Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2025

Der Migrant als Sündenbock
von Gerhard Klas

Friedrich Merz spielt sich gerne als Vollstrecker des Volkswillens auf. So am 29.Januar, als er im Bundestag zusammen mit den Stimmen von FDP und AfD den Antrag der Union zur Verschärfung der Migrationspolitik durchbrachte.
»Das Richtige wird nicht falsch, weil die Falschen zustimmen«, so seine vordergründig bestechende Logik. Die Antwort kann nur lauten: Das Falsche bleibt falsch, auch wenn die Mehrheit dafür stimmt.

Erstens: Der Antrag der Unions-Parteien, nun Grundlage für Koalitionsverhandlungen, ist durch und durch rassistisch, weil er Asylbewerber pauschal zu Verdächtigen macht, dauerhafte Grenzkontrollen und die Zurückweisung bei ausnahmslos allen Versuchen illegaler Einreise fordert. Personen, die »vollziehbar ausreisepflichtig« sind, sollen inhaftiert und in leerstehende Kasernen gesteckt werden. 220.000 »Ausreisepflichtige« leben heute in Deutschland, die allermeisten mit einer Duldung. Sie arbeiten in der Pflege, der Gastronomie und diversen Dienstleistungsbranchen.
Merz verwies zur Antragsbegründung auf die Attentate von Mannheim, Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg. Er zeichnete ein Bild, als wäre jeder abgelehnte Asylbewerber ein potenzieller Terrorist. Dabei ist er bei weitem nicht der einzige Scharfmacher in der Partei.

Zweitens: Wären gesellschaftliche Mehrheiten tatsächlich ein Leitmotiv, warum gibt es dann keine Vermögensteuer, keine Bürgerversicherung, keine wirksamen Mietpreisbremsen, keinen konsequenten Klimaschutz, die in den meisten Umfragen von mehr als der Hälfte der Befragten befürwortet werden? Ganz einfach: Hier handelt es sich um Forderungen, die den Vermögenden nicht gefallen. Genau denen fühlen sich CDU, CSU, FDP und auch viele Politiker:innen in anderen Parteien aber mehr verpflichtet als denen, die sich um Arbeit und Umwelt sorgen.
Anders gesagt: Je weniger Politi­ker:innen zur Lösung der großen Menschheitsfragen – soziale Ungleichheit, Kriege und Umweltzerstörung – beizutragen haben, um so lauter ihr Geschrei nach »Abschiebung« und umso vehementer ihre Versuche, die Gesellschaft zu spalten: in Menschen mit und ohne deutschen Pass, in Arbeitende und Bürgergeldbeziehende usw. Sie brauchen Sündenböcke.
Selbst die polizeiliche Kriminalstatistik bietet keine Grundlage dafür, Geflüchtete und Migrant:innen für eine außerordentliche »Gefährdung der Sicherheit« verantwortlich zu machen. Dennoch verfängt diese absurde Erzählung immer wieder: Die schlimmen Amokläufe werden verallgemeinert, in rassistischer Manier der Herkunft der Täter – und nicht etwa ihrer psychi­schen Erkrankung – zugeschrieben und zum nationalen Notstand stilisiert.
Völlig ausgeblendet bleiben dabei die rechtsextremen Taten von Halle und Hanau und die des NSU, denen Dutzende von Migrant:innen zum Opfer fielen – und die vielen rassistischen Straftaten, die 2024 einen traurigen Höhepunkt erreichten. »Vor fünf Jahren wurde Hanau als Zäsur bezeichnet. Jetzt tobt ein rassistischer Wahlkampf«, beklagt Cetin Gültekin, dessen Bruder und acht weitere Migrant:innen am 19.Februar 2020 in Hanau ermordet wurden. Seine Aussage steht für das Entsetzen, das sich bei vielen der knapp 25 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland breit macht.

Aber es gibt auch Menschen, die zusammen mit ihnen auf die Straße gehen – und es sind nicht wenige. Allein in München protestierten 250.000 Menschen – es war die größte Demonstration hierzulande gegen Rassismus. Nur wenige Tage später fuhr erneut ein Attentäter mit seinem Auto in eine Kundgebung der Gewerkschaft Ver.di, tötete eine Frau und ein Kind und hinterließ viele Schwerverletzte. Der bayerische Ministerpräsident Söder ließ es sich nicht nehmen, in gewohnter Manier wenige Stunden nach dem Attentat auf den afghanischen Migrationshintergrund des Täters hinzuweisen und »wöchentliche Abschiebeflüge« dorthin zu fordern.
Er hatte die Rechnung ohne die Betroffenen gemacht: Sie wiesen seine Hetze zurück und forderten in einem Brief, »dass der Tod und der Verlust nicht benutzt werden darf, um Hass zu schüren und ihn politisch zu instrumentalisieren«. Eine Position, der sich auch der Ver.di-Vorsitzende und der Münchner Bürgermeister anschlossen.
Als die AfD auf einer Kundgebung hetzte und anschließend am Tatort mit Blumen und Kerzen der Opfer gedenken wollte, stellten sich ihnen Überlebende des Attentats, Angehörige, Ver.di-Mitglieder und andere Antifaschist:innen entgegen. Die Rechten kamen nicht durch.
So kann, so muss dem Rassismus begegnet werden. Denn Migration dient wie kaum ein anderes zum Dauerthema Sündenbock: Selbst eine Regierung von CDU/CSU und AfD könnte nicht alle Grenzen dicht machen.
Letztendlich geht es auch gar nicht darum, Migration zu verhindern oder rückgängig zu machen. Ziel ist vielmehr eine Entrechtung immer größerer Teile der Bevölkerung. Menschen ohne Rechte und Aufenthaltstitel sind ein gefundenes Fressen für jeden Ausbeuter: Um sein Überleben hierzulande zu sichern, muss er oder sie sich in sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse begeben. Menschen ohne Papiere haben dann weniger Rechte als jedes Haus- oder Nutztier.
Auch das sind Lehren aus der NS-Zeit, mit ihrem gigantischen Apparat der Zwangsarbeit, von denen bis heute einige der reichsten Familien hierzulande profitieren. Dem müssen wir uns entgegenstellen. Egal wie sich die nächste Koalition zusammensetzt.

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