An den Rand notiert
von Rolf Euler
Im Oktober erging ein Urteil am Landgericht Erfurt, das in der Umweltszene Aufsehen erregte. In einem Verfahren um Schadenersatz wegen unzulässiger Dieselmotorabgaseinrichtung erklärte das Gericht, dass »die Beklagte Eigenrechte der Natur verletzt hat, die sich aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergeben«.
Hier wird der Begriff »Rechte der Natur« eingeführt, der seit einiger Zeit im Umlauf ist, weil die Verfassung von Ecuador seit 2008 diesen Rechtsgrundsatz enthält. In Spanien hatte vor einiger Zeit eine Lagune, die durch landwirtschaftliche Düngeeinträge zu versauern drohte, ebenfalls das »Recht auf Klage« erhalten. Und das kolumbianische Verfassungsgericht erklärte ein Gebiet um den Fluss Atrato zur juristischen Person mit eigenen Rechten auf Schutz und Erhaltung. Auch in anderen Ländern gibt es das Recht für Flüsse auf unbeschädigte Existenz.
Was es mit dieser relativ neuen Entwicklung in der Rechtsprechung auf sich hat, erläutert u.a. Cormac Cullinan im Lexikon Pluriversum. Neben natürlichen Personen gilt, dass juristischen Personen wie Vereinen oder Aktiengesellschaften ein eigenes Recht zusteht. Die Rechte der Natur sollen im gleichen Sinn als juristische Person eingeführt und behandelt werden, in Anerkennung der tatsächlichen Verhältnisse auf der Erde.
Da alles Leben auf irdischen Grundlagen letztlich eine Einheit bildet, in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander, wird argumentiert, dass dann auch alles und jedes – nicht nur Menschen – das Recht auf gute Existenz hat. Ein Fluss, der vom Bergbau vergiftet wird, eine Meeresbucht, die lebensfeindlich für Meerestiere wird, darf »vor Gericht gehen«, was aber auch heißt, dass Menschen ihre Sache vertreten müssen.
Der Mensch, der sich »die Erde untertan machen« sollte, hat in der kapitalistischen Ära die Ausbeutung der Natur auf eine Höhe getrieben, die an Grenzen stößt und immer mehr Teile der Natur – Wasser, Luft, Lebewesen – verändert und zerstört. Daraus folgende Natur»katastrophen« sind auch Anlass, dass sich die Sicht auf die »Rechte« der Natur geändert hat. Viele Vertreter dieser Ansicht beziehen sich auf Jahrtausende alte Erkenntnisse von Völkern und indigenen Menschen über die grundsätzliche Einheit des Lebens auf der Erde und die notwendige Sorgfalt des Umgehens mit der Welt. »Wir haben nur eine Erde«, ist auf allen Friday-Demos getragen worden. Also soll die Erde vor Gericht ziehen können, um gegen ihre Beschädigung zu klagen.
Offene Fragen – etwa wer darf oder muss »die Natur« vertreten – ergeben sich, Antworten müssen entwickelt werden. Das deutsche Umweltrecht, bei dem Verbände wie die Umwelthilfe oder der BUND klagen können, bezieht sich eher auf schädliche Einwirkungen auf die betroffenen Menschen selber. Auch hier muss das eigenständige »Recht der Natur« verdeutlicht werden.
Zum Weiterlesen: Rechte für Flüsse, Berge und Wälder. Eine neue Perspektive für den Naturschutz? Hrsg. Matthias Kramm. München: oekom, 2023.
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