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Amerika 1. Oktober 2025

›Das autoritäre Begehren begreifen‹
Interview mit Cara Daggett

Cara New Dagett ist US-amerikanische Politikwissenschaftlerin. Das Interview führten Karin Zennig und Christian Sälzer für den Rundbrief 2/25 von medico international, in dem die längere Originalversion zu lesen ist.

Die Klimakrise schreitet voran, gleichzeitig erleben wir eine weltweite Zunahme des Autoritarismus. Wie hängen diese Entwicklungen zusammen?

Zunächst einmal hat die Industrie der fossilen Brennstoffe schon immer eine autoritäre Seite. Seit dem Imperialismus des 19.Jahrhunderts, als die fossilen Brennstoffe an Bedeutung gewannen, speist sich die Wohlstandsakkumulation aus der Ausbeutung von Kohle, Öl und Gas. Dies führte zur Entstehung von Petrokulturen, in denen fossile Brennstoffe die materielle Grundlage sowohl der westlichen Vorherrschaft als auch ihrer liberalen Freiheiten und Werte bilden.
Das fossile Kapital ist auf den unbegrenzten Zugriff auf Rohstoffe angewiesen. Dieser ging immer schon auf Kosten der Natur, basierte auf Ausbeutung und wurde mit Macht durchgesetzt.
Die USA und Europa haben eng mit autoritären Regimen in Öl- und Gasförderländern zusammengearbeitet. Sie haben sie unterstützt und manchmal auch mit Gewalt an die Macht gebracht. In dieser Hinsicht haben sich unsere »Kohlenstoffdemokratien« mit dem Autoritarismus und in Abhängigkeit von ihm entwickelt. Neu ist, dass Teile der Gewalt, die weitgehend ausgelagert und unsichtbar gemacht worden war, nun in den imperialen Zentren selbst präsent ist.
Es ist ein »gewaltiger Bumerang« – so hat Aimé Cesaire einst beschrieben –, wie die imperiale Gewalt im Ausland die Grundlagen für den Faschismus in Europa legte.

Warum ist das so?

Die Klimakrise ist eine existenzielle Bedrohung, und letztlich ist man sich weitgehend einig, dass der Westen historisch gesehen die Hauptverantwortung dafür trägt. Der »American Way of Life« und seine Privilegien sind ölgetränkt und kohleverschmutzt. Es sollte auf der Hand liegen, dass sich diese Lebensweise ändern muss.
Den politischen Liberalismus führt das in eine Sackgasse: Da er nicht bereit ist, über eine Alternative zur kapitalistischen Produktion nachzudenken, hat er – zumindest in den USA – keine überzeugende Antwort auf die wachsende soziale Ungerechtigkeit oder die globalen Probleme. Es gibt keine liberale Vision für eine Umstellung der Lebensweise weg vom intensiven Energie- und Materialverbrauch. Was dem Liberalismus bleibt, ist das Hoffen auf technologische Lösungen und ein von Scham- und Schuldgefühlen geprägtes Konsumverhalten.
Diese politische Lücke wird von der extremen Rechten besetzt. Ihre Botschaft ist einfach, aber wirkungsvoll. Sie lautet: »Niemand braucht sich für diese Lebensweise zu schämen oder sich schuldig zu fühlen. Wir machen weiter wie bisher.« Der neue Autoritarismus ist also die reaktionäre Antwort auf die Verteidigung des gefährdeten Status quo und unserer Freiheiten mit allen Mitteln. Und zu dieser Freiheit zählt in den westlichen Gesellschaften wesentlich, unbegrenzt konsumieren zu können – und die allzeitige Verfügbarkeit von Energie mit allen erdenklichen Mitteln sicherzustellen.

Trump hat den alten republikanischen Slogan »Drill, baby drill« in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs gestellt.

Ja, er hat einen nationalen Energienotstand ausgerufen und dazu aufgerufen, die Förderung fossiler Brennstoffe zu entfesseln. Natürlich kommt dies den Profiten der Manager fossiler Brennstoffe zugute, die seine Kampagne finanziert haben. Aber es ist auch auf einer emotionalen und narrativen Ebene verlockend. Trump bietet eine willkommene Abwechslung von den Schuldgefühlen, der Resignation und der Lähmung, die sich mit der Klimakrise breitmachen. Die Petrokultur als ungerecht und gewalttätig in Frage zu stellen, bedeutet in diesem Sinne, den US-amerikanischen Exzeptionalismus und die amerikanische Identität in Frage zu stellen.
Es gibt hier eine Parallele dazu, wie die neue Rechte antirassistische, indigene und feministische Forderungen nach einem kritischeren Verständnis der amerikanischen Geschichte ablehnt: Sie will sich einfach nicht schuldig fühlen. Entsprechend bejaht und feiert der Trumpismus fossile Brennstoffe.

Gleichzeitig demonstrieren Milliardäre dies mit ihren Superyachten und Flügen ins All – weil sie es können.

Diese Form des verschwenderischen Verhaltens ist nicht auf die Eliten beschränkt. Der auffällige Verbrauch fossiler Brennstoffe kann auch für die arbeitende Bevölkerung und die Mittelschicht von symbolischer Bedeutung sein. In den USA gibt es das bemerkenswerte Phänomen der »Roll­ing Coal«: Menschen bauen den Dieselmotor ihrer Lastwagen extra so um, dass er besonders rußige Abgaswolken produziert.
Das zeigt, wie sehr die Erotik der Herrschaft mit der Industrialisierung der fossilen Brennstoffe verknüpft ist. Es sind symbolische Formen der Macht, die vielen ein Gefühl von Handlungsfähigkeit in einem System vermittelt, das ansonsten nur wenig Sicherheit bietet.

