Ein Camp in Brandenburg bereitet sich vor
von Annette Schlemm
Dass die kapitalistische Produktions- und Lebensweise Menschen wie auch die außermenschliche Natur nur begrenzt reproduziert und letztlich zerstört, ist lange bekannt. Wie lange kann das noch gut gehen? Für viele ging es noch nie gut und inzwischen kommen die sog. »Polykrisen« auch im Herzen der Bestie an.
Das Besondere unserer Zeit liegt darin, dass die altbekannte soziale Härte des Kapitalismus nun von ökologischen Verwüstungen begleitet wird, deren Folgen sich nicht mehr beheben lassen. Auch der Umbruch im Klimazustand, weg von den relativ stabilen Bedingungen der letzten 10.000 Jahre im sogenannten Holozän hin zu einem heißeren und von Wetterextremen gebeutelten Klima ist inzwischen unwiderruflich.
Eine gerechte, vernünftig agierende Gesellschaft könnte fair und solidarisch mit diesen Umständen umgehen, so dass es nicht zu kollapsartigen Katastrophen kommt. Allerdings ist für die nächsten Jahre und wahrscheinlich Jahrzehnte nicht zu erwarten, dass sich eine vernünftige, nichtkapitalistische, nichtfeudale, nichtpatriachale, nicht (post)koloniale Weltgesellschaft konstituiert. Während wir weiter darum ringen, müssen wir uns inzwischen auch mit dem Worst Case beschäftigen und uns antizipatorisch darauf vorbereiten.
Die Möglichkeit des Worst Case wird mittlerweile politisch unter dem Begriff »Kollaps« bearbeitet. »Kollaps« meint dabei nicht unbedingt das sofortige bis baldige vollständige Aussterben der Menschheit, sondern steht für den Prozess von vielen Zusammenbrüchen unserer Lebensbedingungen, der natürlichen und auch der damit verbundenen gesellschaftlichen: von Infrastrukturen, Nahrungsmittelversorgung und auch der relativen Sicherheit, in der viele noch leben.
Das Gegenteil von Resignation
Im Norden Brandenburgs fand Ende August das erste KollapsCamp statt; die 700 Tickets für Teilnehmer:innen waren extrem schnell vergeben, weitere 200 bis 300 trafen sich im idyllischen Kuhlmühle. Teile der Klimabewegung, andere (kapitalismus-)systemkritische Gruppen und viele weitere Menschen trafen sich um darüber zu reden, wie wir mit der immer größer werdenden Wahrscheinlichkeit solcher Kollapse umgehen.
Nur wenige verabschieden sich frustriert aus den Bewegungen gegen diese Gefahren und wenden sich voll der Kollapsbewältigung zu. Die meisten stellen sich der Gefahr des Kollapses aus der Perspektive ihrer bisherigen Aktivitäten und streben danach, ihre Fähigkeiten so zu erweitern, dass sie möglichen Kollapsen kollektiv und solidarisch begegnen können.
In Leipzig entstand der Begriff »solidarisches Preppen« explizit gegen Bemühungen rechter Kräfte, die oberflächlich betrachtet dasselbe tun, aber eben individualistisch und auch als Gruppen primär andere dabei ausgrenzen und im Konkurrenz- und Kampfmodus agieren. Wenn die Lage immer kritischer wird und wir die rechten Scheinlösungen ablehnen, dann wird es Zeit, sich selbst dagegen zu positionieren. Im übrigen steht kollapsbewusstes Handeln per se nicht gegen andere Kämpfe. Häufig sind die zu lösenden Aufgaben und die Ziele von kämpfenden Bewegungen dieselben wie die, welche mit Kollapsbewusstsein geführt werden.
