Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Ein Jahresrückblick
von Wolfgang Pomrehn

Was für ein Jahr. Schon im Januar fing es im Washingtoner Weißen Haus absehbar scheußlich mit der Amtseinführung Donald Trumps an, der unmittelbar begann, ein gut tausendseitiges Programm der extremen Rechten umzusetzen.

Wenige Tage später schlug der Blackrockkanzler Friedrich Merz ein paar erste, große Steine aus der »Brandmauer«, indem er im Bundestag gemeinsam mit der AfD einen rassistischen Entschließungsantrag für mehr Abschiebungen durchbrachte.
Das war die Begleitmusik zu einem gigantischen Aufrüstungspaket, dem mit Abstand größten in der Geschichte der Bundesrepublik, das im März, noch vor Zusammentreten des neuen Bundestags, von einer ganz großen Koalition auf den Weg gebracht wurde.
Nur die Linke verweigerte die Zustimmung, doch auch das nicht einhellig. Im Bundesrat hoben ihre Vertreterinnen und Vertreter die Hand für das Paket, sodass die Bundeswehr nun zur größten Streitmacht des Kontinents ausgebaut werden kann, wie Merz vollmundig verkündet. Hatten wir das nicht schon mal? Klingelt es da wirklich bei niemandem?
Bei den großen Medien offensichtlich nicht, und die Grünen sorgen eher dafür, dass Petra Kelly im Grabe wie ein Brummkreisel auf Steroiden rotiert. Auch die SPD, bei den Neuwahlen im Februar fast auf (einstige) FDP-Maße gestutzt, stört sich nicht weiter an den Merzschen Großmachtträumen.
Überhaupt sind sich die beiden vormaligen Volksparteien in wesentlichen Fragen wie Aufrüstung, Unterstützung Israels, Aufbau der Gasinfrastruktur, weitere Privatisierung der Gesundheitsversorgung und bei manch anderer sozialer Grausamkeit weitgehend einig – sieht man einmal von gelegentlichem Geplänkel ab.
Ähnlich sieht es in den Ländern aus. Im Berliner Senat läuft die Zusammenarbeit nicht nur beim Abbau von Fahrradwegen und einer gnadenlosen Auspuffpolitik prächtig. Und wenn es um die rassistische Repression von Palästinasolidaritätsdemos geht, passt nicht einmal ein Blatt Papier zwischen die beiden Koalitionspartner.

Terror gegen Einwanderer
Das hat inzwischen selbst das Hohe Kommissariat für Menschenrechte der UN (UNHCHR) auf den Plan gerufen. Mitte Oktober haben »UN-Fachleute Deutschland aufgefordert, die Kriminalisierung, Bestrafung und Unterdrückung legitimer Solidaritätsaktivitäten für Palästina einzustellen. ›Wir sind alarmiert über die anhaltende Polizeigewalt und die offensichtliche Unterdrückung von Solidaritätsaktivitäten für Palästina durch Deutschland‹«, heißt es auf der Webseite des UNHCHR, und weiter: »(D)ie Verwendung außenpolitischer Begründungen und der Missbrauch des Einwanderungsrechts, um Aktivisten die Staatsbürgerschaft zu verweigern oder sie auszuweisen, sind alarmierend.«
Alarmierend ist auch, dass Teile der Linksliberalen die Repression rechtfertigen und auch viele Linke Schwierigkeiten haben, sich mit den von der Polizeigewalt Betroffenen zu solidarisieren.
Das hat unter anderem auch einen wichtigen klassenpolitischen Aspekt: Die Repression wendet sich nämlich ganz überwiegend gegen Migrant:innen und damit auch – wenn auch nicht ausschließlich – gegen jenen Teil der Arbeiter:innenklasse, der es ohnehin durch Rassismus und Staatsbürgergesetz besonders schwer hat sich zu wehren, und daher in die am schlechtesten bezahlten Jobs gezwungen werden kann.
Noch gewalttätiger als hierzulande wird dieser Teil der Klasse in den USA angegangen:
»Dutzende von Beamten kommen in unmarkierten Autos, mit Gewehren und kugelsicheren Westen an. Sie tragen zunehmend Skimasken, zeigen keine Dienstmarken und weigern sich sich auszuweisen, was die Angst vor ihren Razzien noch verstärkt. Arbeiter ohne Papiere werden mit Handschellen gefesselt, in gemietete Transporter geworfen und weggebracht. Viele werden in Haftanstalten auf der anderen Seite des Landes verfrachtet, bevor ihre Angehörigen oder Einwanderungsanwälte überhaupt von ihrer Inhaftierung erfahren, und dann mit weniger als einem Tag Vorankündigung abgeschoben. Bislang hat die (Einwandererpolizei) ICE während der zweiten Amtszeit von Trump über hunderttausend Menschen festgenommen«, berichtete der Korrespondent der australischen Zeitung Green Left Ende Oktober aus Los Angeles.

