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Landwirtschaft 1. Oktober 2025

Probleme und Zukunft der solidarischen Landwirtschaft
Gespräch mit Karl Giesecke

Karl Giesecke ist Soziologe, Gärtner und Aktivist der solidarischen Landwirtschaft der ersten Stunde. Er arbeitet für den Verein Allmende Taucha, der Bildungsarbeit, Forschung und Vernetzung alternativer Formen von Landwirtschaft betreibt. Das Interview führte Matthias Becker.

Welche Erfahrungen hast du mit der Solidarischen Landwirtschaft bisher gesammelt?

2011 gehörte ich zu den Gründern der Gemüsekooperative Rote Beete bei Leipzig. Dort habe ich elf Jahre lang als Gärtner gearbeitet und die Genossenschaftsgründung vorangetrieben. Wir waren einer der ersten Solawi-Betriebe, die in Deutschland entstanden – der achte, glaube ich. Mit fast fünf Hektar gehörten wir damals zu den größeren Betrieben.

Welche politischen Ziele habt ihr mit der Gründung der Kooperative »Rote Beete« verbunden?

Unsere Absicht war, eine postkapitalistische Landwirtschaft zu entwickeln. Der Betrieb sollte als Keimzelle für eine neue Form des gemeinschaftlichen Wirtschaftens funktionieren. Wir wollten die Warenform ein Stück weit zurückdrängen und ein Vertrauensverhältnis zwischen Erzeugern und Verbrauchern etablieren. Die Entfremdung wird überwunden durch konkrete Beziehungen zu bestimmten Personen. Nahrung verliert in der Solidarischen Landwirtschaft den Warencharakter.
Natürlich kann man einwenden, dass das Gesamtprojekt in gewisser Weise zu einer Ware wird: Verschiedene Solawi-Betriebe konkurrieren miteinander um Mitglieder beziehungsweise mit den anderen Anbietern auf dem Lebensmittelmarkt. Dennoch besteht ein großer Unterschied, ob sich jemand bewusst und langfristig an einen Nahrungserzeuger bindet oder in einem Supermarkt in Millisekunden für oder gegen ein bestimmtes Produkt entscheidet.

Einige Solawi-Betriebe versuchen das kapitalistische Äquivalenzprinzip dadurch zu überwinden, dass sich die Mitglieder ihren Anteil an Lebensmittel selbst herausnehmen, also selbst über die Menge bestimmen.

Das machen wir in der Roten Beete immer noch so! Die Ernte, zum Beispiel zwanzig Kisten Karotten, werden entsprechend der Anzahl der Mitgliederanteile auf die Depots aufgeteilt. Dort nehmen sich die Leute selbst ihren Anteil, je nachdem wie viel Gemüse sie in einer Woche essen wollen.

Viele Solawi-Höfe habe ihre Produktion erhöht und versorgen mehr Menschen als früher, auch die Rote Beete. Wird es mit zunehmender Größe schwieriger, antikapitalistische Prinzipien umzusetzen?

Teils, teils. Je größer eine Abholstation ist, desto mehr gleichen sich individuelle Bedürfnisse aus, eine größere Anteilszahl wirkt insofern eher als Puffer. Aber wenn es zu viele Mitglieder werden, kann das soziale Gefüge schwächer werden und Leute verhalten sich egoistischer, weil sie die anderen nicht mehr kennen.
Mit wachsender Größe nimmt auch die Anonymität zwischen Mitgliedern und Beschäftigten zu. Viele Betriebe machen einmal im Jahr eine Umfrage: Wie zufrieden seid ihr, welches Gemüse könnt ihr nicht mehr sehen, was wünscht ihr euch? Das Gärtnerteam kann Vorschläge und Wünsche ablehnen, wenn es diese für zu aufwändig oder undurchführbar hält.

Wie gehen die Betriebe mit solchen Interessengegensätzen um?

Die Entscheidungsgremien werden oft von den Erzeugern dominiert. Vielen Mitgliedern fehlen Zeit und Muße, um so viel Engagement aufzubringen, dass sich Strukturen verändern. Viele stimmen lieber mit den Füßen ab, kommen nicht mehr zu den Treffen oder kündigen ihre Mitgliedschaft.
Ich glaube mittlerweile, dass eine Rückkopplung mit den Verbrauchern absolut notwendig ist. Wenn wir als Produzenten die Bedürfnisse der Mitglieder nicht mehr erfüllen, werden sie entweder Veränderungen durchsetzen oder gehen – das sollten wir sportlich sehen.
Der wichtigste Grund für Austritte ist übrigens ein anderer: Mitglieder sind von der Menge an Gemüse überfordert, die sie konsumieren und konservieren müssen. Wenn zu viel davon auf dem Kompost landet, werden sie unzufrieden, weil sie das Gefühl haben, dass sie zu viel Geld für etwas ausgeben, was sie nicht nutzen, oder auch einfach, weil es ihnen widerstrebt, essbare Lebensmittel wegzuwerfen.

