Die Wut in den USA drückte sich bei der Präsidentschaftswahl in rechten Anti-Establishment-Stimmen aus
von Stephan Kimmerle
Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) war erstaunt. Monatelang hatte die linke Abgeordnete im Repräsentantenhaus vehement erst für Joe Biden und dann für Kamala Harris geworben. Auf dem Parteitag der Demokrat:innen im Sommer behauptete sie, Harris arbeite unermüdlich für einen Waffenstillstand in Palästina. Kritiker:innen nannten das dreist.
Andere versuchten wohlwollender, das als beschwörende Bitte an die Demokratische Administration umzudeuten. Als die Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Jill Stein, auf der Linken Zuspruch gewann, war sich AOC nicht zu schade, sie persönlich zu attackieren. Stein stehe für Raubtiermethoden, sie klaue nur Stimmen und baue nichts auf. AOC warf ihre ganze Autorität in die Waagschale.
Und dann das. Zahlreiche Wähler:innen in ihrem Wahlkreis in New York stimmten gleichzeitig für Donald Trump und für AOC. Auf der Social-Media-Plattform Instagram fragte sie nach dem Warum und bekam tatsächlich Antworten von diesen Wähler:innen: »Es ist wirklich simpel«, so eine Nachricht, »Trump und du kümmern sich um die Arbeiterklasse.« »Ich glaube, ihr beide seid Außenseiter in Washington D.C. und weniger ›Establishment‹.« »Nach der Biden-Administration hatte ich keine Wahl«, war eine dritte Stimme.
Mit dieser Schnauze-voll-Stimmung wurde die Wahl von den 73 Prozent entschieden, die bei Umfragen an den Ausgängen der Wahllokale (im Auftrag des Nachrichtensenders CNN) angaben, »unzufrieden« oder »wütend« zu sein. Und die stimmten mit klarer Mehrheit für Trump.
Harris verlor rund 10 Millionen Wähler:innen im Vergleich zu Biden 2020 und kam auf 72 Millionen Stimmen. Donald Trump legte gegenüber seinem Ergebnis von vor vier Jahren eine Million zu, 75 Millionen stimmten für ihn. Die Wahl, die im undemokratischen Wahlleute-System nur in sieben Bundesstaaten tatsächlich umkämpft und entschieden wurde, ging damit an den rechtsnationalistischen Milliardär und seine »Make-America-Great-Again«-Bewegung.
Durchregieren wird einfacher für Trump
Die Republikanische Partei ist mittlerweile fest in MAGA-Hand. Einem Durchregieren mit Hilfe der Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses steht wenig im Weg. Geschwächt ist auch der Widerstand der Staatsbürokratien, die Trump in seiner ersten Amtszeit von 2017 bis 2021 oft auflaufen ließen.
Einerseits sitzen von Trump ernannte Richter und Bürokraten auf allen Ebenen nun selbst schon seit Jahren im Amt. Andererseits ist Trump viel besser darauf vorbereitet, sich mit loyalen Unterstützer:innen zu umgeben. Beim Militär z.B. erwägt Trump, eine Sonderkommission einzusetzen, die ungeliebte Generäle und Offiziere entlassen – und andere einschüchtern soll.
Die einflussreiche, rechte Heritage-Foundation hat mit dem »Project 2025« nicht nur eine 922 Seiten lange, detaillierte Anleitung für Trump erstellt, wie er nationalistische, migranten-, trans- und arbeiterfeindliche Politik schnell und effektiv in Verordnungen und Gesetze übertragen kann. Sie hat auch bei der Erarbeitung dieser Wunschliste reaktionärer Kräfte darauf geachtet, ein Personentableau von Trump-Gefolgsleuten zu erstellen, die nun bereit stehen, Posten zu übernehmen.
Demokratische Entfremdung von der Arbeiterklasse
Massive Wohnungsnot und Obdachlosigkeit in fast allen Städten und Großstädten, ein Anstieg der Mieten um 20 Prozent seit 2020, die Inflation, anhaltende Verschuldung durch Gesundheitskosten und Studienkredite oder einfach, weil Leute Essen auf Kreditkarte kaufen müssen, die Drogenkrise mit ihren 100000 Toten im letzten Jahr – das prägt das Land und die Stimmung.
Mit viel Lächeln wollte Harris »Joy«, Freude, mit ihrem Wahlkampf ausdrücken – ganz im Kontrast zum verbitterten Trump. Diese Freude teilten die Wähler:innen nicht. Eher die düstere Perspektive des Immobilienmilliardärs.
Trumps Wählerbasis hat sich über die Jahre weiterentwickelt. Rassismus steht hoch im Kurs. Weiße Wähler:innen stimmen immer noch mit klarer Mehrheit für Trump, aber ihre Zahl ist rückläufig. Das konnte er durch eine multiethnische Koalition basierend auf Nationalismus und Abschottung ausgleichen.
