zusammengestellt von Norbert Kollenda
Liebe Leserinnen und Leser,
Polen ist geprägt von enttäuschten Wählerinnen und Wählern – jenen, die einst der „Koalition vom 15. Oktober“ zum Sieg verholfen haben. Die Gründe liegen, wie ein Kommentator der Polityka es nannte, in den „zyklischen Rollen rückwärts“ der Regierung. Die versprochene Straffreiheit für Abtreibung wird von Parlamentspräsident Holownia verschoben, das 800+-Kindergeld für Geflüchtete von Präsidentschaftskandidat Trzaskowski infrage gestellt. Premier Tusk bestätigt den Schießbefehl an der belarussischen Grenze, und das Unterrichtsfach Gesundheit wurde schon im Voraus als freiwillig deklariert – ein weiterer Sieg für PiS und die Bischöfe. (Norbert Kollenda)
In dieser Ausgabe:
- Präsident und Regierung im Clinch
- Wahlverhalten der Jugend
- drei Beiträge zu Gaza
- Versalzung der Flüsse ist gesetzeskonform
- Naturschutzgebiet Unteres Odertal
- Kirche im Rekordtief
- Polemik gegen Gesundheitskunde
- geschäftstüchtige Ordensschwestern
- Schwangerschaftsabbruch in Polen
Ein Gesetz gegen Mitmenschlichkeit
Polityka, 15. September 2025
Der Sejm hat ein neues Gesetz zum Aufenthalt der in Polen Schutz suchenden Ukrainer:innen verabschiedet. Dabei wurden auch einige Forderungen von Präsident Nawrocki berücksichtigt, um eine wirtschaftspolitische Blockade zu vermeiden.
Offenbar wollte Nawrocki damit vor allem seinem eigenen Ego dienen – obwohl diese Fragen laut Verfassung gar nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fallen. Dennoch kursieren im Präsidialamt Stimmen, wonach er sein Veto einlegen könnte.
Nach dem neuen Gesetz erhalten nur noch in Polen arbeitende Personen Kindergeld, sofern sie mindestens halbtags beschäftigt sind und die Hälfte des Mindestlohns (2.333 PLN – rund 555 Euro) verdienen. Anspruch haben außerdem registrierte Arbeitslose, Schwangere und Rentnerinnen und Rentner.
Viele ukrainische Kinder leben in Polen mit ihren Großeltern, teils, weil sie ihre Eltern verloren haben. Auch Kinder mit Behinderung behalten ihren Anspruch auf Kindergeld.
Zugleich schränkt das Gesetz den Zugang von Ausländer:innen zu Rehabilitationskliniken und Gesundheitsprogrammen ein. Nach dem Willen des Präsidenten dürfen nur versicherte Ukrainer:innen weiterhin zahnärztliche Behandlungen sowie Endoprothesen- und Kataraktoperationen in Anspruch nehmen – was allerdings kein Gnadenakt ist, da sie in Polen krankenversichert sind.
In den letzten Monaten wurde häufig behauptet, Ukrainer:innen würden besser behandelt als Pol:innen selbst. Nun werden sie nach der neuen Regelung offen diskriminiert.
Polnische Familien erhalten das Kindergeld unabhängig von ihrer Beschäftigung und zusätzlich einen Zuschlag von 1.500 PLN für Krippen und Kindergärten. Dieses Gesetz wird weder das Verhältnis zwischen Pol:innen und Ukrainer:innen verbessern noch die Sozialpolitik gerechter machen.
Besonders brisant ist die zeitliche Dimension: Der Aufenthaltsstatus für Ukrainer:innen läuft Ende September aus – ein Fakt, den der Präsident offenbar vergessen hat.
Ohne das neue Gesetz dürften etwa eine Million ukrainische Beschäftigte ab 1. Oktober nicht mehr arbeiten – mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft und den Alltag vieler Menschen.
Während Polen durch Drohnenangriffe herausgefordert wird, provoziert der Präsident die Regierung gezielt, offenbar in der Hoffnung, die Bevölkerung gegen Premier Tusk aufzubringen. Das Wohl des Landes scheint ihn dabei wenig zu kümmern.
