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Patriarchat 1. Juni 2025

›Wir sind die Mehrheit, aber wir haben sie nicht‹
von Gisela Notz

Auf der 29. Generalversammlung der Vereinten Nationen (UNO) 1972 wurde für 1975 ein Jahr der Frau beschlossen. Es sollte unter dem Motto »Gleichheit, Entwicklung, Frieden« stehen. Ausgangspunkt war die unbefriedigende Lage von Frauen in allen Ländern der Welt und die Bedrohung des Weltfriedens. Die Neue Frauenbewegung setzte eigene Akzente.

Zeitgleich verkündete die UNO den 8.März als »Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden«. Schließlich tobte nicht nur der Krieg in Vietnam, sondern auch der Kalte Krieg, der mit zunehmender Aufrüstung und Drohungen zwischen West und Ost ausgetragen wurde. Im Laufe des Jahres fanden zahlreiche Veranstaltungen statt, die sich mit der weltweiten Situation der Frauen beschäftigten.

Die erste UN-Weltfrauenkonferenz
Vom 19.Juni bis zum 22.Juli 1975 wurde in Mexiko-Stadt im Rahmen des UNO-Jahres der Frau (IWY) die erste sechstägige UN-Weltfrauenkonferenz abgehalten. Warum Mexiko? Als Frauen von New Yorker Nichtregierungsorganisationen erfuhren, dass die zentrale Veranstaltung in Berlin/DDR, »hinter dem Eisernen Vorhang« stattfinden würde, setzte sich das US-Außenministerium für eine internationale Konferenz in Mexiko-Stadt ein.
Dort diskutierten etwa 6000 Delegierte aus 133 Staaten, 31 zwischenstaatlichen und 113 nichtstaatlichen Organisationen sowie von sieben nationalen Befreiungsbewegungen über »Gleichheit, Entwicklung und Frieden«. Fast fünf Sechstel der Teilnehmenden waren Frauen. BRD und DDR hatten jeweils eigene Delegationen geschickt.
In ihrer Eröffnungsrede führte die finnische Diplomatin und Frauenrechtlerin Hilvi Sipilä vor Augen, welche Schlüsselstellung die Frau bei der Lösung dringender Probleme wie der Bevölkerungsentwicklung und der Ernährung einnimmt. Die Konferenz bot ein buntes Bild einer großen Welt-Schwesternschaft. Der Schein der internationalen Solidarität konnte jedoch die Heterogenität des Meinungsspektrums und der gelebten Realität der Frauen aus aller Welt nicht überdecken.
Trotz aller Auseinandersetzungen gelang es am Ende, eine Abschlusserklärung zur Gleichberechtigung der Frau, einen »Weltaktionsplan« sowie 34 Entschließungen zu verabschieden. In vielen Ländern, auch in der DDR und in der BRD, wurden anschließend nationale Programme aufgestellt.

Der Weltfrauenkongress in Berlin
Er fand vom 19. bis 24.Oktober 1975 unter dem gleichen Motto statt. Fast 2000 Delegierte aus über 200 nationalen und internationalen Organisationen kamen nach Berlin. Der Erste Sekretär des ZK der SED, Erich Ho­necker, eröffnete den Kongress in der Werner-Seelenbinder-Halle. Der Kongress sollte den Teilnehmenden einen positiven Eindruck über die Rolle der Frau in der sozialistischen Gesellschaft vermitteln.
Die sozialistischen Länder waren keinesfalls unter sich, wie oft berichtet. Delegierte kamen auch aus vielen westlichen Ländern. 52 Frauen umfasste die Delegation der DDR, 17 Delegierte aus der BRD kamen von der Initiative Internationales Jahr der Frau ’75.
Während die sozialliberale Bundesregierung den Kongress ignorierte, waren Frauen aus den westdeutschen Frauenfriedensbewegungen aktiv an der Organisation beteiligt. Die Initiative war ein selbständig organisierter Zusammenschluss, der Veranstaltungen und Aufrufe mit Hilfe von Spendengeldern finanzierte. Sie forderte die Bundesregierung auf, die UNO-Ziele für 1975 vollständig umzusetzen.
An der Spitze der Delegation stand Alma Kettig (1915–1997), eine Linkssozialistin, die zwischen 1953 und 1965 für die SPD im Deutschen Bundestag saß und dort gegen Wiederbewaffnung, atomare Bewaffnung, NATO und Notstandsgesetze kämpfte.

