Federal Reserve, Weißes Haus und Wall Street
von Ingo Schmidt
Zentralbanker sind eine Klasse für sich: die Verkörperung ökonomischer Vernunft. Und damit ein notwendiges Gegengewicht zu den Börsianern, die oft manisch, manchmal depressiv und stets auf der Suche nach dem nächsten Kick sind.
Donald Trump, der Minderwertigkeitskomplexe und Narzissmus in Größenwahn verwandelt, repräsentiert ein Amerika, das fürchtet, seine eigenen Machtansprüche nicht erfüllen zu können. Das vom gleichzeitigen Aufstieg der Tech-Milliardäre und dem Abstieg der industriellen Arbeiterklasse zerrissen ist und Zuflucht in der kulturellen, teils auch sehr realen, Abschottung nach außen sucht.
Im Zuge der Abschottung, die »America great again« machen soll, werden Tabus gebrochen, die Zentralbanker und Börsianer über lange Zeit geteilt haben: Freihandel und Unabhängigkeit der Zentralbanken sind Trump legal, illegal, scheißegal. Die Finanzpresse ist entsetzt. Die Börsianer zeigen sich irritiert, lassen sich aber von immer neuen, oft wieder ausgesetzten Zöllen nicht lange vom Geschäft abhalten. Warum auch? Eine schon vor Trumps Amtsantritt schwächelnde Wirtschaft wirft immer noch prächtige Gewinne ab.
In Sachen Unabhängigkeit hatte die Zentralbank keine Chance gegen die Aussicht auf Zinssenkungen, die Trump dem Federal-Reserve-Chef Jerome Powell abgerungen hat. Billigere Kredite sind gut fürs Geschäft, an der Börse und anderswo. Als wollten die Börsianer ein altes Bonmot von Karl Marx bestätigen: »Die ›Idee‹ blamierte sich immer, soweit sie von dem ›Interesse‹ unterschieden war.«
Trumps Beschimpfungen und seine Spekulationen über eine vorzeitige Entlassung Powells machen Schlagzeilen. Trumpkritische Medien präsentieren sich dabei als Verteidiger marktwirtschaftlicher Ideale gegen die Anmaßungen eines politischen Hochstaplers. Die naheliegende Frage, weshalb er sich als Politiker gegen ein Wirtschaftsmodell wendet, das für ihn persönlich erfolgreich war, wird nicht gestellt. Die neue Personalie Stephen Miran im Rat der Fed schlägt wenig Wellen. Dabei hat Miran Ideen, wie amerikanische Geschäftsinteressen wieder richtig »great« gemacht werden können. Und liefert damit einen Anknüpfungspunkt zum Verständnis der Wende vom Globalisierungsimperialismus zum America-First-Imperialismus.
Mar-a-Lago Accord
Miran war Investmentbanker bevor Trump ihn zum Chef des Council of Economic Advisors [eine Art Rat der Wirtschaftsweisen] machte, um ihn bei der ersten besten Gelegenheit bei der Fed zu installieren. Deren Politik beeinflusst nicht nur Inflation und Konjunktur im Inland, sondern auch den Dollarkurs und internationale Kapitalströme.
Trump dringt auf Zinssenkungen, um die Konjunktur anzukurbeln und die Zinslast auf die ausstehenden Staatsschulden zu mildern. Mirans weitergehende Überlegungen: Zolleinnahmen sollen den Einnahmeverlust nach den letzten Steuergeschenken an die Reichen wenigstens ausgleichen. Zolldrohungen sollen die Zentralbanken und Regierungen anderer Länder dazu bringen, sich auf eine koordinierte Abwertung des Dollars einzulassen und die Tilgung amerikanischer Auslandsschulen zu strecken.
Meistens sind es Länder der Peripherie, die, durch eine Schuldenkrise in Zahlungsschwierigkeit geraten, Abwertungen und Umschuldungen vornehmen, zusammen mit der Öffnung ihrer Märkte für ausländische Händler und Investoren. Im Gegenzug gibt es Kredite von Internationalem Währungsfonds und Weltbank, die mit der Zahlungsfähigkeit der betroffenen Länder zumindest einen Teil des Wertes ausstehender Kredite sichern. Dass Miran dem eigenen Land Maßnahmen verschreiben will, die bislang den Einfluss der USA in den Peripherien ausbauen halfen, ist nicht so abwegig, wie es von der Finanzpresse dargestellt wird.
Egal wie angekratzt das Vertrauen in Amerikas Macht auch sein mag, die US-Regierung und ihre Zentralbank können es sich immer noch erlauben, ausländischen Anlegern, darunter Zentralbanken, die Währungsreserven in Dollar halten, eine Abwertung des Dollar und aller in Dollar gehaltenen Anlagen aufzudrängen und den Dollar dennoch weiterhin als Leitwährung zu akzeptieren. Zumal es ein historisches Vorbild gibt. In Anspielung auf den Plaza Accord von 1985, benannt nach dem New Yorker Hotel, in dem er ausgehandelt wurde, nennt Miran seine Pläne Mar-a-Lago Accord. Nach Trumps Golfplatz in Florida.
Vorbild Plaza Accord
Auch in den Jahren vor dem Plaza Accord war das Vertrauen in Amerikas Macht angekratzt. Nachdem die USA 1973 das bis dahin von ihnen garantierte System fester Wechselkurse aufgegeben hatten, verlor der Dollar erheblich an Wert. Dafür stiegen die Ölpreise drastisch an. Reallohnverluste infolge von verteuerten Importen, eine Folge der Dollarabwertung, und steigende Ölpreise konnten die Gewerkschaften abwehren. Verteilungskämpfe trieben die Inflation in die Höhe. Entspannungspolitik in Europa sowie die Revolutionen in Vietnam und im Iran, so verschieden sie auch waren, zeigten den außenpolitischen Machtverlust der USA. Diesen wollte Ronald Reagan, ebenso wie Trump heute, durch eine massive Aufrüstungspolitik umkehren.