Junge Generation rebelliert gegen das Establishment
Przeglad, 22. September 2025
Interview mit Dr. Adam Kadziela, Assistenzprofessor am Lehrstuhl für Politiksoziologie und Politisches Marketing der Universität Warschau.
Über 55 Prozent der Stimmen junger Wähler:innen gingen bei den letzten Präsidentschaftswahlen an Slawomir Mentzen von der Konfederacja und an Adrian Zandberg von Razem.
Man kann das als eine Form der Rebellion betrachten – doch diese Rebellion begleitet jede Wahl seit mindestens einem Jahrzehnt. Wenn wir die Ergebnisse analysieren, zeigt sich: Die jüngsten Wähler drücken ihren Widerstand gegen die politische Klasse aus, wer auch immer gerade an der Macht ist.
Bemerkenswert ist, dass sich dieser Widerstand nicht in Politikverdrossenheit äußert, sondern in wachsender Wahlbeteiligung und Unterstützung für Anti-Establishment-Kandidaten.
2025 lag die Beteiligung der unter 29-Jährigen auf Rekordniveau: 72,8 Prozent in der ersten Runde, 76,3 Prozent in der zweiten. Diese starke Stimme war eine Stimme des Widerstands – eine Stimme gegen das Establishment.
Woher kommt dieser Widerstand?
Es gibt keine einzige, dominante Motivation. Wenn wir aber einen zentralen Grund nennen müssten, wäre es die Anti-Establishment-Haltung selbst. Ihre Ursachen lassen sich auf mehrere Faktoren zurückführen. Untersuchungen – sowohl quantitative als auch qualitative, darunter der Bericht der Batory-Stiftung vom Mai – zeigen vier Hauptaspekte.
An erster Stelle stehen wirtschaftliche Ambitionen und Frustrationen über die Lebensbedingungen der jungen Generation, vor allem in Bezug auf Wohnen.
Als wir 2023 junge Menschen zu ihrer Wohnsituation befragten, gaben 37 Prozent an, noch bei ihren Eltern zu leben, 20 Prozent teilten sich eine Wohnung, 15 Prozent sogar ein Zimmer. Insgesamt leben also rund 70 Prozent unter Bedingungen, die Eigenständigkeit und Familiengründung erschweren.
Dazu kommen Inflation und steigende Lebenshaltungskosten – Probleme, die gerade jene treffen, die neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Ein weiterer, wichtiger Beweggrund, wählen zu gehen, seien Sicherheitsbedenken.
Welche Rolle spielt das Thema Krieg?
Konkret geht es um den Krieg jenseits unserer Ostgrenze. Das Gefühl militärischer Bedrohung und die Angst vor Migration sind in den letzten Jahren zu dominanten Sicherheitsfragen für junge Menschen geworden – auch mit Blick auf ihre wirtschaftliche Zukunft.
Weitere Ursachen des Protests sind das negative Bild des öffentlichen Lebens und das Gefühl, politisch nichts bewirken zu können. Das niedrige Niveau der öffentlichen Debatte wird immer wieder genannt, wenn junge Menschen ihre Wahrnehmung der politischen Realität beschreiben.
Ein entscheidender Verstärker dieser Frustration sind soziale Medien. Sie prägen die Art und Weise, wie junge Menschen Politik wahrnehmen. Besonders kurze Videoformate – emotional, zugespitzt und leicht konsumierbar – sind ideale Träger für einfache Botschaften und anti-elitäre Rhetorik.
Also zur Wahl gehen und aus Trotz wählen!
Vielleicht nicht aus Trotz, aber um sich bewusst gegen den Mainstream zu stellen. Es ist eine Rebellion einer Generation – ein Ausdruck von Widerstand.
Schon 2015 haben über 40 Prozent der jungen Wähler Pawel Kukiz unterstützt. Dass im Mai über 36 Prozent der Jüngsten für Slawomir Mentzen stimmten, überrascht daher nicht. Dieser Protest ist Teil der politischen Identität vieler junger Pol:innen.
2019 war die Jugend maßgeblich für den Einzug der Konfederacja in den Sejm verantwortlich. 2023 unterstützten sie dann in großer Zahl die damalige Opposition und ermöglichten so den Machtwechsel.
