Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus zu tun hat
von Rolf Euler
Die Wissenschaftlerin Friederike Otto hat nach »Wütendes Wetter« erneut ein aufrüttelndes Buch zum Klimawandel geschrieben. Diesmal geht es nicht hauptsächlich um die erneute Darstellung aller bekannten Aspekte der Krisen, sondern um die desaströsen Folgen für die Menschen in den vor allem betroffenen Gebieten. Ihre Hauptthese: »Der Klimawandel ist kein unverschuldeter Schicksalsschlag, er ist vor allem ein Unrecht.«
Friederike Otto: KlimaUngerechtigkeit. Berlin: Ullstein, 2023. 336 S., 14,99 Euro
Das beweist sie an Hand der Brandkatastrophe im kanadischen Lytton, wo ein Feuer im Sommer 2021 die Ortschaft weitgehend vernichtete. Aber auch an Hand der Flutkatastrophe im Ahrtal, an Entwicklungen auf Madagaskar, Pakistan und Australien.
Ihre ausführlichen Schilderungen der Feuerkatastrophen, Überschwemmungen und Dürreperioden zeigen auf, »was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat« – so der Untertitel.
Friederike Otto holt mit Empathie und wissenschaftlicher Gründlichkeit genau die Menschengruppen ans Licht, die unter den katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels leiden.
Ihre Berichte aus Gambia über die Frauen, die dort unter schwierigsten Umständen auf den Feldern arbeiten, auch während der Schwangerschaft, weil die patriarchalen Einstellungen in dem Land Männern »verbieten«, für Lebensmittel zu sorgen, zeigen eindrücklich, wie »ungerecht« die Klimaerwärmung in ehemals kolonialen Ländern und zwischen den Geschlechtern wirkt.
Ausführlich geht sie auf die Wasserknappheit in Südafrika ein – 2018 stand Kapstadt kurz davor, die Wasserversorgung einstellen zu müssen. Dabei verweist sie auf die Unterschiede zwischen armen und reichen Bürgern: Wo letzteren oftmals eigene Brunnen zur Verfügung standen, litten die Townships aufgrund mangelnder öffentlicher Versorgung besonders unter Trinkwasserknappheit. Viele Bewohner konnten sich das in Flaschen abgefüllte Wasser einfach nicht leisten.
›Armut ist die Wurzel‹
Das gleichnamige Kapitel über die Trockenheit in Madagaskar unterstreicht ihre Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen, die den Klimawandel für Millionen Menschen lebensgefährlich machen.
Die relativ kleinräumige Flut im Ahrtal kontrastiert sie mit der Regenkatastrophe 2022 in Pakistan: Hier ein »reiches« Land mit immerhin rund 200 Toten, dort ein hauptsächlich von Armen bewohntes Land: Mehr als 33 Millionen Menschen waren in Pakistan von den damaligen übermäßigen Monsunregen betroffen, 1,7 Millionen Häuser zerstört, fast 1500 Menschen starben direkt. Brücken, Gesundheitseinrichtungen, Schulen und vor allem Ackerland wurden ruiniert, Krankheiten wie Cholera und andere Infektionen grassierten.
Ein anderes Kapitel widmet sich den Urwaldbränden in Brasilien und der Verantwortung der Bolsonaro-Regierung. Den Soja-Exporteuren wurde freie Hand gelassen. Friederike Otto beschreibt die Folgen für die indigene Bevölkerung, aber auch die Versuche, mit Gerichtsverfahren dagegen vorzugehen.
Sie beschreibt auch die Verantwortung der australischen Kohleindustrie und ihrer politischen und journalistischen Förderer für die ausgedehnten Brände im Jahr 2020. Aussagen der eingesetzten Feuerwehrleute, dass sie solche für sie selber lebensgefährliche Brände noch nicht erlebt haben, werden konfrontiert mit den Leugnern des Klimawandels in der konservativen Regierung und den Zeitungen des Murdoch-Konzerns. Die kapitalistische Einstellung, Kohle und Öl weiter ungeachtet der Klimafolgen zu fördern, ist nach wie vor Ziel der betreffenden Konzerne und ihrer Geldgeber – eine Fortsetzung des »kolonialfossilen Narrativs« wie sie schreibt.
Raus aus der Vereinzelung
In der Reihe von Büchern, die sich mit dem Klimawandel befassen, ragt Friederike Ottos Buch heraus, weil sie sich nicht rein wissenschaftlich, sondern vor allem empathisch den betroffenen Menschen widmet, sie zu Wort kommen lässt. Verluste sind für sie nicht hauptsächlich Zahlen und Geldwerte, sondern psychische und ideelle Schäden, verlorene Geschichten und Lebenszusammenhänge, Missbrauch von Drogen und Gewalt in den von Hitze, Überschwemmungen oder schmelzendem Eis betroffenen Regionen.
Sie schildert auch die Versuche, mit Klimaklagen juristisch gegen die Verursachenden vorzugehen. Ein positives Beispiel ist ein Urteil von Brasiliens Oberstem Gerichtshof gegen die Regierung Bolsonaro.
Ihr Buch ist ein ausführliches Plädoyer gegen die »kolonial-fossile Weltordnung«, die »auf der Ausbeutung von Arbeitskräften sowie Ökosystemen« fußt und dazu dient, »wenige privilegierte Menschen reich zu machen«. »Im Moment sind ›wir‹ nicht sehr viele, und unser Einfluss auf die mächtigsten Gruppen der Gesellschaft ist beschränkt … Unter diesen Umständen kann man sich schnell ohnmächtig fühlen und sich fragen: Was kann eine Person schon tun?«
Ihre Antwort: »Hör auf, eine einzelne Person zu sein!«, ist »eine der Schlüsselideen hinter jedem gesellschaftlichen Wandel und jedem Protest«, schreibt sie, und: »Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir nicht nur aufklären und Informationen liefern, sondern auch bessere Geschichten erzählen.«
Eine große Empfehlung, auch als Unterstützung für weitere ökosozialistische Programme.
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