von Claudio Katz
Claudio Katz, argentinischer Ökonom, Professor an der Universität Buenos Aires, Forscher am CONICET und Mitglied des Netzwerks Economistas de Izquierda (EDI), analysiert in seinem Artikel die politischen Kontroversen innerhalb der Linken über die BRICS. Er setzt sich kritisch mit vereinfachenden Gleichsetzungen mit dem Westen auseinander und betont die Notwendigkeit realistischer Strategien im Kampf gegen Imperialismus und Krieg. (d. Red.)
Einige sehr kritische Stimmen innerhalb der Linken werfen den BRICS vor, eng mit dem westlichen Kapitalismus verflochten zu sein. Sie verweisen auf Beispiele für die enge Verbindung der Allianz mit dem G7 oder dem IWF und betrachten die Integration Chinas in den globalen Kapitalismus als das zentrale Merkmal des 21. Jahrhunderts.1
Diese Sichtweise war vor allem im vergangenen Jahrzehnt weit verbreitet – in einer Zeit, als die Globalisierung ihren Höhepunkt erreichte und Handel sowie Finanzströme zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt eng miteinander verflochten waren. Damals entstand der Eindruck, dass die Verknüpfung von „China und Amerika“ das beherrschende Merkmal der Epoche sein würde – eine Wahrnehmung, auf der die Theorie eines verflochtenen globalen Kapitalismus beruhte.
Doch dieses Konzept wurde durch die Krise der Globalisierung, die Rückkehr des Protektionismus und das Wiederaufleben von Blockkonflikten nach dem Finanzkollaps von 2008 widerlegt. Die neue Rolle geopolitischer Rivalitäten, das Aufkommen einer Geowirtschaft, die Entstehung einer multipolaren Weltordnung sowie ein gestärktes staatliches Eingreifen haben die Vorhersagen einer sino-amerikanischen Konvergenz obsolet gemacht.
An dieser überholten Analyse festzuhalten, macht es unmöglich, die neue Realität zu begreifen. Aus dieser Perspektive lässt sich weder das Phänomen Trump noch seine Versuche verstehen, die Globalisierung zurückzudrängen – ebenso wenig wie der langfristige Wandel, den die BRICS eingeleitet haben.
Globale Verflechtung – ein überschätztes Narrativ
Die Sichtweise, die von einer Kontinuität jener Allianzen ausgeht, die sich während der Globalisierung herausgebildet haben, basiert auf der Annahme, dass Staaten und herrschende Klassen zunehmend transnationalisiert wurden. Dieser Ansatz geht davon aus, dass traditionelle nationale Parameter an Bedeutung verloren haben, weil sich Kapital und Macht global verflochten haben. Als Beleg werden die weltweiten Verflechtungen von Unternehmenseigentum ebenso angeführt wie das abgestimmte Handeln verschiedener Staaten auf internationaler Ebene.
Doch die gegenteiligen Belege für wirtschaftliche Rivalitäten und geopolitische Spannungen zwischen den Großmächten sind so erdrückend, dass sich kaum ein überzeugender Hinweis auf die behauptete Transnationalisierung finden lässt. Der zentrale Konflikt unserer Zeit – der Kampf zwischen den USA und China um globale Vorherrschaft – widerlegt dieses Konzept grundlegend. Wer diesen Umstand ausblendet, kann auch die Bedeutung der BRICS nicht verstehen.
Die Theoretiker:innen der Transnationalisierung gestehen zwar teilweise ein, dass sich die wirtschaftliche Verflechtung zwischen China und den USA nicht auf die geopolitische Ebene übertragen hat, und erkennen die Existenz eines Machtkampfes an. Doch wie ließe sich dieser Gegensatz erklären, wenn es tatsächlich bereits zur vollständigen ökonomischen Verschmelzung gekommen wäre? Die materialistische Grundlage politischer Spannungen in ökonomischen Interessen – ein Kernprinzip des Marxismus – wird von dieser Perspektive ignoriert. Deshalb tendiert sie dazu, aktuelle Konflikte lediglich als klassische Rivalitäten um Führungsansprüche zu deuten.
Für die transnationalistischen Theoretiker:innen stellen die BRICS ein Rätsel dar. Sie gehen davon aus, dass die Eliten in Indien, Brasilien oder Russland Teil einer globalen Kapitalistenklasse sind – mit Investitionen quer über den Globus verteilt, sei es in England, Afrika oder Zentralasien, und mit Interessen, die angeblich weltweit gleich verteilt sind. Daher messen sie der Entstehung des BRICS-Bündnisses keine besondere Bedeutung bei. Für sie hat dieser Zusammenschluss nicht mehr Gewicht als irgendein Investitionsabkommen zwischen Unternehmen mit beliebiger nationaler Herkunft.