2025 wiederum wandten sie sich erneut Kandidaten außerhalb des Mainstreams zu – in der zweiten Runde war Karol Nawrocki, ob man ihn mag oder nicht, stärker als Rafal Trzaskowski ein Kandidat außerhalb des etablierten Lagers. Das zeigt ein festes Muster.
Nicht grade progressiv. Junge Menschen sind relativ gut ausgebildet, weltoffen und europaoffen. Was treibt sie also zu den traditionalistischen Parteien?
Trotz guter Bildung und offener Weltanschauung seien junge Menschen nicht durchweg progressiv. Unsere Studien vor den Wahlen 2023 zeigen, dass sie in manchen gesellschaftlichen Fragen konservativer sind, als man annimmt. Etwa beim Abtreibungsrecht sind sie zurückhaltender als andere Gruppen.
Auch die oft zitierte Geschlechterdifferenz lasse sich empirisch kaum belegen: Junge Männer neigen etwas stärker nach rechts, junge Frauen etwas mehr nach links – doch klare Grenzen gibt es nicht.
Für Gaza: Zu spät und viel zu wenig
Przemyslaw Wielgosz, Le Monde Diplomatique (poln. Ausgabe), August 2025
Zu spät – denn all das hätte schon geschehen müssen, bevor mindestens 60.000 Menschen starben. Als Gaza noch ein lebenswerter Ort war.
Der Völkermord begann nicht erst gestern. Selbst der Hunger hat eine lange Vorgeschichte: Seit 2007 sorgt Israel gezielt für eine chronische Unterernährung in der Region.
Doch man muss gar nicht so weit zurückgehen – in jene Zeit, als fortschrittliche Vertreter der polnischen Intelligenz an den Stränden von Tel Aviv Urlaub machten und auf Konferenzen in Haifa glänzten.
Der Völkermord nach Lehrbuch begann im Herbst 2023, und wer nicht wegschaute, konnte ihn von Anfang an erkennen.
Die höchsten Repräsentanten Israels – Premierminister, Präsident und Verteidigungsminister – kündigten kurz nach dem 7. Oktober offen an, was kommen würde.
Seither vergeht kein Tag ohne Ereignisse, die längst gereicht hätten, um zu protestieren, Petitionen zu unterzeichnen, ein Waffenembargo gegen Israel zu fordern, jede Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen zu beenden und strenge Sanktionen gegen die Verantwortlichen zu verhängen.
Palästina braucht kein groteskes Spektakel, bei dem Mehlsäcke aus Flugzeugen abgeworfen werden, sondern ein Ende des Völkermords – der nur den grausamen Höhepunkt eines kolonialen Siedlungsprojekts darstellt, das Israel seit Jahrzehnten verfolgt.
Kein Sack Mehl kann die Wunden heilen, die diese Politik geschlagen hat. Und vor allem: Er kann die laufende Vernichtungsmaschinerie nicht stoppen.
Gestoppt werden kann sie nur durch politische Konsequenz – durch eine klare Unterstützung der palästinensischen Forderungen nach Selbstbestimmung, Sicherheit und Verteidigung, notfalls auch durch bewaffneten Widerstand. Das wäre das absolute Minimum.
Appell an Tusk und Nawrocki
Onet.pl, 26. September 2025
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch meldeten Aktivist:innen der humanitären Flottille Sumud, die Hilfsgüter für die Bevölkerung des Gazastreifens transportiert, dass ihre Schiffe von Drohnen angegriffen worden seien.
Nach Angaben der italienischen Sprecherin der Flottille wurden Schiffe aus Italien, Großbritannien und Polen getroffen. Auf dem polnischen Schiff befanden sich mehrere Polen, darunter der Abgeordnete Franciszek Sterczewski.
Sterczewski (KO) appellierte an Präsident Karol Nawrocki und Premierminister Donald Tusk, die Flottille zu schützen – so wie es die Regierungen Spaniens und Italiens getan hätten. Er betonte:
Das ist das absolute Minimum.
Der Abgeordnete forderte, den Drohnenangriff auf die Flotte genauso zu behandeln wie den russischen Angriff mit Drohnen auf Polen. Das Schiff, auf dem er sich bis zum Zeitpunkt des Angriffs befand, sei gemäß internationalem Recht polnisches Hoheitsgebiet, so Sterczewski.