Das heißt nicht, dass er eine Mehrheit der People of Color in den USA gewinnen konnte, Trump vergrößerte dort aber seine Basis. Denn die ärmsten Schichten der Arbeiterklasse – und unter ihnen viele People of Color und Migrant:innen – sind auf den kapitalistischen Wohnungsmärkten und im Kampf um Niedriglohnjobs von der Konkurrenz neuer Zuzügler:innen bedroht. Versäumt es die Linke, das Problem offensiv aufzugreifen, können auch in diesen Milieus rechte Parolen verfangen.
Umfragen zeigen: Bei Wähler:innen unter 100.000 Dollar Jahreseinkommen gewann Trump, darüber Harris. Trumps kommender Vizepräsident JD Vance sprach offensiv davon, die Republikanische Partei zur neuen »Arbeiterpartei« zu machen. Wie das aussehen soll, verdeutlichte ausgerechnet der als Reformkandidat auch von Linken unterstützte, neu gewählte Präsident der Gewerkschaft der Teamster, Sean O’Brien, beim Republikaner-Parteitag im August. Unter großem Applaus rief er aus: »Die Eliten kennen keine Parteien, die Eliten haben kein Land – das geht zulasten des amerikanischen Arbeiters!«
Nach den Wahlen 2016 und 2020 fokussierten sich die moderaten Demokrat:innen darauf, die Partei vom Einfluss der von Sanders inspirierten Linken zu säubern. Forderungen, wie die, den Mindestlohn auf 15 Dollar pro Stunde zu verdoppeln – 2020 noch im Wahlprogramm –, verschwanden von der Bildfläche. Dann versuchte Harris im Wahlkampf vor allem, zweifelnde Republikaner:innen zu gewinnen. Ausgiebig feierte sie, dass sie die Wahlempfehlung der Neocons Dick Cheney (Vizepräsident unter George W. Bush und Architekt des Irakkriegs) und seiner Tochter Liz bekommen hatte.
»Es sollte niemanden groß überraschen, dass eine Demokratische Partei, die die Menschen der Arbeiterklasse aufgegeben hat, herausfindet, dass die Arbeiterklasse sie aufgibt«, fasste Bernie Sanders zusammen. »Während die Führung der Demokraten den Status quo verteidigt, sind die amerikanischen Leute wütend und wollen Veränderung. Sie haben recht«, schrieb Sanders auf Social Media. Wohlgemerkt: nach der Wahl.
Back to the Resistance?
Für den 18.Januar 2025 rufen verschiedene Frauenorganisationen zu einer Großkundgebung in Washington D.C. gegen Trump auf. Also alles wie vor acht Jahren, als Millionen bei Women’s Marches auf die Straße gingen? Erst einmal wohl qualitativ kleiner.
Trotz Trumps damaligem Wahlsieg war der Protest 2016 Ausdruck einer aufsteigenden Linie von linker Bewegung und Organisierung. Von Occupy 2011 zu Bernie Sanders’ Erfolgen 2015/16 und 2019/20, dem Aufstieg der Democratic Socialists of America (DSA) von einer Nischenorganisation zur größten sozialistischen Kraft in den letzten Jahrzehnten – bis zum Jahr 2020 hatte sich vieles in den USA nach links verschoben.
Die Forderungen nach Medicare for All (einer kostenlosen, staatlichen Gesundheitsversorgung), nach Abschaffung der Studienschulden und der Abschiebebehörde (ICE) gewannen Massenunterstützung. Sanders popularisierte eine »politischen Revolution gegen die Milliardärsklasse«.
All das erscheint heute sehr weit weg.
Nach vier Jahren Biden-Regierung, einer Zeit, die mit Ausnahme der Palästinasolidarität an Bewegungen arm war, hat sich die Stimmung gedreht. Die »Antiestablishment«-Wut wird vor allem von der Rechten vereinnahmt. Die Gesellschaft hat sich nach rechts verschoben.
Das ist widersprüchlich und Trumps Wahlsieg mobilisiert auch auf der Linken. In der Woche nach den Wahlen sind 3000 neue Mitglieder bei DSA eingetreten. Doch alles links von der Demokratischen Partei (und selbst die Linke in ihr) fand in den letzten drei Jahren kaum Gehör und hatte sehr wenig Einfluss in den politisierten Debatten während des Wahlkampfs.
Da geht es auf der Linken nun auch erst mal um »Soul Searching«, etwas Selbstreflexion.
Der Autor lebt in Seattle und ist Mitglied von Reform & Revolution, einem marxistischen Zusammenschluss innerhalb der DSA.
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