Diese Sichtweise versperrt jedoch den Blick auf eine grundlegende Unterscheidung zwischen primären Prozessen – wie der Bewahrung nationaler ökonomischer Vorherrschaft – und sekundären, etwa globalen Verflechtungen. Außerdem übersieht sie die Wiederbelebung neuentwicklungsstaatlicher Dynamiken, die von den einheimischen Eliten in den sogenannten Schwellenländern vorangetrieben werden. Der Aufstieg der BRICS ist Ausdruck eben dieser Entwicklung – sie verkörpern nationale und regionale Kapitalinteressen, die im Widerspruch zur bloßen Verschmelzung mit großen transnationalen Konzernen aus den Metropolen stehen.
Wenn Unterschiede glattgebügelt werden
Eine weitere kritische Perspektive auf die BRICS erkennt zwar Unterschiede zu ihren westlichen Gegenspielern an, sieht jedoch qualitative Parallelen. Sie argumentiert, beide Lager stellten imperialistische Blöcke dar, die gleichermaßen abzulehnen seien – Ausdruck eines heutigen „Multiimperialismus“. Vor allem China wird dabei mit den USA gleichgesetzt: Beide gelten als kapitalistische und aggressive Großmächte.2
Diese Gleichsetzung wird mit Hinweisen auf soziale Ungleichheit im Inneren und Ausbeutungsverhältnisse im Ausland begründet. Kritiker:innen heben hervor, dass China seine ökonomischen Überschüsse auf die Peripherie abwälze und dort ähnliche soziale Verheerungen verursache wie die USA. Zudem zwänge es anderen Ländern ökonomische Dominanzverhältnisse auf, die den Zustand struktureller Abhängigkeit fortschrieben. Weil die BRICS oft als geopolitischer Arm des chinesischen Expansionismus betrachtet werden, weiten sich diese Vorwürfe gegen Peking auch auf die gesamte Gruppe aus.
Doch all die genannten Ähnlichkeiten mit dem US-Imperialismus blenden aus, dass China bislang auf den Einsatz militärischer Gewalt zur Durchsetzung seiner wirtschaftlichen Expansion verzichtet – und sich damit deutlich von der kriegerischen Strategie der Vereinigten Staaten unterscheidet. Wenn man beide Mächte gleichermaßen als imperialistisch einstuft – eine, die sich in eine endlose Kette von Kriegen verstrickt hat, und eine andere, die auf Handel setzt –, verwässert das den Gehalt des Begriffs „Imperialismus“.
Zweifellos waren die Invasion des Irak, die Zerschlagung Afghanistans, die Verwüstung Libyens oder die Zerstörung Syriens imperialistische Aktionen. Aber es ist irreführend, denselben Begriff auf Freihandelsabkommen oder die Neue Seidenstraße anzuwenden. Die Aggressionen der NATO, die Massaker des Zionismus und die Wiederaufrüstung Europas sind eindeutig Bestandteile eines imperialistischen Machtgefüges – doch im Fall der BRICS gibt es keine Hinweise auf eine vergleichbare Dynamik.
Falsche Fronten
Einige Diskussionen über die BRICS verlaufen auf Irrwegen, weil sie sich auf Einwände konzentrieren, die wenig mit dem eigentlichen Charakter dieses Bündnisses zu tun haben. Diese Unschärfe ist oft darauf zurückzuführen, dass sich Kritiker allzu empfänglich zeigen für die Verunglimpfungen, die der westliche Liberalismus über die BRICS verbreitet.
So wird etwa kritisiert, dass das Bündnis zunehmend autoritär regierte Staaten mit außenpolitisch aggressivem Auftreten vereine: Etwa Putin, der die Ukraine überfallen hat, Modi, der die muslimische Bevölkerung unterdrückt, oder Xi, der die Uiguren verfolgt.
Diese Kritik setzt sich nicht mit der Geschichte, der Logik oder der Dynamik der einzelnen Situationen auseinander, sondern reiht Anschuldigungen aneinander, die sich auf ein gemeinsames Muster verletzter Rechte stützen. Daher wird beklagt, dass das Gewicht der „Demokratien“ schwindet, während der Einfluss des „Autoritarismus“ innerhalb der BRICS zunehme.3 Autoritäre Regime würden an Boden gewinnen und dabei die Regeln des Zusammenlebens verletzen.4
Würde diese Argumentation lediglich aufzeigen, wie die wachsende Zahl rechter Regierungen weltweit sich auch in den BRICS widerspiegelt, dann wäre sie ein Beleg für die globale Verbreitung solcher Tendenzen. Sie würde deutlich machen, dass reaktionäre Figuren wie Modi oder Bolsonaro bei den BRICS genauso auftauchen wie Trump, Milei oder Meloni andernorts. Diese Welle zu kritisieren und zu bekämpfen, ist eine zentrale Aufgabe der Linken.5
Diese Kritik richtet sich letztlich kaum spezifisch gegen die BRICS. Sie beleuchtet keine besonderen Dynamiken innerhalb des Bündnisses und übernimmt in gewisser Weise das Deutungsmuster der großen Medien, die autoritäre Regime pauschal verurteilen und westliche Demokratien idealisieren.