Im Radiosender TOK FM sagte er:
Ich fordere Konsequenz von den Politikern – auch von meinem Parteikollegen und Minister, den ich in vielerlei Hinsicht schätze, Radoslaw Sikorski.
Sterczewski mahnte weiter:
Dies ist das absolute Minimum, aber darüber hinaus sollten Präsident und Premier alles in ihrer Macht Stehende tun, um diesen Völkermord zu beenden und einen echten humanitären Korridor zu schaffen, der Menschenleben retten kann. Dies ist ein Moment, der unsere Menschlichkeit auf die Probe stellt – und in einiger Zeit könnte es zu spät sein.
CAFÉ BUND fordert entschlossenes Handeln der Regierung
Przeglad, 29. September 2025
Angesichts zahlreicher Appelle internationaler, palästinensischer und israelischer Menschenrechtsorganisationen dürfe die polnische Regierung nicht länger zögern – sie müsse sich aktiv für einen sofortigen Waffenstillstand und die Freilassung aller Geiseln einsetzen.
Polen sollte im Rahmen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und des Europarats nicht nur Worte finden, sondern (wie Italien und Spanien) konkrete Schritte unternehmen – etwa den Schutz der polnischen Mitglieder der humanitären Flottille Sumud in internationalen Gewässern sicherstellen, die Mittel für humanitäre Hilfe in Gaza aufstocken und den ungehinderten Zugang der Presse in und nach Gaza fordern.
Nach dem Vorbild Sloweniens solle Polen zudem offiziell bestätigen, dass der internationale Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanjahu auf polnischem Territorium vollstreckt würde.
Auch nach einem Waffenstillstand darf Palästina nicht vergessen werden. Wenn Polen die französisch-saudische Erklärung von New York unterstütze, die die Gründung eines souveränen palästinensischen Staates vorsieht, müsse es sich aktiv an deren Umsetzung beteiligen – auch gegen den Widerstand der israelischen Regierung.
Als Café Bund richten wir unseren Appell an das polnische Außenministerium und veröffentlichen gemeinsam mit anderen jüdischen Gruppen einen offenen Brief, der die Friedensmission der Flottille unterstützt.
Verseuchte Flüsse – und alles legal
OKO.press, 26. September 2025
Die Oberste Kontrollkammer (NIK) warnt, dass neue Umweltkatastrophen drohen, wenn die Bergwerke weiterhin salzhaltiges Wasser in die Oder und die Weichsel einleiten.
Das Klimaministerium plant nun, Wissenschaftler:innen mit der Entwicklung einer Entsalzungstechnologie zu beauftragen. Das zehnjährige Rettungsprogramm für die Oder soll rund fünf Milliarden Zloty kosten.
Drei Jahre sind vergangen, seit sich eine der größten Umweltkatastrophen Europas ereignet hat. Im Sommer 2022 trieben massenhaft tote Fische in der Oder.
Die PiS-Regierung ignorierte wochenlang die ersten Berichte, während sich die Lage weiter zuspitzte. Millionen Fische und andere Lebewesen verendeten – darunter mehr als 80 Prozent der im Fluss lebenden Muscheln.
Seitdem ist bekannt, dass Bergwerke, die salzhaltiges Grubenwasser in die Oder einleiten, erheblich zur Katastrophe beigetragen haben. Die Versalzung des Flusses begünstigte die Ausbreitung der sogenannten Goldalge, deren Giftstoffe das Leben im Wasser zerstörten.
Bei der Rohstoffgewinnung – insbesondere beim Kohleabbau – sammelt sich im Bergwerk salzhaltiges Wasser an, das abgepumpt werden muss, um die Abbaustätten nicht zu gefährden. Je tiefer der Abbau, desto höher der Salzgehalt. Daher wird das Wasser abgeleitet – nicht nur in die Nebenflüsse der Oder, sondern auch in die Weichsel.
Im Bericht der NIK heißt es:
Die durchgeführte Kontrolle ergab, dass die Bergwerke auf Grundlage der erteilten Genehmigungen Wasser mit beliebig hohen Chlorid- und Sulfatkonzentrationen in die Flüsse einleiten durften – ohne Entsalzung oder andere Schutzmaßnahmen.
