Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Patriarchat 1. Dezember 2025

›An fast keinem Arbeitsplatz war eine Frau zu sehen‹
von Gisela Notz

Zum »Internationalen Jahr der Frau« (IWY), das die UNO für das Jahr 1975 ausgerufen hat, fanden unter dem Motto »Gleichheit, Entwicklung, Frieden« in vielen Ländern der Erde Veranstaltungen statt. Große Kongresse wurden in Mexiko-Stadt und in Berlin, der damaligen Hauptstadt der DDR, veranstaltet. Auch in Bonn, der Hauptstadt der BRD, wurde gefeiert. Kaum jemand spricht heute noch davon.

Aufsehen erregten hingegen die Isländerinnen. Dort begannen die Vorbereitungen zum IWY bereits im Frühjahr 1974. Fünf große Frauenorganisationen des Landes bildeten ein Komitee und organisierten am 20. und 21.Juni 1975 einen Frauenkongress in der Hauptstadt Reykjavík. Er sollte der Höhepunkt des isländischen IWY sein. Dabei blieb es jedoch nicht.
Auf dem Kongress bildete sich eine Gruppe von acht höchst unterschiedlichen Frauen und forderte die anwesenden Frauen auf, sich am 24.Oktober desselben Jahres, dem Tag der Vereinten Nationen, »einen Tag frei zu nehmen, um die Bedeutung der von ihnen verrichteten Arbeit zu demonstrieren«. Ihr Antrag wurde mit großer Mehrheit angenommen.
Die Idee zu einem Frauenstreik war nicht neu. Das »Redstocking Movement« (die »Rotstrumpf-Bewegung«) hatte im Zuge der Formierung der »neuen Frauenbewegung«, die auch vor Island nicht Halt machte, bereits 1970 die Idee aufgeworfen und immer wieder eingebracht. Die acht Frauen taten sich mit der Redstocking-Bewegung zusammen und informierten Gewerkschaften, Frauenorganisationen und andere Interessengruppen über den Kongressbeschluss.
Die Zustimmung zum »freien Tag« wurde immer breiter. Die zweitgrößte Frauengewerkschaft in Island war die erste, die die Streikaktion finanziell unterstützte und damit andere Organisationen und politische Gruppierungen ermutigte, dies ebenfalls zu tun. Die Zeit war knapp, aber das hatte auch Vorteile.
Die folgenden (Werbe-)Kampagnen waren genau auf den Tag ausgerichtet. Nachrichten, Anzeigen und Artikel wurden in den Zeitungen veröffentlicht und berichteten über die Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen, sexuelle Belästigung, Gewalt gegen Frauen und die Ungleichheit zwischen Geschlechtern und gesellschaftlichen Klassen.
Zwei Tageszeitungen füllten das gesamte Jahr über wöchentlich eine Seite mit diesen Themen. Rundfunk und Fernsehen sendeten Interviews, um viele Menschen über die geplanten Aktionen zu informieren.
Die Gruppe Öffentlichkeitsarbeit versendete 47.000 Briefe mit der Überschrift: »Warum ein freier Tag für Frauen?« Sie enthielten Texte und Statistiken zur sozialen Lage von Frauen in der Stadt und auf dem Lande. Alle sollten streiken. Aufkleber mit dem Text »Freier Tag für Frauen« zierten Kleidungsstücke, Handtaschen, Hauswände, Litfaßsäulen und Fenster.

Streik oder ›freier Tag‹ (›day off‹)
In einigen Fragen, z.B. ob der Streik einen ganzen Tag oder nur einige Stunden dauern sollte, konnte man sich schnell einigen. Schließlich erschien ein ganzer Tag wirkungsvoller und auch leichter zu organisieren. Schwieriger war es mit der Frage, ob man die Aktion »Streik« oder »Freier Tag« nennen sollte. Man einigte sich auf »Freier Tag«. Das war nicht unumstritten. Einige Frauen fanden das bis heute unbefriedigend, sie zogen den Begriff »Streik« der offiziellen Bezeichnung vor.
Streik oder »Freier Tag«, auf alle Fälle sollte es sich um »Kampf – nicht um ein Festival« handeln. Am Streiktag selbst trugen Frauen Plakate mit unterschiedlichen Botschaften; die Ernsthaftigkeit der Aktionen war nicht zu übersehen. Lebensmittelgeschäfte warben damit, dass sie kostenlos Rezepte an Männer verteilen würden, die zum ersten Mal kochen mussten. Ein Radioprogramm gab Anleitungen zum Einkauf und zur Zubereitung von Hot Dogs.
Weniger lustig, aber sexistisch waren Witze wie: »Soll der Streik auch die Nacht hindurch dauern?« Das Lachen der Männer verstummte bald.

Der ›Freie Tag‹
Der 24.Oktober 1975 war ein milder Tag ohne Regen. Der einzige Radiosender Islands begann sein Programm mit feministischen Liedern. Die Leitartikel aller Tageszeitungen setzten sich mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft auseinander.
25.000 bis 33.000 Frauen nahmen um 14 Uhr an der Demonstration in Reykjavík teil, angeführt wurde sie von einer Frauenblaskapelle. Auf der zweistündigen Abschlusskundgebung sprachen eine Gewerkschaftsfrau, eine Hausfrau und eine Verkäuferin. Die Frauenrechtsorganisation und die Redstocking-Bewegung führten kurze Programme vor.
Zwei von den drei Frauen, die damals einen der sechzig Sitze im isländischen Parlament innehatten, hielten Reden, die dritte schicke ein Grußwort aus dem Ausland. Alle Rednerinnen riefen die Frauen dazu auf, politisch aktiv zu werden. Vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler führten eine Chronik zur Geschichte der isländischen Frauen auf. Eine bekannte Opernsängerin intonierte gemeinsame Lieder.
Ähnliche Veranstaltungen fanden auch an anderen Orten statt, sodass insgesamt über 90 Prozent der isländischen Frauen an dem Streik beteiligt waren. Fast an keinem Arbeitsplatz war eine Frau zu sehen.
Dass der Tag ein so großer Erfolg würde, hatten die Frauen nicht vor­ausgesehen. Die Frauen erfasste ein unglaubliches Gefühl von Solidarität und Stärke – sie hatten sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.

Was bleibt?
Bei der letzten Neuauflage des Streiks im Jahr 2023 stellte sich heraus, dass 48 Jahre später die Errungenschaften wieder zurückgedreht wurden. Vor allem die Gewalt gegen Frauen in der Familie und in der Partnerschaft nimmt wieder zu, wie in vielen anderen Ländern auch. Auch im Beruf werden Frauen nach wie vor benachteiligt. Obwohl sie – wie in Deutschland auch – inzwischen besser ausgebildet sind als Männer, verdienen sie im Schnitt 21 Prozent weniger. Das geht nur, weil Berufe mit hoher Frauenquote bis heute systematisch schlechter entlohnt werden. Männer ohne Ausbildung gehen in die Fischerei oder die Aluminiumindustrie und verdienen dennoch gut. Frauen können das nicht. Und Migrantinnen werden auch in Island besonders niedrig bezahlt.
Wir müssen weiterkämpfen, bis die Forderungen unserer Streiks in keinem Land mehr zukünftig sind:

Zu Ende sei, dass kleine Leute schuften für die Großen,
her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen.

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