sollte in die Lehrbücher des zeitgenössischen zivilen Widerstands gegen nationalistisches Geschwätz aufgenommen werden.

Die Einwohner haben gezeigt, dass sie Rückgrat besitzen und keine Angst, sich einem Mann entgegenzustellen, der seit Jahren versucht, die öffentliche Debatte in Polen mit Gift, Aggression und falschem Pseudopatriotismus zu vergiften.

Das Verhalten der Einwohner von Bogatynia lässt sich auch auf die Kirche und ihr Umfeld übertragen – auf Jasna Góra ebenso wie auf Torun. Man muss beginnen, ähnlich zu reagieren.

Gläubige sollten den Mut haben, Rydzyk und den Bischöfen direkt vom Altar oder Mikrofon aus entgegenzutreten und zu sagen: „Hört auf zu lügen!“ Wenn diese ohne Skrupel die Heiligkeit des „Hauses Gottes“ verletzen, dann sollten die Gläubigen dieses Haus offen und ohne Angst verteidigen.

In der Geschichte des Christentums gibt es viele Präzedenzfälle für solches Handeln – der erste ist die Vertreibung der Händler aus dem Tempel [Joh 2,17].

Ein deutliches Signal kam auch vom Wawel in Krakau: Ein Teil der Glöckner verweigerte Erzbischof Jedraszewski den Zugang zur Sigismund-Glocke der Kathedrale, die zur Vereidigung des neuen Präsidenten geläutet werden sollte. Dieser Schritt war ein wichtiges Zeichen des Widerstands – gegen die Komplizenschaft der Kirche mit einer Politik, die dem Staat schadet.

Der gewundene Weg der polnisch-deutschen Versöhnung

OKO.press, 10. August 2025

Entgegen allen Beschwörungen einer unvermeidlichen polnisch-deutschen Feindschaft – tief verwurzelt im Bewusstsein der schmerzhaften Teilungen und der frischen Wunden, die Hitlers Aggression hinterlassen hatte – streckte Primas Stefan Wyszynski im Geiste der Versöhnung seine Hand nach Deutschland aus.

Am Abend des 18. November 1965 unterzeichnete er als Erster den berühmten Brief an das deutsche Episkopat. Dieser war zwar offiziell an die Bischöfe adressiert, richtete sich aber de facto an die gesamte deutsche Gesellschaft. In deutscher Sprache verfasst, eröffnete er über kirchliche Kanäle einen langen, wenn auch schwierigen und verschlungenen Prozess der Versöhnung zwischen den beiden Völkern.

Erzbischof Alfons Nossol, Bischof von Oppeln, erklärt:

Die Wahl eines deutschen Papstes unmittelbar nach einem polnischen Papst ist ein Geschenk des Heiligen Geistes. Wir haben unsere ausgestreckte Hand zur Versöhnung nie zurückgezogen.

Heute aber verraten die polnischen Bischöfe das Erbe Wyszynskis. Der Episkopat steht den einheimischen Populisten näher als der christlichen Theologie der Versöhnung – und erst recht fern von der historischen Geste zwischen den Bischöfen Polens und Deutschlands, die Persönlichkeiten wie Papst Johannes Paul II., Papst Benedikt XVI. und Kardinal Wyszynski geprägt haben.

Kirche und Rechte mobilisieren gegen Gesundheitsunterricht

OKO.press, 24. August 2025

In einer Woche beginnt in Polen das neue Schuljahr – und die Bischöfe schlagen Alarm. In einem Brief an die Eltern warnen sie:

Die Zukunft der Kinder liegt in Ihren Händen. Sie dürfen nicht zulassen, dass Ihre Kinder systematisch verdorben werden.

Die Gläubigen werden aufgefordert, ihre Kinder vom geplanten Gesundheitsunterricht abzumelden.

Das Bildungsministerium hatte im Mai die Einführung des Fachs angekündigt. Prompt folgte eine Welle des Protests – vonseiten der Bischöfe, der PiS und der Konfederacja.

Sie behaupten, die Gesundheitserziehung stelle „Mutterschaft als Quelle von Gefahren“ dar und führe dazu, dass „Schüler von klein auf erotisiert“ würden. Schon im Januar war das Ministerium den konservativen Kräften entgegengekommen und hatte erklärt, das Fach werde nicht verpflichtend sein.

Die KO-Abgeordnete Dorota Loboda kommentierte auf X:

Wer hat euch nach eurer Meinung gefragt? Gesundheitserziehung ist ein sehr wichtiges Fach. Ich weiß nicht, was man im Kopf haben muss, um Wissen über Gesundheit als Verderbnis und Demoralisierung zu bezeichnen.