Die geprüften Unternehmen hatten keinerlei Anreiz, in umweltfreundliche Lösungen zu investieren, da Entsalzung teuer ist und die Gebühren für die Einleitung des Wassers extrem niedrig sind.
Die Steinkohlebergwerke aus der Woiwodschaft Schlesien haben in den Jahren 2020 bis 2023 durchschnittlich 183 Millionen Kubikmeter Grubenwasser pro Jahr in die Gewässer des Oder- und Weichsel-Einzugsgebiets eingeleitet – davon rund 66 Millionen Kubikmeter (36 %) in das Oder- und 117 Millionen Kubikmeter (64 %) in das Weichselgebiet.
Jährlich gelangen so etwa 1,5 Millionen Tonnen Salz – Chloride und Sulfate – in die Flüsse. Die durchschnittliche Salinität des Grubenwassers lag bei 8 g/l und damit über der durchschnittlichen Salinität der Ostsee (7 g/l).
Jacek Kozlowski, Vizepräsident der NIK, erklärte:
Wir dachten zunächst, dass es bei einer solchen Katastrophe [wie an der Oder] zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein musste. Doch es stellte sich heraus, dass alles völlig rechtmäßig ablief. Keine der kontrollierten Institutionen hatte gegen Vorschriften verstoßen – das Gesetz selbst ließ eine solche Situation zu.
Er fügte hinzu:
Eine solche Katastrophe kann sich jederzeit wiederholen. Seit 2022 hat sich weder im Wasserrecht noch bei den Genehmigungsverfahren etwas geändert. Die Bergwerke gehen genauso vor wie zuvor.
Und die Lage wird sich eher verschlechtern – einerseits durch den Klimawandel, andererseits, weil der Abbau immer tiefer erfolgt und dadurch noch salzhaltigeres Wasser zutage tritt.
Bereits 1999 hatte die NIK vor den hohen Salzkonzentrationen in den Einzugsgebieten von Oder und Weichsel gewarnt. 26 Jahre später stehen wir an genau demselben Punkt.
Neuer Nationalpark Untere Oder beschlossen
OKO.press, 26. September 2025
Der Sejm hat am 26. September ein Gesetz verabschiedet, das die Gründung des ersten Nationalparks in Polen seit fast 25 Jahren vorsieht. Unter Schutz gestellt wird das Tal der Unteren Oder.
Zum endgültigen Erfolg fehlen nur noch die Zustimmung des Senats – die gilt als Formsache – und die Unterschrift von Präsident Nawrocki.
Das Gesetz wurde mit 226 Stimmen bei 198 Gegenstimmen und ohne Enthaltungen verabschiedet. Fast die gesamte Regierungskoalition – mit Ausnahme von drei Abgeordneten der PSL – sowie die Sejm-Fraktion der Partei Razem und drei von vier fraktionslosen Abgeordneten stimmten für die Einrichtung des Nationalparks Unteres Odertal.
Die drei PSL-Abgeordneten, die dagegen votierten, stammen aus der Woiwodschaft Westpommern: Radoslaw Lubczyk und Jaroslaw Rzepa, sowie aus Elblag – Zbigniew Ziejewski. Nahezu alle Abgeordneten der PiS, der Konfederacja und anderer rechter Kleinparteien lehnten das Gesetz ab.
Der Abstimmung war am Donnerstagabend eine Debatte im Plenarsaal vorausgegangen.
Witold Tumanowicz, Abgeordneter der Konfederacja, erklärte:
Der Gesetzentwurf (…) schränkt die Möglichkeit ein, das wirtschaftliche und investive Potenzial der unteren Oder unter dem Vorwand des Naturschutzes zu nutzen.
Dies ist eine weitere Situation, in der Umweltentscheidungen in der Praxis die Erwartungen unserer westlichen Nachbarn auf Kosten der polnischen Wirtschaft erfüllen.
Artur Szalabawka von der PiS sagte:
Der Nationalpark Unteres Oder ist ein großer Betrug. Klimawahnsinnige setzen den Willen Deutschlands um.
Laut Gesetz soll der Park am 1. November 2025 entstehen. Er müsste noch in diesem Jahr gegründet werden, damit die betroffenen Gemeinden Anspruch auf die sogenannte Ökosubvention erhalten – eine staatliche Unterstützung, die jeder Gemeinde zusteht, auf deren Gebiet sich ein Nationalpark oder Naturschutzgebiet befindet.
