Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Globalisierung/Krieg 1. Dezember 2025

Russenangst und Drohnenhysterie
von Paul Michel

Durch gezielte Desinformation erzeugen bellizistische Kreise unter tätiger Mithilfe der »seriösen« Presse in der Bevölkerung jenes Angstklima, das sie empfänglich machen soll für die Akzeptanz des gigantischen Hochrüstungsprogramms. Hier zwei konkrete Beispiele.

Der Russe kommt noch früher
Mitte Oktober waren in praktisch allen deutschen Zeitungen auf Seite eins Artikel zu finden, die eine dramatische Warnung von BND-Chef Martin Jäger vor einem angeblich drohenden russischen Angriff zum Gegenstand hatten. Jäger behauptete, der russische Angriff auf die NATO werde nicht im Jahr 2029, sondern bereits ein Jahr früher erfolgen.
Wer solch schwere und folgenreiche Behauptungen aufstellt, sollte dafür gewichtige Argumente haben, etwa Zitate aus einem einschlägigen russischen Geheimdossier oder den Mitschnitt einer abgehörten Unterhaltung von Putin in seinem Führungszirkel. Bei der Durchsicht des entsprechenden Artikels in der Süddeutschen Zeitung (und anderen Zeitungen) fanden sich allerdings lediglich Allgemeinplätze wie: »In Europa herrscht bestenfalls ein eisiger Frieden, der punktuell jederzeit in heiße Konfrontation umschlagen kann«, oder: »Wir stehen heute schon im Feuer« – verbunden mit der Warnung, Russland wolle die NATO unterminieren und Demokratien in Europa destabilisieren.
Alle großen Zeitungen sahen allerdings trotz dieser Banalitäten keinen Grund, auch nur schüchtern anzumahnen, dass die Belege für die schwerwiegende Behauptung doch wohl ein wenig dürftig sind. So werden substanzlose Behauptungen zu Tatsachen. Eine billige Propagandastory bekam den Anschein von Seriosität.
Ein Merkmal solcher Alarme von Bellizisten ist: Scharfmachergedonner statt konkreter Fakten und Belege. Stets wird dabei von der Unterstellung ausgegangen, dass Russland der NATO militärisch haushoch überlegen sei, obwohl in Wirklichkeit das Gegenteil der Fall ist:
Eine von Greenpeace Anfang des Jahres veröffentlichte Studie zum Kräfteverhältnis zwischen NATO und Russland ergibt, dass in praktisch allen Waffengattungen die NATO Russland um den Faktor drei bis fünf überlegen ist. Ein Angriff Russlands auf die NATO wäre also absolut selbstmörderisch. Hinzu kommt: Weder der BND-Chef noch andere Alarmisten liefern eine Erklärung dafür, warum die russische Führung so wahnsinnig sein sollte, einen selbstmörderischen Angriff auf den militärisch weit überlegenen Gegner NATO zu planen, mit einer Armee, der es in über drei Jahren Krieg nicht gelungen ist, den personell und militärtechnisch völlig unterlegenen Nachbarn Ukraine zu besiegen.

Drohnenhysterie
Zweites Beispiel: Just in jenen Tagen, da der BND-Chef seine »Warnung« absetzte, schwappte eine Welle von Drohnenhysterie über das Land hinweg. Dazu »dröhnten« deutsche Politiker und »Militärexperten« mit viel Vermutungswissen: »Der Russe ist’s!« Bundeskanzler Friedrich Merz sprach am 5.Oktober von einer »ernsthaften Bedrohung unserer Sicherheit«.
Dabei war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt, dass der Drohnenvorfall vom 3.Oktober am Frankfurter Flughafen auf einen 41jährigen »Hobbydrohnenpiloten« zurückzuführen war. Und die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hatte bereits die Meldung veröffentlicht, dass die Schließung des größten Flughafens Litauens nicht auf russische Drohnen, sondern auf Heißluftballons zurückzuführen sei, die von Zigarettenschmugglern genutzt werden.
Auch in den nordischen Ländern mussten die Hysteriker den Rückwärtsgang einlegen. In Norwegen wurden am 30.September drei junge Deutsche (alle Anfang 20) kurzzeitig festgenommen, weil sie eine Drohne in der verbotenen Fünf-Kilometer-Zone rund um den Flughafen Røssvoll gestartet hatten. Auch hier erklärten die Behörden, dass diese Vorfälle »keinem staatlichen Akteur zugeordnet werden konnten«.
Ein besonders eindrücklicher Fall, wie schnell nach der Sichtung einer Drohne ohne jede vorherige Untersuchung nach NATO-Unterstützung gerufen wird, spielte sich Mitte September in Polen ab. Am 19.September berichtete die Zeit: »Der polnische Staatsschutz hat eine Drohne über dem Präsidentenpalast ›neutralisiert‹. Polens neuer Präsident Karol Nawrocki bittet die NATO um Unterstützung.« Doch die Darstellung des polnischen Staatschefs wurde später korrigiert: Einer der Festgenommenen war ein junger Ukrainer, die andere Person seine 17jährige belarussische Freundin.
So ziemlich alle »Russen-Drohnen«-Berichte im September und Oktober aus Deutschland, Polen, Frankreich, Norwegen, Litauen und Dänemark haben sich mittlerweile als unbegründet herausgestellt. Das müsste den Renommiermedien eigentlich bekannt gewesen sein. Dennoch bekamen die Alarmmeldungen fast ausnahmslos einen Platz auf Seite eins. Klarstellungen wurden hingegen oft gar nicht veröffentlicht oder schafften es allenfalls zu einer versteckten Kurzmeldung auf einer der hinteren Seiten.
Die großen Medienhäuser fungieren hier als willige Verstärker der Kriegshysterie. Die herrschende Praxis der Desinformation spielt Leuten wie Merz und Söder bei der Durchsetzung der Hochrüstung in die Hände.

Die Informationen zum Thema Drohnenhysterie sind einem Text von Florian Warwig entnommen, der am 7.Oktober auf den Nachdenkseiten erschien.

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