Studenten, die Arbeiterherrschaft wollten und Terrorismusverfahren bekamen
von Ewgeniy Kasakow
In Sankt-Petersburg wurden Mitglieder einer trotzkistischen Organisation festgenommen.
„Rabotschaja Wlast“, „Arbeitermacht“ heißt die Organisation, doch alle festgenommenen Mitglieder sind Studierende. Am 15. Mai haben Sicherheitskräfte Hausdurchsuchungen in Sankt-Petersburg durchgeführt, vier Männer und eine Frau festgenommen, einen weiteren Mann als Zeugen vernommen. Unter anderem wird ihnen „Aufruf zum Mord“ vorgeworfen. Laut Angaben des Nachrichtenkanals „78“ sind die fünf jungen Menschen Studierende der Staatlichen Universität Sankt-Petersburg (SPGU), der Europäischen Universität und weiteren renommierten Hochschulen der Stadt.
Die Gruppe existiert erst seit Januar dieses Jahres. In ihrem Manifest bekennt sich die Gruppe zu Trotzkis Theorie, wonach die UdSSR ein deformierter Arbeiterstaat war, und zur Notwendigkeit, eine leninistische Kaderpartei aufzubauen. Die bisher einzige bekannte Aktion, die der Gruppe zugeschrieben wird: Am 24. März wurde an dem Denkmal des zaristischen Bildungsminister Sergei Uwarow vor dem SPGU-Gebäude eine als römische Weisheitsgöttern Minerva verkleidete Schaufensterpuppe aufgehängt, mit einem Schild, auf dem „Die Wissenschaft ist tot“ stand. Dafür wurde am 9. April der Politologiestudent Artjom Pronko direkt bei einer Lehrveranstaltung festgenommen. Pronko, Mitglied der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) bestritt die Kontakte mit der Gruppe und kam mit 20.000 Rubel Geldstrafe davon. Stepan Trofimow, Student im ersten Semester an der Elektrotechnischen Universität Sankt-Petersburg (LETI), den man bald darauf wegen ebenjener Aktion festnahm, bekam drei Tage Arrest. Die Nachrichtenagentur RIA „Nowosti“ veröffentlichte in diesem Zusammenhang eine Meldung zur Existenz einer „trotzkistischen Zelle“, die Teil eines „internationalen Netzwerks mit Zentrum in London“ sei. Die Organisation soll zur Internationalen Marxistischen Tendenz (IMT) um Alan Woods gehören, die sich im Juli 2024 in Revolutionary Communist International (RCI) umbenannt hat. Die damalige deutsche Sektion, bekannt als „Der Funke“, trägt heute den Namen Revolutionäre Kommunistische Partei (RKP). In Russland haben sich die Anhänger von Woods im Mai 2023 mit der Gruppe „Die Neuen Roten“ zur Organisation der Kommunisten-Internationalisten (OKI) zusammengeschlossen. Doch schon nach kurzer Zeit kam es erneut zu Spaltungen. Im September 2024 nannte sich die OKI in „Partei der Kommunisten-Internationalisten“ (PKI) um, doch diese gehört nicht mehr zur internationalen Tendenz. Die Petersburger Gruppe „Arbeitermacht“ ist aus einer Abspaltung der OKI/PKI hervorgegangen. Bei ihren Mitgliedern wurden daher die Materialien aus deren früheren Organisation gefunden.
Die schwersten Vorwürfe wurden bisher gegen Garri Asarjan erhoben. Dem kasachstanischen Staatsbürger armenischer Herkunft, der an der SPGU Politologie studierte, wird „öffentliches Aufrufen zum Terrorismus“ vorgeworfen. Er muss zwei Monate in Untersuchungshaft bleiben. Asarjan bestreitet die Vorwürfe.
Sollte der Prozess gegen die „Arbeitermacht“ Anlauf nehmen, wäre dies eine qualitative Änderung der Repressionspolitik. Das bloße Bekenntnis zur leninistischen Parteikonzeption oder zum Trotzkismus war bisher nicht ausreichend für eine Verurteilung. Loyale kommunistische Parteien wie die KPRF oder die als radikaler geltende RKRP können ungehindert einschlägige Symbolik nutzen und die selben Schriften der „Klassiker“ verbreiten, die bei den Petersburger Trotzkisten jetzt beschlagnahmt werden. Seit März 2022 läuft bereits ein Prozess gegen einen marxistischen Lesekreis aus Ufa. Zu den Angeklagten gehört auch ein ehemaliger Regionalabgeordneter.
Die Repressionen treffen verschiedene Fraktionen der Linken in Russland. Der Anarchist Alexei Roschkow, der im März 2022 versucht hatte, ein Kreiswehrersatzamt in Brand zu setzen, wurde am 18. Mai in Jekaterinburg zu 16 Jahren Haft verurteilt. Roschkow versuchte sich in Kirgistan vor der Strafverfolgung zu retten, wurde jedoch nach Russland ausgeliefert. Der 19-jährige Gagik Grigorjan aus Orel, Mitglied der Russischen Sozialdemokratischen Jugendunion (RSDSM) wurde wegen Landesverrat und der Vorbereitung von Anschlägen zu sieben Jahren verurteilt. Bei seiner Festnahme war er erst 17, die Details des Prozesses unterliegen der Geheimhaltung. In einen seiner Briefen schrieb er, ihm wurde vorgeworfen, die Tötung eines Oberstleutnants der russischen Streitkräfte geplant zu haben.
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