In der Falle
von Kurt Hofmann
Die Viennale ist das größte internationale Filmfestival Österreichs. Es findet jährlich in der zweiten Oktoberhälfte statt und versteht sich als Plattform für anspruchsvollen Autoren-, Arthouse- und Experimentalfilm. Auch heuer, in ihrer 63.Ausgabe, bot sie wieder ein ebenso vielfältiges wie qualitativ hochwertiges Programm.
Geu Jayeoni Nege Mworago Hani
(What does that Nature say to you)
Südkorea 2025
Regie: Hong Sangsoo
Noch eine letzte Zigarette, bevor Donghwa wieder in sein Auto steigt, um in die Stadt zurückzufahren. Er hat Seonhee vor ihr imposantes und weithin sichtbares Elternhaus gefahren, weiter soll es für ihn nicht gehen. Aber seine Freundin ermuntert ihn zu einem kleinen Rundgang. Allerdings ist das Haus nicht leer…
Als erstes trifft Donghwa auf Seonhees Vater. Man begrüßt einander mit ausgesuchter Höflichkeit. Der Vater, so nebenbei betonend, dass er eben ein teures, mit vielen Extras ausgestattetes Auto erworben habe, lobt Donghwas alte Karre in höchsten Tönen – so ein funktionstüchtiger Wagen, wie der noch fahre, und das nach so vielen Jahren… Drei Jahre lang hat Donghwa es erfolgreich vermieden, von Seonhees Eltern befragt zu werden, und damit möglicherweise in die Bredouille zu geraten. Und Seonhees Eltern sind, ebenso wie deren ältere Schwester, wissbegierig, wenn auch stets mit einem Lächeln auf den Lippen und Komplimente verteilend.
Donghwa erkennt, dass er in der Falle sitzt. Ein Poet sei er, erzählt Seonhee und verdiene trotzdem sein eigenes Geld: mit bei ihm in Auftrag gegebenen Hochzeitsvideos.
Donghwa, der Poet, hat freilich einen ebenso reichen wie einflussreichen Vater, einen Anwalt, der sogar regelmäßig im Fernsehen zu Rechtsfragen konsultiert wird. Darauf wird Donghwa unentwegt von Seonhees Familie angesprochen, so nebenbei, doch stets mit Nachdruck. Obwohl Donghwa keinen Fehler begehen will, ist er in diesem einen Punkt, wenn auch sonst stets lavierend, ausnahmsweise furchtlos: er, der freie Poet, bedürfe nicht der Unterstützung seines allseits präsenten Vaters. Beim Essen mit Seonhees Familie fließt der Alkohol. Das ist nicht vorteilhaft für den keineswegs trinkfesten Donghwa.
Der neue Film von Hong Sangsoo, ist, so man eine derartige Behauptung überhaupt aufstellen darf, eine (süd-)koreanische Screwball-Comedy. Sehr vergnüglich, wie hier hinter den landesüblichen Höflichkeitsfloskeln der Subtext für Untergriffe genutzt wird. Und wie während des Essens Seonhees Schwester bei jedem Satz die Wendung: »Aber dein Vater ist ja auch noch da« einfließen lässt. Oder wie Donghwa gesteht, es erst zu einer Veröffentlichung gebracht zu haben, während Seonhees Mutter, die Hobbydichterin, immer wieder mal eines ihrer Gedichte veröffentlichen konnte – so etwas, wird Donghwa nach dem Austausch gegenseitiger Komplimente unverblümt mitgeteilt, mache man doch »eigentlich« nur nebenbei…
Eine auch außerhalb (Süd-)Koreas bekannte Situation: der potenzielle Schwiegersohn hilflos in den Fängen der Familie seiner Freundin – da nützen alle Freundlichkeiten und taktischen Manöver nichts. Wenn dann auch noch der Schnaps das letzte Wort spricht: »Den Alkoholtest hat er aber nicht bestanden«, sagt Seonhees Schwester nach dem Essen triumphierend zum Vater.
B wie Bartleby
Österreich 2025
Regie: Angela Summereder
»Ich möchte lieber nicht!« Dieser zentrale Satz aus Hermann Melvilles Bartleby der Schreiber ist auch der Leitfaden für Angela Summereders Überlegungen zu Melvilles legendärer Erzählung. Der Film ist, so klug war Summereder, kein Spielfilmprojekt, vielmehr ein essayistisches Konstrukt, das sich Bartleby von verschiedenen Seiten her annähert.
Da ist zum einen die Einlösung eines Versprechens an Summereders verstorbenen Lebensgefährten Benedikt Zulauf und dessen in Audioprotokollen festgehaltenen Vorstellungen einer möglichen Verfilmung und wie das immer wieder an dessen Zweifeln scheitert. Da ist zum anderen – ein Sidekick, aber dennoch bedeutsam – der Verweis auf Straub/Huillet, in deren Geschichtsunterricht Zulauf eine Hauptrolle spielte.
Da ist ebenso Summereders Interesse für all diejenigen, denen Bartlebys Satz etwas bedeuten könnte: Schüler:innen, Obdachlose… Und da ist eine Gruppe, die den Text durcharbeitet: Satz für Satz, auf jede Nuance achtend.
Angela Summereders B wie Bartleby behauptet nichts, sondern wägt ab und orientiert sich dort, wo sie nicht weiterkommt, doch sinnvollerweise an Bartlebys berühmter Wendung: »Ich möchte lieber nicht!«
Affeksjonverdi
(Sentimental Value)
Norwegen 2025
Regie: Joachim Trier
Nora, die gefeierte Schauspielerin, leidet an Lampenfieber. Bei der Premiere eines neuen Stücks muss das Theater ihretwegen den Vorstellungsbeginn verlegen.
Trotz all ihrer Erfolge nicht perfekt zu sein, damit kann Nora leben. Als aber bei der Trauerfeier für ihre Mutter in ihrem Elternhaus der lange abwesende und nach der Scheidung ihrer Eltern für sie zum Feindbild geratene Vater auftaucht und ihr, so, als wäre nichts gewesen, auch noch die Hauptrolle in seinem neuen Film anbietet, ist es um Noras Stabilität geschehen.
Noras Vater Gustav ist ein ebenso legendärer wie über die Maßen eitler Regisseur. Seit vielen Jahren hat er keinen Film mehr gedreht, dieser aber soll sein autobiographisch geprägtes Opus Magnum werden. Nora lehnt die Rolle sofort, ohne Wenn und Aber ab, zumal auch noch in ihrem (dem Vater gehörenden) Elternhaus gedreht werden soll. Als Gustav die Rolle einem Hollywood-Star anvertraut, ist es ihr aber auch nicht recht.
Affeksjonverdi ist ein Film über verschüttete Erinnerungen und jahrelang tunlichst vermiedene (klärende) Gespräche, letztlich über die Familien-Bande (Karl Kraus). Triers Film ist psychologisch definiert, fragt nach dem Unterschied vortäuschender und natürlicher Gesten, ist ein Loblied des Was und gleichermaßen des Wie in Theater und Film.
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