Durch Trump geschürte Angst vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch hat Milei den Wahlsieg beschert
Gespräch mit Claudio Katz
Bei den Zwischenwahlen am 27.Oktober 2025 hat der argentinischen Staatspräsident Javier Milei überraschend einen Erdrutschsieg davongetragen. Über diese Wendung sprach Carlos Aznárez von der Zeitschrift Resumen Latinoamericano (www.resumenlatinoamericano.org) mit dem linken argentinischen Ökonomen Claudio Katz.
Was ist bei den Wahlen passiert?
Milei hat einen überwältigenden Wahlsieg eingefahren, obwohl seine Regierung schon untergegangen schien. Er erreichte 40 Prozent, und in der Provinz Buenos Aires, wo er 50 Tage zuvor noch um 14 Prozentpunkte zurücklag, drehte er das Ergebnis völlig um.
Die Wähler:innen, die im September von ihm abgefallen waren, holte er zurück und auch Stimmen von konservativen Parteien. In der Hauptstadt gewann er mit 20 Punkten Vorsprung, sorgte in Córdoba und Santa Fe für eine Überraschung und bestätigte seine Vorrangstellung in Mendoza. Der Peronismus hingegen konnte sich in Provinzen, in denen er immer die Mehrheit hatte, gerade noch so retten.
Meiner Meinung nach gibt es eine zentrale Erklärung dafür, das ist die Angst vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die Angst vor dem Debakel hat Milei den Wahlsieg beschert. Weit verbreitet war die Wahrnehmung, dass eine Abwertung des Peso am Tag nach der Wahl zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen würde. Unsere Gesellschaft erinnert sich noch gut an solche Zusammenbrüche und so hat sich eine Mehrheit für das kleinere Übel entschieden: angesichts eines möglichen Zusammenbruchs wenigstens das Bestehende zu erhalten.
War das Szenario in den Wochen zuvor erkennbar?
Ja. Die Panik vor einer wirtschaftlichen Katastrophe, die Angst vor einer bevorstehenden Inflation, wenn der Dollar in die Höhe schießen würde, war sehr deutlich zu spüren. Über den Wahlurnen schwebte Trumps Erpressung. Der Magnat sagte ganz offen: Wählt Milei, oder ich ziehe die in Aussicht gestellte finanzielle Hilfe zurück und alles geht zum Teufel. Es war eine direkte Drohung. Er kündigte an, die US-Zentralbank werde den Dollar nur stützen, wenn sein Vasall die Wahl gewinnen würde, und die Erpressung war direkt: Ohne Milei bringen wir die Wirtschaft zum Einsturz.
Mit dieser Botschaft löste er totale Panik aus, weil er die Angst vor einer Rückkehr der Ereignisse von 2001 wieder in Erinnerung rief. Zwischen Mileis Sparmaßnahmen und diesem Zusammenbruch entschieden sich die Wähler für die Sparmaßnahmen. Die Regierung verstärkte das natürlich, indem sie die Rückkehr des Peronismus mit einer wirtschaftlichen Katastrophe gleichsetzte.
Deshalb hat Trump am nächsten Tag zurecht den Sieg für sich beansprucht. Mit aller Dreistigkeit sagte er: »Wir haben gewonnen« und fügte hinzu: »Wir haben viel Geld gewonnen.« Er feierte, weil er der wahre Sieger ist. Die USA haben bereits begonnen, sich Argentinien für sehr wenig Geld anzueignen.
Ist das die einzige Erklärung für das Geschehene?
Ich glaube, es ist die wichtigste, denn die anderen Interpretationen verlieren das Wesentliche aus den Augen. Sie verweisen auf wahre, aber nicht entscheidende Fakten und berücksichtigen nicht das Auffälligste, nämlich den Stimmungsumschwung innerhalb von 50 Tagen.