Kein Ende in Sicht
Derweil will in Palästina der unter den Augen der Weltöffentlichkeit ablaufende Völkermord einfach kein Ende nehmen. Trotz Waffenstillstandsabkommen töten israelische Soldatinnen und Soldaten weiter in Gaza, und auch in der Westbank geht der Terror weiter.
Das UN-Büro für die Koordination Humanitärer Angelegenheiten OCHA berichtete Anfang November, dass in der Westbank seit Jahresbeginn über 200 Personen durch die israelische Armee getötet wurden. Ein Fünftel von ihnen seien Kinder und Jugendliche gewesen. 260 Überfälle von Siedlern auf palästinensische Dörfer habe es im Oktober gegeben – die höchste Zahl, seit das Büro 2006 begonnen habe, diese Fälle zu dokumentieren.
OCHA berichtet weiter unter Berufung auf das UN-Menschenrechtsbüro, dass zwischen dem 7.Oktober 2023 und dem 5.November 2025 mindestens 80 Palästinenser, darunter ein 17jähriger Jugendlicher, in israelischer Haft starben. 51 von ihnen kamen aus dem Gazastreifen, 27 aus dem Westjordanland und zwei waren palästinensische Bürger Israels.
Ferner hätten sich Anfang November neben knapp 6000 weiteren palästinensischen Häftlingen auch 3368 in sog. Administrativhaft befunden, das heißt, sie saßen auf unbestimmte Zeit ohne Anklage oder Gerichtsverfahren im Gefängnis. Weitere 1205 Personen wurden, ebenfalls ohne Anklage, als »unrechtmäßige Kämpfer« festgehalten.
Diese Aufzählung soll auf keinen Fall als Aufrechnung gegen die entführten Israelis verstanden werden. Beides ist unmenschlich und zu verurteilen. Anzumerken ist nur, dass die meisten deutschen Medien über diesen wichtigen Teil der Geschichte nur in seltenen Ausnahmefällen berichten.

Rechter Aufschwung
Das alles geschieht vor dem Hintergrund eines Aufschwungs der extremen Rechten in praktisch allen Ländern des politischen Westens und darüber hinaus. Ob in Israel, Argentinien, Indien, Bolivien, Indonesien oder Japan, überall haben wir die seit langem am weitesten rechts stehenden Regierungen.
London erlebte im September mit 100.000 Teilnehmenden die vermutlich größte faschistische Demo seiner Geschichte, und selbst in Irland, wo Ende Oktober Catherine Collins mit einer klaren Agenda für Neutralität, Frieden und soziale Gerechtigkeit zur ersten linken Präsidentin gewählt wurde, rührt sich die extreme Rechte. Immerhin 11 Prozent der Wählerschaft waren ihrem Aufruf gefolgt, ungültig zu wählen.
Kaum ein EU-Land, in dem es 2025 keine Erfolge faschistischer und rassistischer Parteien gegeben hätte. Mancherorts sitzen sie bereits in der Regierung. Die Ursache dürften meist neben der Schwäche der Linken die Verwüstungen sein, die der Neoliberalismus in den letzten gut vierzig Jahren angerichtet hat.
Zum Glück gibt es aber im globalen Maßstab auch einige Lichtblicke. Von Bangladesh über die Türkei, Nepal, Indonesien, Philippinen, Peru, Marokko, Serbien bis nach Osttimor regt sich eine junge Generation, die Generation Z, mit mal anhaltenden, mal auch nur kurzlebigen Protesten gegen Regierungen, undemokratische Verhältnisse, Korruption und soziale Ungerechtigkeit.
Manche dieser Bewegungen lassen sich allerdings auch im Rahmen der neuen Großmachtauseinandersetzungen vor den Karren zweifelhafter Interessen spannen, wenn sie, wie etwa in Georgien, mit EU-Fahnen auf die Straße gehen – Fahnen jener EU, die massive Kriegsvorbereitungen betreibt, immer weiter nach rechts rückt und seit 2015 rund 30.000 Menschen im Mittelmeer ertrinken ließ.

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