Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Buch 1. Dezember 2025

…erzählt mit Zeichnungen und Sprechblasen
von Nele Johannsen

Giulio Camagni: 1525. Der Aufstand. Wien: Bahoe, 2024. 128 S., 28 Euro

Auch dieses Buch ist etwas für den Gabentisch – ansprechend illustriert und leicht verständlich erzählt, bringt es den Bauernkrieg auch Menschen ohne Vorkenntnisse näher.

Mit 1525. Der Aufstand legt der italienische Historiker und Künstler Giulio Camagni ein eindrucksvolles Werk über eine der bedeutendsten, aber oft übergangenen sozialen Bewegungen der europäischen Geschichte vor. Nach seiner ersten Graphic Novel über Kaiser Maximilian I. (2022) widmet er sich nun jenen, die gegen Obrigkeit und Kapital aufbegehrten und brutal zerschlagen wurden. Eine begleitende Ausstellung zur Novel fand dieses Jahr von Februar bis Oktober in Memmingen statt, einem zentralen Schauplatz der Bauernbewegung: Hier wurden die Zwölf Artikel verfasst, hier predigte der Reformationsgeistliche Christoph Schappeler. Die Ausstellung war damit mehr als Begleitmaterial – sie war Teil einer lokalen Erinnerungspolitik.
Inhaltlich spannt das Buch einen weiten Bogen: Von den frühen Revolten des »Armen Konrad« über die Rolle der Reformation bis hin zur Eskalation des Aufstands beleuchtet Camagni komplexe Verläufe, Gegensätze und Dynamiken. Die Schauplätze reichen von Memmingen über Nürnberg bis nach Tirol und Brandenburg, mit Schwerpunkt auf dem oberrheinisch-württembergischen und allgäuischen Raum, wo die Aufstände besonders früh und heftig ausbrachen. Im Laufe der Novel begegnen wir historischen Persönlichkeiten wie dem radikalen Reformer Thomas Müntzer, dem wortgewandten Bauernschreiber Sebastian Lotzer, Martin Luther, dem Herzog Ulrich von Württemberg und dem gefürchteten Bauernschlächter Georg Truchsess von Waldburg.
Die Widersprüchlichkeit der Reformation wird sichtbar: Während Prediger wie Schappeler zur Auflehnung ermutigten, hetzte Luther gegen die Bauern mit den Worten: »Man soll sie zerschmeissen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.« Wer hier gegen wen kämpfte, ist nicht immer entlang der Ständegrenze zu fassen. Oft standen Landsknechte, Söldner und Tagelöhner im Sold der Fürstenarmeen.
Camagnis Darstellung lebt von einer gelungenen Verbindung aus handwerklicher Malerei und historischer Erzählstruktur. Die Aquarelltechnik und der Einsatz gedeckter Farben verleiht der Graphic Novel atmosphärische Tiefe. Die Gesichter sind gezeichnet vom Leben; Emotionen wie Wut, Angst oder Entschlossenheit wirken glaubhaft. Camagni verzichtet auf eine durchgehende Hauptfigur mit psychologischem Tiefgang, stattdessen organisiert sich die Erzählung entlang historischer Konfliktlinien, Schauplätze und Entscheidungsmomenten, wodurch eine vielstimmige Chronik der Revolte entsteht. Entsprechend setzt der Autor auf sachlich-informative Textfelder, die Hintergründe, Einordnungen und Zusammenhänge liefern.
Die in Comicmanier natürlich trotzdem eingesetzten dialogischen Sprechblasen machen das Geschehen erfahrbar. Die Gewalt, mit der Bauern und Stadtbewohner:innen niedergeschlagen wurden, wird nüchtern, aber nicht distanziert gezeigt. Nicht effekthascherisch, aber auch nicht beschönigend. Was das Buch besonders macht, ist nicht nur seine visuelle Kraft, sondern auch seine Haltung: Es geht nicht um Identifikation mit Held:innen, sondern um ein vielschichtiges Bild einer gesellschaftlichen Bewegung.
Die Lektüre erfordert aufmerksames Lesen, um nicht den Überblick über die vielen Ortswechsel, Fronten und Akteur:innen zu verlieren. Doch der Aufwand lohnt sich. 1525. Der Aufstand bietet eine alternative Form der Geschichtsvermittlung, sowohl für die Sinne als auch den Verstand. Was sonst in trockenen Texten unterzugehen droht, wird hier lebendig – ohne Pathos, aber mit politischem Impuls. Oder wie Alex Lapp, Leiter der Mewo Kunsthalle Memmingen, gegenüber dem Bayrischen Rundfunk feststellte: »Entweder macht man einen 2000-Seiten-Wälzer, für den man kein Publikum findet, oder man versucht es auf eine andere Weise.«
Camagni hat sich für letzteres entschieden und liefert dadurch eine kraftvolle Erinnerung daran, dass Rechte erkämpft wurden und niemals selbstverständlich sind. Passend schließt das Buch mit den Worten: »Vergessen wir nie, wie viel Mut, wie viel Leid die Rechte, die wir heute genießen, über Generationen von Träumerinnen und Träumern gekostet haben, und vergessen wir nicht, dass wir ihrer jederzeit beraubt werden können.«

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