Alle nach Gießen am 29. November
von Marina Hoffmann
In ganz Deutschland bilden sich Bündnisse mit dem Ziel, am 29. November die Neugründung der AfD-Jugendorganisation zu blockieren.
Die alte AfD-Jugendorganisation, die Junge Alternative für Deutschland (JA), hatte Verbindungen zur Neonazi-Szene, zur Identitären Bewegung und war noch extremer als die AfD selbst.
Einer der Taktgeber aus der AfD, der immer wieder Treffen der JA organisierte, sprach im Landtag von »migrantischen Mördern«, »importierten Schlachtergesellen« und »Bestien«, während Mitglieder der JA bei öffentlichen Veranstaltungen und auf Fotos immer wieder die rassistische White-Power-Geste zeigten.
Der Verfassungsschutz hat die JA als »gesichert rechtsextrem« eingestuft. Nach einem gescheiterten Einspruch im Eilverfahren trennte sich die AfD daher offiziell von der JA, woraufhin sich diese Ende März dieses Jahres auflöste. Von einer Kaderschmiede für zukünftige Mitglieder war die JA zu einer immer größeren Gefahr für die AfD geworden, ein Verbot der radikalen Jugendorganisation hätte ein Verbot der Hauptpartei nach sich ziehen können.
Die Alten stacheln die Jungen an
Am 29.11.2025 plant die AfD in Gießen nun, eine neue Jugendorganisation zu gründen. Arbeitstitel: »Generation Deutschland« – diesmal direkt in die Parteistrukturen eingegliedert und damit offizielle Parteijugend für alle Parteimitglieder unter 36 Jahren, damit aber nicht weniger gefährlich.
Einer der Verantwortlichen ist bspw. der AfD-Bundestagsabgeordnete Hannes Gnauck, früher Vorsitzender der JA und bekennender Verschwörungsideologe, der in einer öffentlichen Rede einen gesteuerten Bevölkerungsaustausch behauptete.
Die AfD gibt vor, durch die Eingliederung eine strengere Kontrolle über die jungen AfD-Mitglieder ausüben zu können und die extremen Kräfte zu mäßigen. Fakt ist aber, dass die Extremsten der Partei teilweise ehemalige JA-Mitglieder sind und die Parteijugend auch danach noch mitorganisierten.
Bei einem AfD-Treffen, das die Sendung Kontraste mit ihrem Dokufilm Die Höcke-Jugend verdeckt begleitet, hält der Verantwortliche für die Jugend im Landesvorstand der AfD einen Vortrag. Thema unter anderem: die aktuell angebrachte »Taktik«. Er spricht von Kleingruppen, die sich in der »Übergangsphase« von einer Organisation zur anderen bereits gebildet hätten und lobt das Potenzial.
Im Nachhinein gibt er noch Tipps im kleinen Rahmen. Solche Kleingruppen könnten von der Jugendorganisation geschult werden, um gerade noch im Graubereich zu bleiben und dem Verfassungsschutz die Argumente für ein Verbot nicht direkt zu liefern. Dafür solle die AfD-Fahne bei Aktionen auch mal zuhause gelassen werden, um mehr Spielraum für Provokationen zu haben. »Provokationen«, zu denen vermutlich auch Gewalt gehört, um die Kontrolle über die Angst zu behalten.
Ängste
Ich habe Angst. Angst, nicht genug zu verdienen, keine Wohnung zu finden, keine Familie gründen zu können. Ich habe sehr große Angst, dass ich meine Zukunft nicht selbst bestimmen kann. Der großflächig fortschreitende Rechtsruck, der mich und viele andere ganz konkret bedroht, kommt noch hinzu. Es ist kaum zu ertragen, wenn rassistische und sozialdarwinistische Aussagen konsequenzlos von Politiker:innen verbreitet, und Themen wie (Massen-)Abschiebung oder Wehrpflicht immer einseitiger diskutiert werden können. Gegenüber der aktuellen Lage fühle ich mich machtlos. Hilflos.
Den meisten geht es wie mir. Gerade junge Menschen haben wenig Zukunftsperspektiven und suchen nach Lösungen oder fliehen in die Ablenkung. Je einfacher, desto besser. Einfache Antworten auf komplexe Probleme finden sie bei der AfD. Egal, was das Problem ist, die Antwort lautet immer: die Ausländer, die anderen, die nicht sind, wie »wir«, die imaginierte, »deutsche« Gemeinschaft. So eine »Gemeinschaft« bietet Sicherheit und einen Grund, die Wehrpflicht gar nicht so schlecht zu finden.
