Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Afrika 1. Dezember 2025

Deutschlands Umgang mit seinen Kolonien aus afrikanischer Sicht

Ayse Tekin im Gespräch mit Eli Abeke

Im offiziellen Sprachgebrauch waren die von Deutschland besetzten und ausgebeuteten Gebiete in der Welt »Schutzgebiete«. Ab 1880 angeeignet und nach dem Ersten Weltkrieg zwangsläufig abgegeben, waren die deutschen Kolonien nicht Bestandteil des Reichsgebiets, sondern »überseeischer Besitz des Reichs«.

In Form von privaten Vereinen verfolgte das Deutsche Reich das Ziel, Überseegebiete in Konkurrenz zu Großbritannien und Frankreich zu erobern; gemessen an der Fläche war es die drittgrößte Kolonialmacht hinter den beiden Konkurrenten.
Eine Aufarbeitung der Kolonialgeschichte, die neben wirtschaftlicher Ausbeutung auch Raub der Kulturgüter bedeutete, und der Folgen für die Erinnerung der Menschen in diesen Ländern gab es lange nicht.

Eli Abeke ist in Sapele (Nigeria) geboren und in den 80er Jahren zum Studium nach Bremen gekommen. Seit 2001 lebt und arbeitet er als selbständiger Architekt in Köln. Er engagiert sich in der SPD und im Ausschuss für Chancengerechtigkeit und Integration.
Mit Eli Abeke sprach Ayse Tekin.

Eli, was denken die Menschen aus der afrikanischen Community, die heute in der BRD leben, über Kolonialismus und Erinnerungskultur?

Wir müssen eins berücksichtigen: Die Menschen, die seit den 80er Jahren oder früher nach Deutschland oder Europa gekommen sind und weiterhin kommen, sind grundsätzlich aus wirtschaftlichen Gründen hier oder sie möchten studieren.
Da kann ich sagen, dass das Bewusstsein für dieses Thema innerhalb der afrikanischen Community nicht so ausgeprägt ist, weil die Menschen dort andere Sorgen haben. Sie müssen arbeiten, ihre Familie ernähren, gegen die Last ihrer Erfahrungen mit Rassismus kämpfen usw. Sie müssen erstmal existieren, überleben. Aber mit der Zeit, durch unser Engagement, haben wir es tatsächlich geschafft, viele mit ins Boot zu holen. Seit den 90er Jahren haben wir tatsächlich einige Veranstaltungen organisiert, wo wir primär über Kolonialismus diskutierten.

Schritte zur Wiedergutmachung mit Widerwillen
In der Mehrheitsgesellschaft gab es ab den 60er Jahren eine kritische Bewertung der Kolonialgeschichte, in den 90er Jahren, im Zeichen der Globalisierung, noch einmal und schließlich beging man in 2019 100 Jahre Abgabe der Kolonien. Seitdem gibt es im heutigen Deutschland eine stärkere Sichtbarkeit der Folgen des Kolonialismus im Deutschen Reich. Es gibt zwei herausragende Themen: Wiedergutmachung an Herero und Nama und Rückgabe der gestohlenen oder erworbenen Kulturgüter. Fangen wir mit dem ersten Thema an: 80 Prozent der Nama und die Hälfte der Herero wurden massakriert. Es gab Konzentrationslager, die später von den Nazis kopiert worden sind. Ist das ein Thema in der Community?

Oh ja, es ist ein Thema. Es ist sehr, sehr schmerzhaft. Aber Deutschland hat natürlich versucht, das Ganze unter den Tisch zu kehren. Im Jahr 2021 gab es ein Abkommen, bei dem die Regierung Namibias 1,1 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfe erhielt, und es gab eine Entschuldigung.
Aber es gibt noch Forderungen: Erstens soll Deutschland die Schuld akzeptieren, dass es ein Völkermord war. Die Menschen sagen, Geld wird unserer Leid nicht mehr wiedergutmachen. Notwendig ist eine völkerrechtliche Anerkennung des Völkermords.
Des weiteren haben damals die Europäer, auch die Deutschen, Leichen einbalsamiert und mitgenommen. Diese Leichen wurden hier in Europa von Museum zu Museum weitergereicht. Auch sie müssen zurückgegeben werden.
Ich habe als Student eine schmerzvolle Erfahrung damit gemacht: Ich sollte eine Aufgabe im Fach Baugeschichte erledigen und ging dafür ins Überseemuseum. Da sind Gegenstände wie Speer, Pfeil und Bogen, die die Menschen damals benutzt haben um sich zu verteidigen, teilweise mit Blut beschmiert. Dann wurde ich vom Museumswärter in den Keller geführt, wo einbalsamierte Leichen lagen. Er sagte, »es tut mir leid, dass ich dich hierher bringen muss, aber ich finde, das musst du sehen, weil die Öffentlichkeit das nicht weiß«.
Ich zitterte am ganzen Körper. Später hat das auch mein Professor gesehen und wir haben mit dem AStA zusammen versucht, die Stadtgesellschaft zu informieren. Aber wir fanden kein Gehör, und irgendwann habe ich gesagt, okay Eli, du musst erstmal dein Studium beenden. Aber das ist noch präsent im Kopf. Namibia fordert die Herausgabe der mitgenommenen Körper, bisher ohne Erfolg.