Diese Gegenüberstellung ist ein altbekanntes Muster des Liberalismus – und wirkt angesichts des derzeitigen zionistischen Völkermords an den Palästinenser:innen besonders zynisch. In dieser Tradition wird Israel weiterhin als Inbegriff der Demokratie und als deren leuchtendes Vorbild im Nahen Osten präsentiert.
Dass mehrere Mitglieder der erweiterten BRICS – etwa Indien oder Saudi-Arabien – ebenfalls eine blutige Bilanz von Massakern vorzuweisen haben, zeigt lediglich: Der Gegensatz zwischen Demokratie und Autoritarismus taugt nicht dazu, das Bündnis grundlegend von der Triade und deren Verbündeten abzugrenzen.
Ähnlich verhält es sich mit der Kritik am Nationalismus, der innerhalb der BRICS als wachsendes Problem beschrieben wird.6 Auch hier handelt es sich um keine besondere Eigenart des Bündnisses. Wenn es sich tatsächlich um eine zunehmende Tendenz handelt, müsste man zumindest klären, welche Spielart des Nationalismus gemeint ist: Handelt es sich um einen reaktionären Nationalismus, der Völker gegeneinander aufhetzt, oder um den antiimperialistischen Nationalismus in der Tradition von Bandung? Modi ist ein klarer Vertreter der ersten Richtung, während sich Regierungen wie jene von Venezuela oder Kuba – die dem Bündnis beitreten möchten – dem zweiten Pfad verpflichtet fühlen. Die pauschale liberale Verurteilung jeglicher Form von Nationalismus verunmöglicht diese grundlegende Unterscheidung.
Weitere Kritiker:innen verweisen auf die Doppelzüngigkeit und das Täuschungsverhalten, das unter den BRICS-Führungseliten vorherrscht. Sie beobachten, dass es zur Gewohnheit geworden sei, links zu reden und rechts zu handeln. Doch diese Form der Unaufrichtigkeit ist kein Alleinstellungsmerkmal der BRICS, sondern ein gängiges Merkmal zeitgenössischer Mainstream-Politik.
Die Kritik an dieser Heuchelei mag berechtigt und zum richtigen Zeitpunkt angebracht sein.7 Wichtiger ist jedoch, den grundlegenden Charakter der BRICS zu erkennen: Es handelt sich um ein wirtschafts- und geopolitisches Bündnis mit globalem Handlungsspielraum. Für die Linke stellt sich vor diesem Hintergrund die strategische Frage, ob und wie Kämpfe gegen den imperialistischen Gegner mit Bezug auf diese neue Konstellation geführt werden können.
Zwischen Kritik und Realität
Einige Kritiker:innen verwerfen die BRICS, weil sie das kapitalistische System nicht in Frage stellen. Sie argumentieren, das Bündnis bereite lediglich den Aufstieg neuer, mit den bestehenden Mächten vergleichbarer Kräfte vor – anstatt den Weg in Richtung Sozialismus zu ebnen.8 Andere würdigen zwar bestimmte Ziele der Gruppe, halten deren politische Erklärungen aber für bedeutungslos, solange sie nicht mit einem Bruch mit dem Kapitalismus einhergehen.9 Aus diesem Grund sehen sie in den BRICS keine echte Alternative10 und betrachten ihren Beitrag zur multipolaren Weltordnung als nebensächlich im Vergleich zur faktischen Stützung des bestehenden Systems.
Doch die jüngere Geschichte ist reich an Beispielen für Kämpfe, Prozesse und Errungenschaften, die den Völkern zugutekamen, obwohl sie nicht zum Sozialismus führten – sondern allein durch die Schwächung oder Niederlage des Hauptfeindes ermöglicht wurden. Das bekannteste und augenfälligste Beispiel dafür ist der Zweite Weltkrieg.
Die Zerschlagung von Hitler und Mussolini bedeutete nicht das Ende des Kapitalismus in Westeuropa – wohl aber ermöglichte sie bislang beispiellose demokratische Errungenschaften und mehrere Jahrzehnte sozialer Fortschritte. Aus diesem Grund war die Feier zum 80. Jahrestag des Siegs über den Faschismus so wichtig und richtig.