Ich sehe die Probleme bei einer Sparpolitik, die nicht investiert, bei einer schrumpfenden Industrie und wachsenden Kulturkämpfen, die sich mit den politischen Botschaften verquicken, Kulturkämpfen, die die AfD oft vorgibt.
Einige Menschen haben vor allem Angst davor, dass andere ihnen das Wenige streitig machen, das sie haben. Diese Menschen sind offen für Radikalisierung von rechts. Bei den letzten Landtagswahlen in Thüringen wählten Menschen unter 25 zu 38 Prozent die AfD. Deshalb könnte die neue Jugendorganisation, die die AfD Ende November gründen will, die größte rechte Jugendorganisation in ganz Deutschland werden.
Björn Höcke sprach auf X (ehemals Twitter) davon, die JA werde wie ein Phönix aus der Asche steigen, und zitierte im gleichen, inzwischen gelöschten Post die Hitlerjugend: »Jugend muss durch Jugend geführt werden.« Für viele in der ehemaligen JA ist der Faschist Höcke ein Idol.
Gegenwehr
Doch es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Aktuell organisieren sich in ganz Deutschland Bündnisse mit dem Ziel, zu demonstrieren und die Neugründung der JA zu blockieren. Zuletzt organisierte das Aktionsbündnis widersetzen im sächsischen Riesa 15.000 Menschen gegen die AfD. Trotz kurzer Vorbereitungszeit kamen die Demonstrierenden mit 200 Bussen und verzögerten den Bundesparteitag durch zivilen Ungehorsam um zwei Stunden.
Ähnliches ist in Gießen geplant. Die neu gegründeten Azubis gegen Rechts, die Studis gegen Rechts, denen auch ich angehöre, sowie widersetzen arbeiten seit Wochen zusammen, um für den 29.11. zu organisieren. Erneut rechnen die Organisator:innen mit mindestens 200 Bussen, die früh morgens in Gießen ankommen sollen.
Auch in Gießen selbst gibt es wichtige, spontane Unterstützung. Hotels und Catering, die für die Veranstaltung gebucht wurden, sagten der AfD kurzfristig ab, sodass sie jetzt nach Alternativen sucht. widersetzen fordert auch andere Hotels in Gießen dazu auf, sich diesem Akt der Zivilcourage anzuschließen.
Die Mobilmachung läuft auf verschiedenen Ebenen – auf Social Media, in Freundeskreisen, in politischen Gruppen und Parteien – zumindest in der Linken. Allein in Köln trafen sich am 6.11. rund 700 Menschen zu einer antifaschistischen Stadtversammlung, auf der auch der lokal beliebte Rockmusiker Stephan Brings und die Künstlerinitiative Arsch huh vertreten waren. Gastgeber:innen waren die Ver.di-Jugend, Studis gegen Rechts, Azubis gegen Rechts, widersetzen Köln und Die Linke Köln. »Als Kölner:innen haben wir uns entschieden, nicht länger tatenlos zuzusehen, wie sich die AfD mit ihrem rechtsextremen, gewaltbereiten Umfeld organisiert, sondern gemeinsam aktiv zu werden«, hieß es in einer Pressemitteilung der Einladenden.
Während manche bei der Jungen Alternative bezweifeln, ob es in Auschwitz wirklich Gaskammern gab, oder glauben, dass die bürgerlichen Parteien eine »Umvolkung« veranstalten, und ihre Aussagen wie Aktionen krasser werden, weiß ich, dass meine Angst nicht durch »Remigration« und eine starke Bundeswehr gelöst wird.
Glücklicherweise bin ich damit nicht allein. Mir geht es wie vielen, vielen anderen. Wir müssen nur aktiv werden.
Ich werde vor Ort sein, berichten und die Neugründung der AfD-Jugend blockieren. Wer am 29.11. Zeit hat und sich als antifaschistisch versteht, kommt nach Gießen um zu zeigen, dass wir keine Handbreit dem Faschismus lassen. Unsere Mittel sind ziviler Ungehorsam und Zivilcourage, wir werden uns widersetzen.
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