»Völkerkunde«museen mit Raubkunst
Im Gegensatz zur Rückgabe der Kulturgüter. Da sind bisher einige zurückgegeben worden. Sollen alle zurückgehen?

Je nachdem, wie man das sehen möchte. Es gibt einen kulturellen und einen rituellen Aspekt, bei dem die betroffenen Menschen eine seelische Verbundenheit fühlen. Die Sachen müssen komplett zurückgegeben werden. Komplett, denn es ist auch ihre Entscheidung, was sie damit machen. Es gibt Argumente wie das, die Sachen würden kaputt gehen. Ja, dann lass die Sachen kaputt gehen.
Ein dritter Aspekt ist der materielle. Mit diesen Objekten werden Einnahmen generiert. Bis sie komplett zurückgegeben werden, müssen diese Einnahmen zu 100 Prozent oder zu 80 Prozent an die Völker gehen, von denen die Sachen gestohlen wurden.

Ein Teil der Objekte wurde dem Oba (König) in Nigeria übergeben. Das wurde auch kritisiert.

Ich will jetzt nicht sagen, ob das richtig oder falsch ist. Man muss wissen, dass diese Kulturgüter aus dem Oba-Palast rausgenommen wurden. Jetzt ist ein anderes Regime da. Ein Teil des Landes war das ehemalige Königreich Benin und ist jetzt unter der derzeitigen nigerianischen Regierungsverwaltung. Also, sie müssen dann tatsächlich miteinander reden. Aber das meint den Oba des ehemaligen Königreichs Benin und die Regierung Nigerias.

Letztes Jahr gab es eine Ausstellung, Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg, die entstand, weil schwarze Jugendliche bei einem Workshop in Aachen hörten, dass an der Befreiung Aachens durch die US-Armee auch schwarze Soldaten beteiligt waren. Das war nicht nur im Zweiten Weltkrieg so, auch im Ersten Weltkrieg kämpften Soldaten aus den Kolonien für die späteren Besatzungsmächte in Deutschland. Das wissen nur sehr wenige, und wenn sie es wissen, dann ist es in Form von rassistischem Wissen: Die hätten Deutschland geschändet, das war damals die Ansage. Also, von Weißen besetzt zu werden, ist okay, aber wenn Schwarze kommen, ist das Schändung. Es gibt einerseits eine Beschäftigung mit dem Thema, aber diese Ebene erreicht die Bevölkerung nicht? Was denkt die junge Generation darüber?

Ich würde sagen, es kommt auf das Elternhaus an. Tatsächlich gibt es Eltern, die sich dieser Geschichte bewusst sind und versuchen, ihre Kinder da mit hineinzunehmen. Aufklärung im Elternhaus ist notwendig, aber auch die Aufnahme von Unterricht über die Kolonialgeschichte in den Lehrplan deutscher Grund- und weiterführender Schulen. Denn in der Schule wird sehr wenig darüber unterrichtet. Vielleicht einmal im Jahr werde ich von Schulen angerufen, meistens ab der 9.Klasse, die nach Kenntnissen über Kolonialismus fragen.

Erinnerung der Betroffenen
Wie kommt diese Diskussion oder Nichtdiskussion in den 54 Ländern Afrikas an?

Durch digitale Verbindungen kann man heute fast live mitbekommen, was hier in Köln oder irgendwo in Europa passiert. Das hat dazu geführt, dass viele in den afrikanischen Ländern mitbekommen haben, dass hier Rassismus existiert. Bis dahin sind viele sehr naiv aufgrund ihrer Prägung, denn sie haben ja in der Schule eingebläut bekommen, dass unser System und unser gesellschaftliches Establishment weniger wertvoll sind.
Das große Problem sind die Lehrbücher in den jeweiligen Ländern, denn sie geben die koloniale Sichtweise wieder. Seit einigen Jahren versucht man, all diese kolonialen Bücher abzuschaffen.
Es gibt durchaus sehr viel Kritik an Europa. Aber das größte Problem sind die afrikanischen Staaten selbst. Die jeweiligen Regierungen, bis auf zwei, drei Länder südlich der Sahara, sind überhaupt nicht daran interessiert, das Land politisch und wirtschaftlich so zu organisieren, dass man unabhängig bleibt. Durch Korruption und Vetternwirtschaft fließt sehr viel in eigene Taschen. Dadurch wird in den Bereich Bildung oder in den sozialen Bereich gar nicht investiert.

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