In den Workshops und auf den Podien dieses Camps hörte ich oft auf viele Fragen die Antwort: »Wir wissen es nicht.« Nach dem Camp können wir sagen: »Aber wir arbeiten gemeinsam daran«. Denen, die die Möglichkeit »Kollaps« beim Wort nehmen, wird von außen oft vorgeworfen, dies auszusprechen und ernst zu nehmen führe zu Fatalismus, Resignation und Passivität und würde die noch kämpfenden Bewegungen schwächen. Das Gegenteil ist der Fall.
Handlungsoptionen
Schon im Programm für das Camp wurde ausgeführt, dass wir uns erstens handlungsfähig machen wollen in unmittelbaren Katastrophen; das beginnt bei Erste-Hilfe-Kursen und endet nicht bei solidarischer Hilfe in Katastrophenfällen. Wir wollen zweitens Handlungsfähigkeit auch absichern durch mentale Selbstverteidigung und durch die Organisierung von Schutz für Bewegungen und Orte. Und wir wollen drittens die langfristige Handlungsfähigkeit im Durchgang durch die Kollapse vorbereiten, indem wir über die Versorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten, Energie usw. für alle nachdenken.
Um dies leisten zu können, brauchen wir Unterstützung im Umgang mit den schlimmen Emotionen, vor denen sich wohl niemand alleine schützen kann. »Gemeinschaft, Gemeinschaft, Gemeinschaft!« ist ein Teil der Antwort darauf. Geteilter Schmerz wird zur Stärke – nur so können wir für das letzte Stück dessen kämpfen, was uns wirklich am Herzen liegt. Illusionen zu verlieren und falsche Hoffnungen aufzugeben wird uns dann nicht mehr schockieren und aufhalten.
Trotz des schweren Themas war die Stimmung auf dem Camp und in den meisten Workshops erstaunlich gut. Das Treffen von Bekannten aus den verschiedensten Bewegungen und die neuen Gemeinschaften waren inspirierend. Ich habe mir viele kluge Aussagen notiert, z.B.: »Kollapsakzeptanz ist kein Zustand, sondern das sich entwickelnde Wissen darum, dass es 1. schlimm wird, und dass es 2. in unserer Hand liegt, wie schlimm es wird. Deshalb fragen wir 3., was wir dazu brauchen, d.h. jetzt vorbereiten müssen.«
Welche Ansätze erkenne ich aus den Erkenntnissen und Erfahrungen des Camps für ökosozialistische Bestrebungen unter dystopischen Bedingungen? Zuerst einmal, dass Sicherheitsbedürfnisse wichtig sind und angesprochen werden müssen. Häufig sind sie der Grund, warum sich Menschen rechtspopulistischen Positionen anschließen – wir müssen ihnen andere Antworten auf ihre Sorgen anbieten. Sicherheit durch Gemeinschaft und Solidarität statt durch Individualisierung und den Ausschluss anderer.
Wir müssen den Schutz vor Angriffen der Rechten ausbauen, wir müssen den Arbeitsschutz ausweiten auf den Schutz vor Folgen des Klimawandels wie Hitze. Angesichts der grundlegenden Unfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaft, die Bedürfnisse aller zu erfüllen, sondern höchstens »zahlungsfähige Nachfrage« zu befriedigen, wird auch über die Übernahme der Versorgung nachgedacht, zuerst im Krisenfall. Dies weitet sich fast logisch in Richtung einer Übernahme der »ganzen Bäckerei« aus. Der (mögliche) Kollaps kann so zum Anlass für die Vergesellschaftung der lebenswichtigen Infrastrukturen und Produktionsmittel werden, verbunden mit einer Umorientierung vom Profitprinzip hin zur Versorgung aller mit allem Nötigen (außer Luxus für die bisher Privilegierten).
Um über das bloß Dystopische hinauszukommen, dürfen wir es nicht verleugnen. Die Kollapse kommen wahrscheinlich, viele sind ja schon da. Die Frage ist, ob wir es schaffen, ihnen gerecht, gemeinsam und solidarisch zu begegnen.
philosophenstuebchen.wordpress.com
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.
Kommentare als RSS Feed abonnieren