Die Regierung schien am Ende zu sein und ist wieder auferstanden, und diese Wendung ist auf Faktoren zurückzuführen, die in Umfragen normalerweise nicht erfasst werden. Deshalb hat niemand das Ergebnis vorhergesehen. Es gab nur drei Szenarien: eine schwere Niederlage für Milei, eine leichte Niederlage und die Wahrung des Gesichts. Ein Sieg von Milei war ausgeschlossen worden und ist doch eingetreten.
Nur sehr wenige Menschen lassen sich von den offiziellen Lügen und den Wahnvorstellungen von Milei täuschen. Es gibt brutale Einschnitte, die Menschen spüren die tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Verschlechterungen am eigenen Leib. Die Betrügereien mit Kryptowährungen, die Bestechungsgelder von Carina und der Drogenhandelsskandal von Espert – all das wurde wahrgenommen, aber die Angst vor einem wirtschaftlichen Zusammenbruch war stärker, und der Großteil der Wähler zog es vor, keinen Sprung ins Ungewisse zu wagen. Die Unterstützung durch Trump und die Angst der Bevölkerung bestimmten das Ergebnis.
Wie hat sich die enorme Wahlenthaltung ausgewirkt?
Ich glaube, es herrscht eine allgemeine Wahlmüdigkeit. Es gab in diesem Jahr in acht Bezirken Provinzwahlen und sie wurden nach Belieben von den Gouverneuren manipuliert, indem die Wahltermine hin und hergeschoben wurden. Diese Unzufriedenheit war einer der entscheidenden Faktoren für die historische Wahlenthaltung von 66 Prozent der Wahlberechtigten. Das war der höchste Wert seit 1983, mehr als 12 Millionen Wahlberechtigte haben nicht gewählt.
Es können auch soziologische oder ideologische Argumente angeführt werden, um das Wahlergebnis zu erklären. Denn zweifellos hat sich die Gesellschaft stark verändert, Individualismus, Uberisierung, Plattformkapitalismus und neoliberale Ideologie haben stark zugenommen.
Doch trotz dieser Veränderungen hat Milei die Provinzwahlen in Buenos Aires am 8.September verloren. Und Lula, Petro oder Scheinman in so wichtigen Ländern wie Brasilien, Kolumbien und Mexiko haben Wahlen gegen die Rechte gewonnen.
Man muss vorsichtig sein mit allgemeinen Schlussfolgerungen wie der, nun habe sich der Faschismus in Argentinien durchgesetzt. Wir müssen unsere politische Analyse vertiefen, wenn wir vermeiden wollen, dass wir die Menschen entmutigen und sinnlos Schuld auf die gesamte Gesellschaft abwälzen.
Was sind deine Schlussfolgerungen aus der Wahlbilanz?
Zunächst ist diese Wahl Ausdruck einer tiefen Resignation; die Wählenden waren weder enthusiastisch noch überzeugt. Milei hat die Wahl als eine Bestätigung seiner Politik gefeiert, aber nur ein Drittel der Argentinier hat ihn gewählt.
Er hat bislang keine eigene starke Basis aufbauen können. Seine öffentlichen Auftritte waren äußerst dürftig. Nicht einmal Wahlkarawanen konnte er organisieren, so groß ist die Unzufriedenheit mit seiner Person.
Zweitens hat sich die Polarisierung zwischen den traditionellen Kräften bestätigt. Die dritte konkurrenzfähige Option, die als »Vereinigte Provinzen« angetreten ist, blieb mit 5,1 Prozent eine marginale Kraft, während Milei einen großen Teil der Anhänger seines liberalen Vorgängers Macri für sich gewinnen konnte.
Milei ist weiterhin von Lumpenproletariat, Kriminellen, Randständigen und Karrieristen umgeben. Er war nicht in der Lage, den Staat zu verwalten, und ist für viele selbstverschuldete Krisen verantwortlich. Die 64 Sitze, über die er derzeit verfügt, können eine Stütze für ihn sein oder zur Bildung einer weiteren Gruppe unkontrollierbarer Rebellen führen.
