Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
Buch 1. September 2025

Eine Postwachstumsökonomie für das 21. Jahrhundert
von Gerhard Klas

Nico Paech: Befreiung vom Überfluss. München: Oekom, 2025. 144 S., 18 Euro

»Spinnt der?«, fragte die Bild-Zeitung, als Niko Paech vor wenigen Wochen die Neuauflage seines Buches von 2012 über eine Postwachstumsökonomie vorstellte, in dem er für eine »Befreiung vom Überfluss« plädiert.

Der Volkswirtschaftler ist einer der profiliertesten Kritiker des Wachstumsdogmas in Europa. Wachstum, Wachstum über alles – dieses Dogma hat angesichts der multiplen Umweltkrisen längst seine Berechtigung verloren.
Niko Paech polarisiert – und das nicht erst seit kurzem. Der prominente Vordenker der Postwachstumsökonomie schaffte es einmal sogar auf die Titelseite von Bild – als Symbolfigur einer vermeintlich rückwärtsgewandten Wohlstandsverweigerung.
Dabei formuliert Paech lediglich eine Erkenntnis, die in Umwelt- und Klimawissenschaften längst als Konsens gilt: Unendliches Wachstum ist auf einem endlichen Planeten nicht möglich. Was simpel klingt, hat weitreichende Konsequenzen.
»Ein Programm zur Wiedererlangung der ökologischen Überlebensfähigkeit der menschlichen Zivilisation«, schreibt Paech, »käme niemals ohne merklich veränderte Lebensführung zustande.«

Ernüchternde Bilanz
In der aktualisierten Neuauflage zieht Paech ernüchtert Bilanz. In den vergangenen 13 Jahren habe sich kaum Grundlegendes verändert – weder durch grüne Regierungsbeteiligungen noch durch internationale Klimaabkommen.
Paech fordert einen radikalen kulturellen Wandel: weg von Konsum, Globalisierung und fossiler Bequemlichkeit – hin zu Genügsamkeit, Regionalität und Selbstversorgung. Weder neue Technologien noch globale Gipfel werden uns retten. Nötig sei vielmehr ein bewusster Rückbau unseres Konsumstandards – zumindest in den wohlhabenden Ländern.
Die Neuauflage erscheint zu einem brisanten Zeitpunkt: Rechte Parteien und Bewegungen verteidigen den fossilen Status Quo und fahren Wahlerfolge ein, während Klimakrise, Ressourcenverknappung und soziale Spaltung sich zusehends verschärfen.
Paechs Antwort: Selbstbegrenzung. Statt Neukauf: reparieren. Statt Massenkonsum: teilen. Statt Vollzeitstress: eine 20-Stunden-Woche. Die soll Zeit schaffen für Subsistenzarbeit und menschliche Nähe.
»Was sagt es über das kulturelle und moralische Niveau einer Zivilisation aus, die in einem historisch einmaligen Wohlstand schwelgt, vom Untergang bedroht ist, aber ausgerechnet dort stetig neue Rekorde an ökosuizidalem Gebaren zelebriert, wo es um den unnötigsten Pomp geht, der noch vor kurzem undenkbar war?«, fragt Paech – und hebt den Zeigefinger:
»Das betrifft den Konsum und den damit verbundenen Güterverkehr infolge des ausufernden Internethandels, aber erst recht die globale Mobilität und den Tourismus, insbesondere Kreuzfahrten und Flugreisen.«

Die Rolle des Eigentums
Paechs Kritik trifft auch linke Bewegungen. Denn sie hielten ebensosehr an der Logik des Wachstums fest und legitimierten damit einen Lebensstil, der auf Kosten anderer geht, vor allem im globalen Süden.
Doch das greift zu kurz.
Erstens: Wachstumskritik und Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung sind längst auch in ökosozialistischen und anderen linken Umweltbewegungen angekommen.
Und zweitens lenkt Paech damit von einer Leerstelle in seinem Modell ab: Eigentums- und Klassenverhältnisse spielen bei ihm allenfalls eine marginale Rolle – obwohl gerade sie darüber entscheiden, wer sich Verzicht leisten kann und wer nicht.
»Die bisherige Abhängigkeit vom Markt würde lediglich durch eine solche vom Staat ersetzt, der komplett damit überfordert wäre, die Wirtschaft zentral zu planen«, lautet seine Pauschalkritik an der Linken.
Zwar erwähnt Paech alternative Eigentumsformen wie »Verantwortungseigentum« oder »gemeinschaftsgetragenes Unternehmertum« – aber die Bedeutung dieser wohlfeilen Begriffe bleibt nebulös. Ebenso die Frage, wie gesellschaftlich notwendige Arbeit – etwa in der Pflege oder der technischen Infrastruktur – in einer Postwachstumsökonomie gewährleistet werden soll.

Erschöpfte Gesellschaft
Trotzdem beeindruckt das Buch an vielen Stellen und trifft den Nerv einer Gesellschaft, die zunehmend erschöpft scheint.
»Menschen kommen nicht mehr zur Ruhe, weil sie aus Angst, etwas zu verpassen, ununterbrochen auf Displays schauen und sich damit dem Druck aussetzen, jegliche Information zu verarbeiten«, beobachtet der Wirtschaftswissenschaftler.
»Unter dem Regime der Zeitknappheit hat das Wachstum der individuellen Möglichkeiten einen verheerenden Preis, nämlich Daueranspannung und Oberflächlichkeit – beides befördert eher einen Burn-out als eine höhere Lebensqualität.«
Verantwortung statt Hedonismus lautet Paechs Maxime, ob auf institutioneller oder individueller Ebene. Ob man seine Vision teilt oder nicht – sie lässt sich nicht einfach abtun.
Befreiung vom Überfluss ist ein unbequemes, aber wichtiges Buch. In Zeiten dominanter rechter Narrative und ihrer Scheindebatten erinnert es eindringlich daran: Ohne einen Bruch mit unseren gewohnten Denk- und Lebensmustern wird eine echte ökologische Wende nicht gelingen.

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren