Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Geschichte 1. Dezember 2025

Das Reich Gottes
von Angela Klein

Der Rückgriff auf das Evangelium war damals allen gemeinsam, die gegen die Präpotenz der Kirche und der Landesfürsten aufbegehrten: Bauern, Städtern, Handwerkern, Kaufleuten, Gesellen und Tagelöhnern – und den Reformatoren der verschiedenen Richtungen, die mit ihren unterschiedlichen Akzenten unterschiedliche Klasseninteressen zum Ausdruck brachten.

Während Luther die dezidiert ­bürgerliche Richtung bediente, die zwischen den Fürsten und dem ­»gemeinen Mann« in Stadt und Land schwankte und die Abschaffung von Eigentum und Privilegien auf die Kirche beschränkt wissen wollte, erkannten sich die Bauern zumal im Südwesten Deutschlands eher in Zwingli wieder, der das Evangelium als Richtschnur auch für die weltlichen Belange verstanden wissen wollte und für eine republikanische Ordnung eintrat.
Eine dritte Richtung vertrat ­Thomas Müntzer. Er stand in der Tradition des sog. ketzerischen Kommunismus, die sich seit dem 11.Jahrhundert durch das ganze europäische Mittelalter hindurchzieht.
Diese Richtung, die sich zunächst allein auf die Forderung nach innerkirchlichen Reformen und auf die Praxis von Gegenentwürfen in Form von Apostelbrüderschaften nach dem Vorbild der urchristlichen Gemeinden konzentrierte, griff mit der Zeit mehr und mehr in die Welt hinaus, in dem Maße, wie die Kirche selbst verweltlichte.
Waldenser, Taboriten, Täufer brachten unterschiedliche Ausprägungen solcher Gemeinschaften hervor: ihnen allen war das Gemeineigentum an Konsumtionsmitteln, die Ehelosigkeit und die Abschaffung des gesonderten Priesteramts sowie eine Endzeiterwartung gemeinsam: Gott werde eingreifen und dem Jammer auf der Erde ein Ende machen.
Müntzer sticht hervor, weil er in dem allgemeinen Aufruhr, der in den Monaten April und Mai 1525 den großen Teil der deutschen Lande von Basel bis Karlsruhe, von Straßburg bis Zwickau, vom Allgäu über das Neckartal und Franken bis in den Harz erschütterte, das Zeichen sah, dass die Zeit für den allgemeinen Umsturz der christlichen Welt gekommen sei.
Er begnügte sich nicht mehr damit, eine gesonderte Gemeinschaft zu gründen, obwohl auch er seinen Geheimbund schuf. Aber das war keine sesshafte Gemeinschaft, die auf einem auserkorenen Fleckchen Erde einen gesellschaftlichen Gegenentwurf praktizierte, das war eine Schar von Aposteln, die in seinem Auftrag in alle Welt zogen, um den bevorstehenden Umsturz zu predigen und die Notwendigkeit, sich darauf vorzubereiten und zu bewaffnen.

Müntzer war kein Bauer, er stammte aus Stolberg im Harz, das durch den Aufschwung des Bergbaus und damit einhergehend des Handwerks in der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts zu Ansehen und Reichtum gekommen war. Er kannte die Not der proletarischen Schichten in der Stadt und die Übergriffigkeiten der Landesfürsten. Er war studiert, ein Wanderprediger, der in Zwickau, einer reichen Tuchmacherstadt, unter den Einfluss der Täufer kam.
Dieser Richtung hing der Geheimbund der Tuchmachergesellen an; in ihrer Kirche predigte er. Sachsen war zu der Zeit das Zentrum der kommunistischen Bewegung.
Auch Müntzer begann damit, die Privilegien der Priester in Frage zu stellen; noch vor Luther zelebrierte er die Messe in deutscher Sprache, strich daraus die Wandlung und reichte das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Beichte und Zölibat, das Fasten, die Bilderverehrung schaffte er ab. Er bekämpfte den Klerus und forderte den direkten Zugang des Volkes zu Gott.
Doch anders als für Luther war ihm die Bibel nicht alles. Als Mystiker kam für ihn die Erkenntnis der Wahrheit nicht aus der Schrift, sondern aus der Offenbarung.
Aber dabei er blieb nicht stehen – von der Apokalypse hatte er eine sehr diesseitige, materielle Auffassung. Als er wieder einmal aus einer Stätte seines Wirkens, diesmal Mühlhausen, ausgewiesen wurde, wandte er sich nach Süddeutschland, wo er im Herbst/Winter 1524/25 die Bauernaufstände erlebte. Da wusste er, die Zeit war gekommen.
Ein Bauernführer war er nicht. In Frankenhausen, einer thüringischen Salzstadt, war es Ende April zu einem Aufstand der Salzarbeiter gekommen, dem sich Bauern und Arbeiter aus verschiedenen Grafschaften Thüringens und Sachsens anschlossen.
Müntzer hoffte darauf, dass die Bergleute des nahegelegenen Mansfelds, disziplinierte und gut bewaffnete Haufen, sich mit den Aufständischen verbünden würden; darauf richtete er seine ganze Kraft. Es scheint eine reale Möglichkeit gewesen zu sein, jedenfalls unternahmen die Grafen von Mansfeld alles, um die Bergleute zu besänftigen und von einem Schulterschluss mit den Bauern abzuhalten – es gelang ihnen.
In Frankenhausen wurde Müntzer wie auch andere zu Hilfe gerufen, als sich abzeichnete, dass gleich drei fürstliche Heere im Anmarsch waren: Hessen, Sachsen und Waldburg. Müntzer eilte, doch mit ihm gingen aus Mühlhausen nur 300 Getreue; auch die Tuchmachergesellen aus Zwickau und an vielen anderen Orten blieben sitzen.
An dem Berg, der heute Schlachtberg heißt, wurde am 14. und 15.Mai ein Blutbad angerichtet, das den Erhebungen der Bauern das Genick brach.

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