Vom Wert der alltäglichen Solidarität
von Gerhard Klas
Kathrin Hartmann: Die Welt gewinnen. Mutig statt machtlos. München: Ludwig, 2025. 304 S., 20 Euro
Warten, bis neue Regierungen die Probleme der Welt lösen? Nicht unbedingt: Einzelne Persönlichkeiten und Basisbewegungen können etwas bewegen, wenn es gegen Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit geht, meint Kathrin Hartmann. Die Journalistin hat überall auf der Welt Beispiele dafür gesammelt.
Sie ist nicht nur Autorin der SoZ, in ihrem Buch kommen auch mehrere Autor:innen und Interviewpartner:innen der SoZ zu Wort, u.a. Tom Adler, Tobi Rosswog. Sie geht der Frage nach: Was treibt Menschen an, sich zur Wehr zu setzen und sich solidarisch zu zeigen – selbstorganisiert, ganz unabhängig von irgendwelchen Regierungsaufträgen?
Kathrin Hartmann ist keine Kriegsreporterin. Ihre Reportagen beschäftigten sich dennoch mit Frontlinien – etwa dort, wo soziale Bedürfnisse und eine intakte Natur im Widerspruch zu den Interessen des Kapitals stehen und es deswegen mitunter zu tödlichen Auseinandersetzungen kommt: bei indonesischen Palmölplantagen, wo für westliche Kosmetikprodukte die Existenz von Tausenden Kleinbauern ruiniert werden. Oder im griechische Gesundheitswesen, in dem Menschen mit heilbaren Krankheiten wegen aufgezwungener Sparprogamme dem Tode geweiht sind. Kathrin Hartmann porträtiert diejenigen, die sich in den neu entstandenen solidarischen Kliniken engagieren.
Solidarität verbindet
Zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte, die diese Bewegung unterstützen und neben ihrem Dienst in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos und freiwillig Patientinnen und Patienten behandeln, denen der Zugang zum Gesundheitssystem verweigert wird, weil sie nicht mehr versichert sind. Was sie eint, ist die Empathie und Solidarität mit denen, die unter dem Spardiktat zu leiden haben. Das gilt auch für Menschen aus der Geflüchtetenhilfe, von denen Kathrin Hartmann mehrere porträtiert.
Dass Solidarität nicht nur altruistisch motiviert ist, beschreibt sie an einem Beispiel aus El Salvador. Bei ihren Recherchen über Stickerinnen, die ihre Arbeit für einen Hungerlohn von zu Hause aus erledigen und versuchen, sich gewerkschaftlich zu organisieren, musste Hartmann vorsichtig sein: »Die Stickerinnen zu Hause zu treffen, das wäre für sie viel zu gefährlich gewesen«, erklärt sie. »Alle halten ihre Arbeit geheim, weil sie Angst vor Schutzgelderpressung seitens der Banden in den Barrios haben.« Das spiele den Bossen in die Hände: So komme gar nicht erst heraus, wie viele Frauen stickende Sklavinnen sind.
Das falsche Gute
Die Kämpfe der Frauen haben kleine Erfolge hervorgebracht: Immerhin müssen Heimstickerinnen jetzt in einem Register erfasst sein und können den staatlichen Mindestlohn einklagen. Doch Hartmann ist nicht naiv. Gegen gewerkschaftliche Organisierung braucht es jetzt keine Banden mehr, die neue Regierung in El Salvador sei die neue Schutzmacht der Textilbosse und lasse Gewerkschafter verhaften.
Der kritische Blick der Autorin trifft auch Ansätze, die hierzulande überaus populär sind, etwa Nachhaltigkeitszertifikate, Mikrokredite und Tafelsysteme, deren behauptete Wirksamkeit sie faktenreich widerlegt. »Ich bezeichne solche Ideen als das »falsche Gute« – es ignoriert die strukturellen Ursachen von Armut, Ungleichheit und Naturzerstörung nicht nur, es legitimiert und erhält sie«, so ihre scharfe Analyse. »Es will beruhigen, indem es suggeriert, es gebe keine Schuldigen und alles könne so bleiben, wie es ist. Das falsche Gute ist deshalb der größte Bremsklotz für Veränderung.«
Als positives Beispiel steht das Porträt von Tobi Rosswog – er hatte sich für zwei Jahre nach Wolfsburg begeben, um dort gemeinsam mit anderen Umweltaktivisten ausgerechnet die VW-Stadt zu einer »Verkehrswendestadt« zu machen. Zwar laufen heute in Wolfsburg immer noch Autos vom Band, aber die Aktivist:innen haben tatsächlich einige Kontakte zu gleichgesinnten VW-Arbeitern aufbauen können – bis hin zu Betriebsräten.
Sie haben mit ihren spektakulären Aktionen Dutzende Schlagzeilen erzeugt – als sie etwa für mehrere Stunden einen Werkzug blockierten und darüber ein riesiges Transparent mit einer Straßenbahn hängten. »Die erste Straßenbahn verlässt das VW-Werk in Wolfsburg«, hieß es in der Pressemitteilung. »Mit den Fotos der symbolischen Straßenbahn brachten sie nicht nur ein Bild und eine Nachricht in Umlauf, sondern sie machten eine Möglichkeit sichtbar«, meint Kathrin Hartmann.
Die Welt gewinnen liefert keine Patentrezepte zur Veränderung der Welt. Aber das spannend geschriebene Sachbuch macht mit seinen vielen Geschichten Mut. Es ist ein Plädoyer gegen den rechten Zeitgeist, getragen von einer zutiefst solidarischen Haltung mit den Ausgebeuteten dieser Welt.
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