Auch die Ärztin und Fachärztin für Psychiatrie und Sexologie, Aleksandra Krasowska, kritisierte den Brief der Bischofskonferenz scharf:

Es ist widerwärtig, dass sich die katholische Kirche, die sich weigert, pädophile Taten in den eigenen Reihen aufzuarbeiten, offen gegen die Gesundheitserziehung von Kindern stellt. Vielleicht liegt es daran, dass ein solches Fach das Bewusstsein schärfen und Kinder besser vor Missbrauch schützen würde?

Experten betonen, dass die Einführung von Gesundheitserziehung längst überfällig ist. Schon jetzt hat jedes fünfte Kind in Polen mit Übergewicht oder Fettleibigkeit zu kämpfen, 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler treiben keinen Sport und führen einen sitzenden Lebensstil. Zudem greift jeder vierte Teenager regelmäßig zur E-Zigarette.

Nach Angaben der Stiftung Dajemy Dzieciom Sile („Wir geben Kindern Kraft“) haben vier Fünftel der jungen Menschen in Polen mindestens einmal Gewalt erlebt; fast 70 Prozent der Fälle betreffen Gewalt unter Gleichaltrigen.

Ein Bericht der von Martyna Wojciechowska gegründeten Stiftung Unaweza zeichnet zudem ein düsteres Bild: Einsamkeit, extrem geringes Selbstwertgefühl, fehlendes Vertrauen in die Gesellschaft und ein schwaches Bewusstsein für die eigene Handlungsfähigkeit prägen die Situation vieler Kinder und Jugendlicher.

Das neue Fach soll nicht nur medizinische und biologische Themen abdecken, sondern auch den Umgang mit Emotionen, Beziehungen, Verantwortung, Werten und Wohlbefinden.

Es vermittelt die Fähigkeit, bewusste Gesundheitsentscheidungen zu treffen, fördert einen aktiven Lebensstil, stärkt Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Achtsamkeit gegenüber sich selbst und der Umwelt. Zudem soll es vor vielfältigen Gefahren schützen – von Infektionskrankheiten über Sucht bis hin zu gezielter Desinformation.

Brot, Militarisierung und das Erbe von Solidarnosc

Przeglad, 25. August 2025

Interessante Überlegungen vom Autor der „Linksdenkseiten“ zu Rüstung und Armut auf dem Hintergrund der Erben der Solidarnosc. (Norbert Kollenda)

Später Abend nach einem heißen „Paraden­tag“, an dem wir isoliert gegen die Militarisierung von Politik, Leben und Investitionen protestierten. Auf dem Heimweg ging ich in den nächsten Zabka-Laden, um Mineralwasser zu kaufen.

Vor dem Eingang sprach mich ein Mann an – nicht mehr jung, aber jünger als ich, gepflegt und nüchtern (ich kenne mich damit aus):

Könnten Sie mir bitte einen Laib Brot kaufen, geschnitten?

Ich konnte. Ich kaufte es. Ich fragte nicht nach. Er nahm es dankbar entgegen – und ich war wie betäubt.

Wenige Stunden zuvor hatte ich eine Demonstration von Macht und Reichtum erlebt, die tödlichsten Werkzeuge, Geräte und Fahrzeuge, die Menschen bauen können, und die der polnische Staat anschafft. Ich hörte das Gerangel um „Sicherheit“: der neue Präsident gegen den Verteidigungsminister (von Beruf Arzt).

Fühlt sich ein Mensch sicher, der gezwungen ist, einen Fremden um einen Laib Brot zu bitten? Oder würde er vielleicht lieber auf dieses Brot verzichten – in dem Bewusstsein, dass Putin ihm zwar Hunger zufügen könnte, aber keine Bomben auf seinen Kopf wirft?

Manche werden sagen: Das sei ein unzulässiger Vergleich, zwei völlig verschiedene Dimensionen von Sicherheit. Ich bin jedoch überzeugt, dass er berechtigt ist. Die Symbolik dieses unscheinbaren Vorfalls vor dem Zabka-Laden ist es wert, darüber nachzudenken und sich damit auseinanderzusetzen.

Die großen Aufstände der Menschheitsgeschichte – Revolutionen, Arbeiterproteste, soziale Bewegungen – hatten meist ein Wort auf ihren Transparenten: Brot.

Nicht Gott, wie es den protestierenden Arbeitern 1956 in Posen später auf dem Denkmal hinzugefügt wurde, sondern Brot. Ist am Ende doch das Brot das Wichtigste? Sollten wir den Zustand eines Staates nicht weniger nach seinem militärischen Potenzial und milliardenschweren Rüstungsprogrammen beurteilen, sondern danach, warum ein Mensch sich kein Brot leisten kann?

Da wanderten meine Gedanken 45 Jahre zurück. Die letzte Augustwoche 1980 war einer der politisch heißesten Momente der jüngeren polnischen Geschichte.