Wirtschaftspolitisch stand der Kampf gegen die Inflation, sprich: gegen die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften, an erster Stelle. Mit diesem Ziel trieb der noch von Jimmy Carter ernannte Federal-Reserve-Chef Paul Volcker die Zinsen in die Höhe. Die Folge waren Rezession, Arbeitslosigkeit und, wie beabsichtigt, ein Rückgang der Inflation zulasten der Lohnabhängigen. Eine andere Folge war ein massiver Zustrom ausländischen Kapitals. Der Dollarkurs stieg weit über den Wert bei Aufgabe des Bretton-Woods-Systems hinaus. Die Kostenvorteile, die US-Firmen durch Rezession und Arbeitslosigkeit an der Lohnfront errungen hatten, gingen durch den Höhenflug des Dollar mehr als verloren. US-Exporte und Leistungsbilanz gingen in den Keller.
Das Defizit in der Leistungsbilanz konnte durch den Zufluss ausländischen Kapitals locker finanziert werden, wodurch dessen Abhängigkeit vom US-Markt stieg. Ein Machthebel, den Trump dieser Tage gnadenlos gegen Amerikas Handelspartner ausnutzt. Aber im Gegensatz zu US- Industriellen dieser Tage, die den Freihandel höher schätzen als die Börsenhändler an der Wall Street, forderten die Industriellen in den 80er Jahren protektionistische Maßnahmen. Reagan reichte diesen Druck ans Ausland weiter. Japan stimmte »freiwilligen Exportbeschränkungen« zu, Toyota & Co. errichteten Fertigungsstätten in den USA.
Obwohl Konkurrenten, kamen sie dem amerikanischen Kapital gelegen. Als gewerkschaftsfreie Unternehmen halfen sie, die durch konjunkturelle Arbeitslosigkeit erreichte Schwächung der Gewerkschaften auch für Zeiten steigender Beschäftigung zu zementieren. Die Unternehmenskonkurrenz verwandelte sich in die Konkurrenz zwischen gewerkschaftlich organisierten General-Motors- und nichtorganisierten Toyota-Arbeitern. General Motors & Co. nutzten diese Konkurrenz als Vorwand zur Errichtung neuer Werke in den Südstaaten der USA. Dort waren die juristischen Hürden gewerkschaftlicher Organisierung deutlich höher als in den Nordstaaten.
Doch erst der Plaza Accord brachte in Sachen Export und Leistungsbilanz die große Wende. Reagan nutzte die Protektionsforderungen der amerikanischen Industriellen, um die G5-Partner zu einer Dollarabwertung zu drängen. Durch entsprechende Interventionen der beteiligten Zentralbanken wurde der Dollar auf Talfahrt geschickt. Die US-Exporte gingen nach oben, 1991 wies die amerikanische Leistungsbilanz erstmals seit 1982 einen Überschuss auf.
Geht’s nochmal?
Aus dem Plaza Accord und der Entwicklung danach können drei Lehren gezogen werden:
Die angekratzte Supermacht konnte ihren Partnern ihren Willen aufzwingen.
Obwohl der Dollar bis 1992 auf einen Tiefststand fiel, der erst in der Weltwirtschaftskrise 2008/09 unterboten wurde, konnte er sich als internationale Leitwährung behaupten.
Die industrielle Prosperität, die sich viele Reagan-Wähler von Protektionismus und Abwertung erwartet hatten, blieb aus. Die USA wurden zu einem Zentrum der Profitaneignung. Verbunden mit der dot.com-Euphorie und neuerlichen Zentralbankinvestitionen kam es zu einem weiteren Höhenflug des Dollar. Die Deindustrialisierung war nach 1985 kontinuierlich weitergegangen. Mit ihrer Mischung aus Automatisierung und Auslagerungen in die Niedriglohnstandorte des Südens war sie eine der Quellen des Profits »Made in Many Countries«, den sich Kapitalisten aus verschiedenen Ländern in den USA aneigneten.
Die Zollverhandlungen der letzten Monate haben gezeigt, dass G7-, EU- und NATO-Partner zu so ziemlich jedem Zugeständnis bereit sind, das Trump von ihnen verlangt. Sie würden wahrscheinlich auch einen Mar-a-Lago Accord schlucken. China wird sich keinem Trump-Diktat unterwerfen, Indien und Brasilien wahrscheinlich auch nicht. Trotz der Globalisierung des von den USA geprägten Kapitalismus nach dem Ende des Kalten Krieges sind die USA nicht der Weltsouverän, der sie gern sein wollen.
Federal Reserve und Wall Street bilden immer noch das Zentrum des globalen Finanzsystems. Aber es franst aus. Der Handel in anderen Währungen nimmt zu: Neben dem US-dominierten Währungsfonds und der Weltbank entstehen neue internationale Finanzinstitutionen. Und im Umfeld Trumps gibt es Kräfte, denen Mirans Dollar-zentrierte Pläne für eine Wiederherstellung amerikanischer Vormacht vor allem eins sind: zu staatszentriert. Als echt libertäre Ökonomen und, wichtiger, Investoren bevorzugen sie Gold oder Krypto. Ungesteuert und unkontrolliert von der Zentralbank.
Und die industrielle Prosperität? Darauf hofft Trumps Fußvolk, ohne noch recht an sie zu glauben. In den besseren Kreisen ist das Thema durch. Darin sind sich Zentralbanker, Börsianer, Freihändler und Protektionisten einig.
Ingo Schmidt ist marxistischer Ökonom und lebt in Kanada und Deutschland.
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