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Buch 1. Juli 2025

Das Vergangene ist nicht tot
von Rolf Euler

Peter Seibert: Die Niederschlagung des ­Bauernkriegs. Bonn: J.H.W.Dietz, 2025. 304 S., 26 Euro

Der Bauernkrieg in Deutschland fand vor 500 Jahren statt. Sollte das die Gegenwart berühren? Peter Seibert, ehemaliger Professor für Sozialgeschichte der Literatur in Siegen, hat dazu ein detailreiches, fesselndes Buch geschrieben.


Nach ausführlichem Quellenstudium will der Autor »das bedrückende Elend der Niederlage, das Ersticken des Bauernkriegs im Blut seiner Akteure« deswegen erneut schildern, weil es seiner Überzeugung nach »nie wieder eine solche gesellschaftliche Kreativität und Kraft der unteren sozialen Schichten« gab – und bis zum 20.Jahrhundert »auch nie wieder solche Opfer«.
Die äußerst brutale und hasserfüllte, von Luther unter anderem geforderte Vernichtung der Bauernheere und der mit ihnen sympathisierenden Städte und Dörfer wird in diesem Buch deswegen breit behandelt, weil der folgende Gehorsams- und Obrigkeitsstaat bis weit in das 20.Jahrhundert hineinragt, seine Folgen auch in den gescheiterten Revolutionen von 1848, 1918 aufscheinen und im Faschismus seine schlimmste Form annimmt.
Genau wie bei Werner Tübke in seinem Panorama geht es nicht nur um die kriegerischen Ereignisse, sondern um den Zeitenbruch am Ende des Mittelalters. »Freiheit« und »Gleichheit« sind der Kerngedanke der Forderungen der Bauer – das schafft die Verbindung in die Gegenwart, durch alle Volksbewegungen der letzten 500 Jahre hindurch.
Seibert schildert die Details des Aufbruchs in allen Regionen Deutschlands bis in die Schweiz und Österreich, der Frühling des Jahres 1525 sieht einen demokratischen und radikalen Protest an vielen Stellen. Hunderttausende bewaffneten sich, setzten zunächst auf Verhandlungen. Es folgten die Tage der offenen Feldschlachten – und der Massaker an den militärisch unterlegenen »Hellen Haufen«. Eine »Blutrinne« am Berg von Frankenhausen und das Mahnmal mit der großen Malerei von Werner Tübke am Ort der Schlacht zeugen davon, dass Zehntausende von überlegenen Kanonen und Reitern getötet wurden – so auch an anderen Orten in Deutschland: Böblingen, Zabern, Königshofen und viele noch.
Das Buch vermeldet die »Siegerjustiz« genannten Untaten der Fürsten. »Morden, sengen, brennen und plündern« waren die Aufrufe, waren die Folgen für Dörfer und Städte, für Frauen und Kinder. 150 Seiten voller Zitate aus zeitgenössischen Berichten. Etwa, dass Kirchen angezündet wurden, in die sich die Bevölkerung vor den Truppen geflüchtet hatte. Oder dass die restlichen Einwohner dem Hungertod ausgesetzt wurden, weil alle Vorräte und Häuser verbrannt waren.
Hervorgetan hatte sich dabei vor allem der Truchsess Georg von Waldenburg, der ein Vorbild für die Massaker aller späteren Jahrhunderte sein dürfte, sei es gegen die Herero in Namibia, seien es die Morde der SS-Gruppen im Zweiten Weltkrieg.
Ein wichtiges Kapitel enthält das Buch zur Rolle der Bauersfrauen, ihrer möglichen Beteiligung, aber vor allem ihrer Opfer. Von Müntzers Witwe gibt es Angaben, dass sie nach der Hinrichtung ihres Mannes hochschwanger noch vergewaltigt wurde und völlig verarmte.
Auch eine größere Fluchtbewegung gab es, so aus dem Allgäu in die Schweiz. Seibert zitiert auch hier viele zeitgenössische Quellen über Einzelschicksale. Sein Buch ist nicht nur eine sorgfältige Zusammenfassung der vielen Monate des Bauernkriegs und ihrer mörderischen Folgen, sondern eine immer wieder herauszulesende historische »Mahnung« und Beurteilung der langanhaltenden gesellschaftlichen Nachwirkungen, sowohl was die Unterdrückten, ihren Mut und ihre Niederlage angeht, vor allem aber was die organisierte Unterdrückung und Abschlachtung tausender Bauern durch die Herrschenden angeht.
»Beginn einer deutschen Gewaltgeschichte« ist der Untertitel des Buches, seine Lektüre ist »hartes Brot«, aber 500 Jahre danach erneut umso notwendiger: »Das Vergangene ist nicht tot. Es ist nicht einmal vergangen«, schrieb Christa Wolf, es gilt sicher für die Bauernkriege.

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