Die Arbeiten der Regierung an dem Gesetz verliefen jedoch nicht reibungslos. In der Liste des Regierungszentrums für Gesetzgebung finden sich zahlreiche Dokumente mit Anmerkungen anderer Ministerien.
Vor allem die von Politiker:innen der PSL geführten Ressorts versuchten, den Gesetzentwurf zu ihren eigenen Gunsten zu beeinflussen.
Vertrauen in die katholische Kirche auf historischem Tiefstand
OKO.press, 17. September 2025
Analyst:innen des Meinungsforschungsinstituts IBRiS sprechen von einer Krise beispielloser Dynamik: Immer mehr Menschen in Polen geben an, der katholischen Kirche zu misstrauen.
Laut der aktuellen IBRiS-Umfrage ist das Vertrauen in die Kirche in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken. 2016 vertrauten ihr noch 58 Prozent der Befragten „auf jeden Fall“ oder „eher“. 2025 sind es nur noch 35 Prozent.
Gleichzeitig äußern über 47 Prozent Misstrauen gegenüber der Institution – darunter 26 Prozent mit „ausgesprochenem“ Misstrauen, fast doppelt so viele wie 2016. Gegenüber dem Vorjahr sank das Vertrauen zudem um weitere 4,3 Prozentpunkte. Die Kirchenführung habe allen Grund zur Sorge, so die Einschätzung der Forscher:innen.
Zum Vertrauensverlust trägt vermutlich auch das politische Engagement konservativer Bischöfe bei – etwa ihre jüngste Aufforderung an Eltern, Kinder vom Gesundheitsunterricht abzumelden.
Für Aufsehen sorgten außerdem Äußerungen des ehemaligen Krakauer Metropoliten Marek Jedraszewski und von Bischof Wieslaw Mering, die von der Kanzel aus rechte Narrative zu Migration und zur LGBT+-Gemeinschaft wiederholten.
Parallel dazu schreitet die Säkularisierung des Landes voran. Laut CBOS-Umfragen bezeichneten sich seit Ende der 1990er Jahre über 90 Prozent der Pol:innen als gläubig; in den letzten Jahren ist dieser Anteil auf etwa 86 Prozent gesunken.
Bischöfliche Demagogie zum Schuljahresbeginn
studioopinii, 7. September 2025
Stanislaw Obirek kommentiert den jüngsten Aufruf der Bischöfe mit scharfen Worten:
Es fällt mir schwer, darüber anders zu schreiben als über reine Demagogie – und das gleich zu Beginn des neuen Schuljahres. Nachdem die Kirchenhierarchie mit ihrem idiotischen und ebenso demagogischen Widerstand gegen den Gesundheitsunterricht bereits für Empörung gesorgt hatten, widmet sie sich nun der Ordnung des Religionsunterrichts.
Offenbar haben die Bischöfe erkannt, dass das Thema Gesundheitserziehung ins Leere lief – also griffen sie zur bewährten Rhetorik der Kirchenverfolgung.
Trotz zahlreicher Gegenstimmen – darunter auch katholischer Publizist:innen und einiger Geistlicher – bleiben die Bischöfe unnachgiebig.
Unter Ausnutzung der Tatsache, dass noch knapp 30 Prozent der Pol:innen regelmäßig die Messe besuchen, verpflichteten sie Priester dazu, einen Brief zu verlesen, der Halbwahrheiten wiederholt, manipuliert und Eltern wie Kinder über die Änderungen im Religionsunterricht belügt.
Es ist eine offensichtliche Manipulation, vom Ausschluss der Religion aus der Erziehung zu sprechen. Was Bildungsministerin Barbara Nowacka vorschlägt, ist nichts anderes als der Versuch, das bestehende Chaos zu ordnen, das dadurch entstanden ist, dass immer mehr Schüler den katholischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ablehnen.
Und das aus gutem Grund – denn es handelt sich dabei nicht um echten Religionsunterricht, sondern um primitive katholische Indoktrination.