In den sich ausweitenden Streiks, die in der Lenin-Werft in Danzig ihren Anfang nahmen (von deren Namen heute nichts mehr zu sehen ist…), entstand eine neue Gewerkschaftsbewegung: Solidarnosc.

Das Bedürfnis, der Hunger nach Veränderung, war enorm – wenn auch nicht überall gleich stark. Rückblickend auf diese ersten Wochen und Monate stellt sich die Frage, welches Polen diese neue Kraft wollte.

Eine Kraft, die nach einem Jahrzehnt globaler Umbrüche und Veränderungen in der UdSSR schließlich dazu führte, dass Solidarnosc die Macht in Polen übernahm.

Heute leben wir in den Nachwehen der Spaltungen und Hegemonien der Post-Solidarnosc-Ära. Allgemein bekannt ist, dass die Revolution von 1989, die gern als „Solidarnosc-Revolution“ bezeichnet wird, die ursprüngliche, an Arbeitern orientierte Solidarnosc längst hinter sich gelassen hat.

Der „verfemte“ Ökonom Tadeusz Kowalik, einst Berater der Solidarnosc, schrieb bald darauf:

Wenn wir über den Niedergang der Solidarnosc nachdenken, dürfen wir ein großes Paradoxon nicht vergessen: Die massivste und mächtigste Arbeiterbewegung Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat eines der ungerechtesten sozioökonomischen Systeme hervorgebracht – mit der höchsten Arbeitslosigkeit und ständig wachsender Armut.

Ein anderer damaliger Star der Bewegung, der Urheber des Namens Solidarnosc und ihr Sprecher in den Jahren 1980–1981, Prof. Karol Modzelewski, langjähriger politischer Gefangener, sagte rückblickend:

Hätte ich gewusst, dass es darum geht, den Kapitalismus in Polen wieder einzuführen, hätte ich keinen einzigen Tag im Gefängnis verbracht.

Es wird Feierlichkeiten geben, es gibt das eindrucksvolle Europäische Solidaritätszentrum – doch Überlegungen wie die von Kowalik oder Modzelewski werden in den offiziellen Reden kaum vorkommen.

Stattdessen dominiert eine Erzählung, die vor allem dazu dient, eigene Standpunkte und Interessen zu verteidigen. Zwar ist diese ideologische Umkehrung der Geschichte von Solidarnosc inzwischen gut beschrieben, doch sie ist keineswegs Teil des offiziellen Narrativs.

Für einen Mann ohne Brot wäre dort ohnehin kein Platz: Sicherlich, so die Logik, ist er selbst schuld – auch wenn er, wie ich aufmerksam bemerkte, ordentlich und nüchtern war. Und wenn nicht? Hätte er dann kein Brot verdient? Natürlich hilft man, heißt es schnell.

Aber in der politischen Erzählung, die heute vorherrscht, haben Panzer und Kanonen Vorrang – vor Unterstützung für Menschen mit Behinderungen, vor Gehältern für Beamte und Lehrer, vor der psychiatrischen Betreuung von Kindern und Jugendlichen.

Warum sollte man da noch einen einzigen Bettler ohne Brot hinzufügen? Vielleicht, weil gerade dieser eine, der sich kein Brot leisten kann, ein Symbol für das Scheitern der letzten Jahrzehnte ist – nicht weniger als all die anderen Versäumnisse in einer der 20 größten Volkswirtschaften der Welt.

Währenddessen wird ein Maisfeld ungestraft von einer verirrten Drohne getroffen. Die Medien berichten knapp: ein Pfeifen, eine Explosion. Vielleicht wäre es sinnvoller, wenn die Menschen sich einfach selbst ein Brot kaufen könnten?

Auf dem Denkmal für die gefallenen Werftarbeiter ist ein Gedicht von Czeslaw Milosz eingraviert – kaum jemand hätte wohl gedacht, dass seine Warnungen noch immer so aktuell sein würden.

„Den du gekränkt hast“

Den du gekränkt hast, den einfachen Menschen,
Der du über sein Leid lachtest,
Umgeben von einer Schar von Narren,
Die Gut und Böse verwechselten,
Auch wenn sich alle vor dir verneigten,
Dir Tugend und Weisheit zuschrieben,
Goldmedaillen zu deinen Ehren prägen,
Froh, dass sie noch einen Tag überlebt haben,
Sei nicht sicher. Der Dichter erinnert sich.
Du kannst ihn zwar töten – ein neuer wird geboren werden.
Taten und Gespräche werden niedergeschrieben werden.
Besser für dich wäre ein Wintermorgen
Ein Strick und ein Ast, der unter der Last gebogen ist.

Wie viel ist uns von dieser Solidarnosc geblieben?

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