Ist der neue Autoritarismus auch eine Reaktion auf eine verunsicherte Männlichkeit?

Diesen Zusammenhang haben ich mit dem Begriff Petromaskulinität zu fassen versucht. Die fossile Brennstoffindustrie ist nicht nur ein wirtschaftlich-technisches System. Sie ist Teil eines umfassenden Geflechts von Privilegien und Hierarchien, das seit Jahrzehnten kulturelle Bedeutung prägt. Geschlecht und Energietechnologien bedingen sich gegenseitig. Sie führten zu neuen Formen der Arbeits- und Wohnorganisation, die eine moderne Geschlechterordnung mit industriellen »Ernährer«-Ehemännern, die von Hausfrauen unterstützt werden, stärkten. Dies ist Teil dessen, was die deutsche Ökofeministin Maria Mies die »Hausfrauisierung« der Welt nannte.
Petromaskulinität bezeichnet die Konvergenz von Autoritarismus, fossilen Brennstoffen und patriarchaler Macht. Diese politische Formation begreift die Welt als Rohstoff und maßt sich das Recht an, auf ihn zuzugreifen, ihn auszubeuten und zu vernutzen. In diesem Sinne feminisiert Petromaskulinität die Natur und naturalisiert die Reproduktionsarbeit.

Die Stunde des Autoritarismus schlägt in dem Moment, in dem beide Systeme in der Krise sind: Die fossile Energiewirtschaft wegen der Klimakrise, die Geschlechterhierarchie und -binarität wegen der feministischen und queeren Selbstbehauptung?

Genau. Misogynie und Klimaleugnung sind strukturell miteinander verbunden. Sie verteidigen gewohnte Hierarchien und privilegierte Freiheiten. Psychopolitisch gesehen sind es gewaltsame Kompensationen für aufkommende Ängste und Ohnmacht angesichts der Komplexität globaler Systeme, einschließlich der Ökosysteme.
Tatsächlich sind die lautstärksten Klimaleugner und führenden Befürworter fossiler Brennstoffe in der Regel weiße, konservative Männer. Sie unterstützen den Trumpismus, weil er ihnen Sicherheit gibt: Sie dürfen wieder »richtige Männer« sein, sie dürfen so viel Energie verbrauchen, wie sie wollen, und sie dürfen ihre Macht über Frauen geltend machen.
Der Punkt ist, dass die extreme Rechte die Klimakrise nicht einfach ignoriert – sie wehrt sich aktiv dagegen und gegen alles, was damit zusammenhängt, einschließlich der Verweigerung der Verantwortung für diejenigen, deren Lebensgrundlagen durch die globale Erhitzung zerstört werden. Die Klimakrise ist eine Situation, in der die Dinge zunehmend außer Kontrolle geraten. Das erklärt den autoritären Wunsch nach einer Führung, die behauptet, alles im Griff zu haben. Das ist es, was Trump ständig tut: Er gibt vor, enorme Macht und alles unter Kontrolle zu haben.

In deinem Buch benutzt du die Metapher des »bewaffneten Rettungsboots«. Was verstehst du darunter?

Im Gegensatz zur vermeintlichen Heuchelei des Liberalismus sagt die extreme Rechte genau das: »Hey, es ist ein gewalttätiges System, aus dem einige als Gewinner hervorgehen. Also lasst uns alles tun, was wir können, um ›unsere‹ Leute und Dinge zu schützen.« Sie geht aggressiv gegen jeden vor, der ihr den Platz in diesem Boot streitig machen könnte.
Die faschistische Weltanschauung ist von einem Gefühl der Apokalypse motiviert. Das drohende Unheil ist die Rechtfertigung für Gewalt. Wenn die Flut kommt, ist das Rettungsboot sehr wohl der Ort, an dem man sein möchte – also muss man es verteidigen.
Dies zeigt die zerstörerische Kraft des fossilen Autoritarismus: Er macht sich die Tatsache zu eigen, dass der Verbrauch fossiler Brennstoffe unbestreitbar zerstörerisch ist und in einer Katastrophe enden wird. Vielleicht zeigt dies, wie nahe wir dem Faschismus sind: Der Faschismus hatte schon immer einen inhärenten Todestrieb.

Was würdest du dem Ganzen entgegenstellen?

Die Leugnung des Klimawandels kann nicht als Versagen der wissenschaftlichen Kommunikation und der Vernunft verstanden werden. Man muss das autoritäre Begehren begreifen, das hinter diesem Narrativ und seiner breiten Akzeptanz steht.
Zweitens muss die Energiewende eine Energietransformation sein, es geht nicht nur um einen Wechsel der Brennstoffe, sondern auch darum, für wen und was Energie verbraucht wird. Dies könnte wie eine Kombination aus Degrowth – für diejenigen, die in materialintensiven Kulturen leben – und der Abkehr von extraktiven Wirtschaftssystemen aussehen, die den Aufbau ökosozialistischer und anderer ökologisch großzügiger Systeme ermöglicht.
In meiner feministischen Perspektive müsste das aufgewertet werden, was die Petromaskulinität abwertet, sei es Sharing oder Care-Arbeit, sei es die Nutzung von Wind- oder Solarenergie in Gemeinschaftsbesitz, sei es die Anerkennung unserer Abhängigkeit von anderen Menschen und unseren Ökosystemen. Konzepte des nachhaltigen Wachstums oder des grünen Kapitalismus geben immer noch vor, dass man eine klimaneutrale Wirtschaft betreiben kann, ohne grundlegende Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse zu verändern. Das wird nicht funktionieren.

Cara New Dagett: Petromaskulinität. Fossile Energieträger und autoritäres Begehren. Berlin: Matthes & Seitz, 2025. 72 S., 12 Euro

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