Es bleibt abzuwarten, ob Milei, ermutigt durch den Sieg, seine chaotische Politik fortsetzt oder das von den Großkapitalisten geforderte Bündnis mit den Gouverneuren und Macristas eingeht.
Wie stehen die Peronisten da?
Mit rund 100 Abgeordneten sind sie die stärkste Minderheit im Unterhaus und im Senat. Aber die Partei kommt nicht zur Ruhe und die internen Streitigkeiten werden wiederaufleben. Sie leidet weiterhin am Scheitern ihres Präsidenten Alberto Fernández (2019–2023) und weiß keine schlüssige Erklärung für das Desaster. Ihr Programm beschränkt sich auf die Notwendigkeit, Milei zu stoppen, aber die Bevölkerung weiß, dass dies kein Projekt ist.
Die Peronisten müssten erklären, wie sie einer Erpressung durch Trump begegnen würden, das vermeiden sie aber. Sie vermeiden auch jede Bilanz ihrer Kapitulation vor dem IWF, den preistreibenden Unternehmen, den Geldgebern, die ihr Kapital ins Ausland transferiert haben. Damit geben sie zu, dass ein neuer Präsident aus ihrem Lager genauso machtlos sein würde wie der alte.
Der Hintergrund für dieses Problem ist das Ausmaß der Krise in Argentinien, das mit anderen Ländern in der Region nicht vergleichbar ist. Hier gibt es für eine Politik à la Lula, Petro oder Scheinman keinen Spielraum. Unter unseren Bedingungen erfordert der Kampf gegen die extreme Rechte Entschlossenheit und Autorität – Eigenschaften, die der Peronismus derzeit nicht verkörpert, ganz im Gegensatz zu den Zeiten von Juan Perón.
Kein Führer des Peronismus vermittelt den Eindruck, dass er sich gegen die USA stellen könnte, wie es Perón in der Vergangenheit getan hat. Alle haben Angst, mit Chávez oder Evo Morales in Verbindung gebracht zu werden, wenn sie eine solche Haltung einnehmen, und entscheiden sich daher für Mäßigung, was angesichts der Aggressivität der extremen Rechten eine Haltung der Niederlage ist.
Die Peronisten sprechen davon, Milei zu stoppen, haben aber in den letzten zwei Jahren immer wieder demobilisiert. Am deutlichsten wird das am Gewerkschaftsbund CGT, der sich nach einem anfänglichen Vorstoß damit abgefunden hat, nichts zu tun.
Damit öffnen sie Milei aber Tür und Tor für seine Angriffe auf die Gewerkschaften, insbesondere jetzt, da ein großer Kampf um die Arbeits»reform« bevorsteht. Die Regierung bereitet ein Projekt zur Demontage der sozialen Rechte vor, mit der informelle Arbeitsbeziehungen die neue Formalität werden sollen – u.a. soll die Arbeitszeit auf 12 Stunden verlängert, sollen Lohnverhandlungen individualisiert und an Kriterien der individuellen Produktivität gebunden werden.
Wie siehst du das Abschneiden der Linken?
Die Linke ist mit einem Wahlbündnis, Frente de Izquierda y de los Trabajadores – Unidad (FIT-U)*, angetreten und hat landesweit 900.000 Stimmen und drei Abgeordnetensitze geholt. In Buenos Aires ist es die drittstärkste Kraft.
Die Linke war die Stimme für die Organisierung des Kampfes. Sie sagte: »Wir werden im Kongress und auf der Straße Widerstand leisten.« Es darf keinen Waffenstillstand und keine Resignation geben. Den Übergriffen, die Milei vorbereitet, muss man sich entgegenstellen.
Die große Herausforderung besteht nun darin, durch den Kampf Macht aufzubauen. Eine neue Etappe beginnt, und wir werden sehen, wie sie sich entwickelt.
Claudio Katz (Jg. 1954) ist ein argentinischer Ökonom (https://katz.lahaine.org) und Mitglied von Economistas de Izquierda (EDI).
*FIT-U ist ein Bündnis der vier trotzkistischen Organisationen PO, PTS, IS und MST.
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