Veranstaltungen in der BRD
In der BRD wurde das Internationale Jahr der Frau von staatlicher Seite vom Deutschen Frauenrat organisiert. Die damalige Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Katharina Focke (SPD, 1922–2015), die am 19.November 1974 in Bonn das Kuratorium vorstellte, versäumte nicht zu versichern: »Das Internationale Jahr der Frau ist keine Kampfansage an die Männer.« Und der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) versicherte seinerseits, er habe »etwas für die Frauen übrig«.
Kritisiert wurde, dass Focke in das Kuratorium auch Vertreter von Institutionen berufen hatte, an denen Schritte zur Gleichberechtigung bislang gescheitert waren. Dazu gehörte ein katholischer Bischof, der Präsidenten der Arbeitgeberverbände und der Intendant der Deutschen Welle.
Das Programm der Bundesrepublik umriss Focke mit der geplanten Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Frauen. Sie verwies auf die Solidarität der Bundesregierung, die der UNO bei den Entwicklungsprogrammen zur Seite stünde.
Die Schirmherrschaft für die Veranstaltungen hatte Annemarie Renger (1919–2008), damals als erste Frau Präsidentin des Deutschen Bundestags. In ihrer Rede zur Eröffnungsveranstaltung am 9.Januar 1975 in der Beethovenhalle in Bonn, zu der der Deutsche Frauenrat eingeladen hatte, betonte auch sie ihre Loyalität gegenüber den Männern, durch deren Votum sie ihr Amt bekommen habe. Sie appellierte an die Zusammenarbeit von Parlament und Regierung, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und sonstigen Organisationen und Verbänden, Schulen und Wissenschaft, Betrieben und Familien.

Schöne Reden
Die Aktivistinnen der Neuen Frauenbewegung empfanden die Veranstaltung, die nach sorgfältiger Auswahl der Geladenen im Saal stattfand, als Verhöhnung. Sie waren nicht eingeladen und bekamen auch keinen Zutritt.
Mitglieder des »Frauenforums Bonn« (gegr. 1972) und andere Frauengruppen verkleideten sich als Putzfrauen, statteten sich mit Eimern, Kochtöpfen und Kochlöffeln aus und ketteten sich an ein Geländer vor der Beethovenhalle. Unter ohrenbetäubendem Lärm sangen sie: »Schöne Reden sprengen unsere Ketten nicht!« und: »Kinder, Küche und Fabrik, wir scheißen auf dies Frauenglück!« sowie: »Wir sind die Mehrheit, aber wir haben sie nicht!«
Annemarie Renger drückten sie einen offenen Brief in die Hand, in dem sie unter anderem darauf hinwiesen, dass die Gleichberechtigung in der BRD »nur ein Recht auf Papier« sei. Von der Regierung, dem zuständigen Ministerium und den Verbänden verlangten sie, Konzepte vorzulegen, die das Recht auf Gleichberechtigung endlich Alltagswirklichkeit werden lassen sollten.
Alle Rundfunksender begannen ihre Berichterstattung mit dem Kochgeschirr-Konzert, 18 überregionale Tageszeitungen berichteten über das Ereignis, zum großen Teil mit Fotos.
Annemarie Renger stritt in ihrer Rede die noch bestehenden vielfältigen Diskriminierungen der Frauen nicht ab. Der Staat müsse die Voraussetzungen dafür schaffen, das sich jeder entwickeln und frei entscheiden könne, aber »die Kraft sich zu verwirklichen muss jeder selbst aufbringen«, sagte die Politikerin und gab die Verantwortung an die Frauen zurück.
Titel wie »Feilschen um den Schlusstext« oder »Ein teures Kaffeekränzchen« zeigten, wie negativ die Weltfrauenkonferenz von der Presse aufgenommen wurde.
Heute, 50 Jahre nach den großen Konferenzen und nach drei weiteren Weltfrauenkonferenzen (1980 in Kopenhagen, 1985 in Nairobi, 1995 in Peking), erleben wir weltweit eine zunehmende Ungleichheit. Nicht nur junge Menschen sorgen sich um ihre Zukunft angesichts von Umwelt- und Klimakrisen und kriegerischen Auseinandersetzungen, die täglich ungezählte Menschenleben kosten. Der Weltfrieden, der vor 50 Jahren gefordert wurde, ist in weite Ferne gerückt.

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