Das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft schätzt, dass gegenwärtig knapp 700 Betriebe in Deutschland existieren. Vor zehn Jahren waren es nicht einmal 100. Das Wachstum dieser Nische im Agrarsystem ist beeindruckend. Wird es so weitergehen?

Es gibt immer noch Gegenden in Deutschland, wo es überhaupt kein Solawi-Angebot gibt. Aber dort, wo sich Betriebe etabliert haben, oft im Umland von Großstädten, werden allmählich die Grenzen der Nische spürbar. Das Wachstum lässt nach, die Menge an Interessierten ist nicht unbegrenzt.

Was müsste passieren, damit die solidarische Landwirtschaft weiter wachsen kann? Welche Hindernisse müssten überwunden werden, damit sie zu einer echten Alternative werden kann?

Die wichtigsten Probleme liegen im beschränkten Angebot an Lebensmitteln und dem Aufwand für den Vertrieb. Fast alle Betriebe erzeugen ausschließlich Gemüse. Getreide und Hülsenfrüchte lassen sich erst ab einer größeren Menge wirtschaftlich erzeugen.
Das gilt auch für die Weiterverarbeitung, bspw. in Mostereien, Mühlen, Käsereien oder Bäckereien. Ein Hof im Oderbruch hat vor kurzem angefangen, aus Haferflocken ein Crunchy-Müsli herzustellen. Bei einem Abnehmerkreis von 200 Mitgliedern ist das kaum rentabel möglich. Weiterverarbeitung macht vermutlich erst ab tausend Mitgliedern aufwärts Sinn.
Dann muss es für die Endverbraucher einfacher werden, ihre Lebensmittel zu beziehen. Der Erfolg der Discounter und Supermärkte beruht hauptsächlich darauf, dass sich der gesamte Einkauf auf einen Schlag erledigen lässt. Solawis haben üblicherweise einen wöchentlichen Abholtermin für das Gemüse, dann gibt es unter Umständen einen anderen für Eier, noch einen für Brot – das ist kein tragfähiges, alltagstaugliches Modell.
Wir haben im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums ein Forschungsprojekt durchgeführt um herauszufinden, warum nur wenige Betriebe ihre Produktpalette erweitern und mit anderen kooperieren. Der Grund: Als Gärtner will ich gärtnern, warum sollte ich mich als Händler betätigen? Warum noch mehr Kisten schleppen beim Ausfahren? Kooperation bedeutet einen kommunikativen Mehraufwand, und das System Gärtnerei ist schließlich bereits komplex genug.
Die entscheidenden Probleme liegen in der Logistik. Deswegen interessiere ich mich für Kooperativen, die den Vertrieb organisieren und die Größennachteile der kleinbäuerlichen Betriebe ausgleichen können.

Gibt es denn solche Kooperativen von landwirtschaftlichen Betrieben?

Durchaus. Am meisten hat mich Hansalim in Südkorea beeindruckt. Dieser Zusammenschluss von Erzeugergemeinschaften und Konsumgenossenschaften versorgt etwa 900.000 Haushalte, besitzt eigene verarbeitende Betriebe für Soja, Reis oder Getreide und betreibt 235 Supermärkte für Endverbraucher. Die Erzeuger erhalten Erlösanteile von bis zu 70 Prozent. Zum Vergleich: In der konventionellen Landwirtschaft in Deutschland liegen diese Anteile teilweise unter 20 Prozent.

Was kann die deutsche Solawi-Bewegung von Hansalim lernen?

In dieser Föderation gilt das Delegiertenprinzip. Die meisten Delegierten stellen die Mitglieder, die anderen Gruppen sind in einer gewissen Parität vertreten. Mich beeindruckt besonders, wie eine so große Organisation die unterschiedlichen Interessen miteinander vereinbaren kann. Es gibt Regelungen und Gremien, um Entscheidungen zu treffen und Konflikte zu schlichten. Man hat fast den Eindruck, dass Hansalim ein kleiner kommunistischer Staat ist.
Mich erinnert die Kooperative auch an die CNT in den 1930er Jahren in Spanien, als die anarchosyndikalistische Gewerkschaft immer größere Teile der Gesellschaft organisierte. Der internationale Vergleich zeigt, dass alle erfolgreichen landwirtschaftlichen Kooperativen sich um Lagerung und Logistik kümmern und eine zentralisierte Verwaltung haben, eine Dachorganisation, die die Kräfte bündelt und dadurch Effizienz und auch eine gewisse Professionalisierung erreicht.

Warum gibt es solche Kooperativen mit einer vergleichbaren Selbstverwaltungsstruktur nicht in Deutschland?

Das frage ich mich auch! Ich habe mit ein paar anderen Menschen begonnen, an Kooperationen und Vernetzungen im Solawi-Bereich zu arbeiten. Wir nennen uns Soli.unser Markt (https://soliunsermarkt.de/). Das Projekt steht noch ganz am Anfang, bisher gibt es die Idee und eine Vision. Wir wollen Projekte miteinander vernetzen und Synergien schaffen und suchen Leute, die interessiert sind, in diese Richtung aktiv zu werden und weiterzudenken.

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