Unterdessen schreiben die Bischöfe:
Man darf den religiösen Bereich nicht ausschließen, der ein enormes Potenzial für die Bildung des Herzens und des Gewissens junger Menschen hat. Der Religionsunterricht in der Schule hat in diesem Zusammenhang eine erzieherische, therapeutische und präventive Dimension und unterstützt die emotionale und spirituelle Entwicklung der Schüler.
Ich hoffe, dass die Wirkung des Briefes, der am 7. September 2025 in allen katholischen Kirchen verlesen wird, das Gegenteil des beabsichtigten Effekts haben wird.
Dass Kinder wie Eltern die Bemühungen dankbar annehmen, endlich das Chaos zu beseitigen, das allen polnischen Kindern ohne Ausnahme von sämtlichen Regierungen des nominell demokratischen Polens nach 1989 beschert wurde, die in Wirklichkeit ein Programm zur faktischen Besetzung unseres Landes durch die katholische Kirche umgesetzt haben.
Heilige Geschäfte in Zakopane
Przeglad, 29. September 2025
Die geschäftliche Cleverness der Unbeschuhten Karmelitinnen aus Zakopane – einem Orden, der laut Wikipedia für Armut, Demut, Askese und die Erneuerung der katholischen Kirche steht – könnte selbst von den gewieftesten Baulöwen beneidet werden.
Und mit ihrer Heuchelei übertreffen die Schwestern sogar die erfahrensten Vertreter der Partei Kaczynskis. Sie tun genau das Gegenteil von dem, was sie predigen.
Offiziell verkünden sie, ihr Leben sei von Armut und dem Verzicht auf materielle Güter geprägt – von Gebet, Abgeschiedenheit und einem Verbot, mit Außenstehenden zu sprechen. So lautet die fromme Version, die für eine Handvoll gläubiger Bergbewohner bestimmt ist.
Denn wer glaubt ernsthaft, dass man ohne Verbindungen und tatkräftige Unterstützung den Umzug eines Klosters aus dem Zentrum von Zakopane und den Bau eines neuen im Dorf Stróza (Kreis Myslenice) vorbereiten kann?
Und wo bleibt hier das Geschäftliche? Ganz einfach: Das alte Kloster soll in eine Pension umgewandelt werden. Anstelle des Gartens planen die Schwestern drei Mehrzweckgebäude mit Tiefgaragen. Einzige Hürde: die Baugenehmigung. Doch die wird ihnen der Stadtrat von Zakopane wohl kaum verweigern.
Polen auf den letzten Plätzen im EU-Abtreibungsatlas
OKO.press, 25. September 2025
Das Europäische Parlamentarische Forum hat die neue Ausgabe seines „Abtreibungsatlas“ veröffentlicht. An der Spitze stehen die skandinavischen Länder, Frankreich und die Niederlande – am Ende: Polen. Selbst Russland bietet einen besseren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen.
Nach vier Jahren Pause untersuchte eine internationale Expert:innengruppe erneut die Lage in Europa und bewertete, in welchen Staaten Frauen tatsächlich Zugang zu einer sicheren Abtreibungsversorgung haben.
Wir von der Stiftung FEDERA haben in all diesen Jahren alles darangesetzt, Frauen zu unterstützen, die erfahren, dass ihre Schwangerschaft nicht normal verläuft.
Denn nach internationalen Maßstäben werden sie in Polen vom Staat gefoltert und unmenschlich behandelt – so sieht es auch der UN-Ausschuss gegen Folter. Uns war klar, dass wir handeln mussten.
Wir helfen Frauen, die verzweifelt bei uns anrufen, weil sie nicht mehr essen, kaum schlafen, unter Angstzuständen leiden. Viele von ihnen müssen später über Monate oder Jahre wegen Depressionen oder Traumafolgen behandelt werden.
Unsere tägliche Arbeit zeigt, dass eine erzwungene Schwangerschaft, selbst wenn sie den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, die psychische Gesundheit massiv gefährdet.
Derzeit ist eine sogenannte systemische Abtreibung in Polen nur in zwei Fällen erlaubt: wenn die Schwangerschaft aus einer Straftat hervorgegangen ist oder wenn sie das Leben oder die Gesundheit der Frau gefährdet.
Dass die dritte Voraussetzung – schwere Fehlbildungen des Fötus – gestrichen wurde, geht auf das Urteil des Verfassungsgerichtshofs im Jahr 2020 zurück.
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