Dieses historische Beispiel eignet sich weitaus besser zur Einordnung der aktuellen Lage als der Vergleich mit dem Aufeinandertreffen gleichwertiger Großmächte im Ersten Weltkrieg.11 Die BRICS bilden ein qualitativ anderes Bündnis – und sind daher nicht einfach mit der Triade, der NATO oder dem imperialen System gleichzusetzen.
Der Vergleich mit dem Bündnis der Alliierten gegen die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg ist deutlich treffender: Angesichts des faschistischen Hauptfeindes formierte sich damals ein äußerst heterogenes Lager aus der Sowjetunion und den westlichen Großmächten. Wer sich heute am fragwürdigen Charakter vieler BRICS-Mitglieder stört, sollte sich vor Augen führen, dass im antifaschistischen Bündnis von 1941 bis 1945 die führenden imperialistischen, kolonialen und unterdrückerischen Mächte des 20. Jahrhunderts – die USA, Großbritannien und Frankreich – mit an Bord waren.
In der Gegenwart kommt der israelische Staat unter der Führung Netanyahus dem Nazi-Deutschland am nächsten: In Gaza wiederholt sich die Vernichtungslogik von Auschwitz – unterstützt von Trump, Macron, Starmer und Merz. Israels Politik greift zudem die expansiven Kriegsstrategien des Faschismus auf und rechtfertigt sie mit ähnlichen Begriffen wie etwa dem der „präventiven Kriege“. Der Staatsterror hat sich in eine Routine mörderischer Angriffe verwandelt, mit einer Selbstverständlichkeit, wie sie einst die Nazis an den Tag legten.
Was immer man den BRICS vorwerfen mag – ihnen wird kein verbrecherisches Projekt von solchem Ausmaß wie dem Israels unterstellt. Wer diesen Unterschied erkennt, kann das Wesen des Blocks realistischer einschätzen.
Die BRICS bilden kein militärisches Bündnis. Zwar sind einige ihrer Mitgliedstaaten in rückschrittliche regionale Konflikte verstrickt, doch das unterscheidet sie deutlich vom Pentagon und der NATO, die den Krieg in der Ukraine angefacht und den Nahen Osten destabilisiert haben – mit dem Ziel, Russland und China zu schwächen und einzukreisen.
Die Priorität, die China und Russland diplomatischen Lösungen gegenüber westlichem Bellizismus einräumen, prägt auch das außenpolitische Verhalten der BRICS. Diese Haltung positioniert das Bündnis deutlich näher an der Suche nach Frieden als an den kriegstreiberischen Machtspielen des Westens.12 Die Rolle, die Europa – insbesondere Deutschland – einst als Stimme der Entspannung und friedlichen Konfliktlösung einnahm, ist längst Geschichte. Der alte Kontinent erlebt eine rasante Wiederkehr des Militarismus, während die BRICS zunehmend als Fürsprecher eines diplomatischen Ausgleichs auftreten.
Ob der BRICS-Block den Weg zum Sozialismus ebnet, ist dabei nicht die zentrale Frage – keines der Mitglieder verfolgt dieses Ziel im Rahmen der gemeinsamen Agenda. Entscheidend ist vielmehr, ob die BRICS in der Lage sind, dem zerstörerischen Bellizismus der NATO ein Gegengewicht entgegenzusetzen. Und weiter: Inwiefern kann diese Rolle die Kämpfe der Linken gegen kapitalistische Ausbeutung unterstützen?
Dieser Kampf kann nicht vorankommen, wenn er in abstrakten Begriffen geführt wird – als magisches Aufbegehren der Völker, losgelöst von Machtstrategien und geopolitischen Positionierungen. Es ist wenig hilfreich, zu verkünden, die heutigen globalen Akteure würden keine Wege zum Sozialismus eröffnen, wenn gleichzeitig jegliche Hinweise auf konkrete Schritte dorthin fehlen. Kritik an der bestehenden Ordnung ist nur dann produktiv, wenn ihr eigene, umsetzbare Alternativen gegenübergestellt werden.
Im lateinamerikanischen Kontext haben wir bereits ein Beispiel für eine mögliche Verbindung zwischen den BRICS und einem emanzipatorischen Projekt für die Region skizziert: Das Bündnis könnte eine zentrale Rolle spielen – als Rückhalt für eine Strategie, die auf Widerstand gegen die Vorherrschaft der USA, eine kollektive Neuverhandlung der Beziehungen zu China und die Priorisierung der regionalen Integration setzt.13 Erst durch solche konkreten Perspektiven gewinnt die Auseinandersetzung mit den BRICS für die Linke an Relevanz.
Praktische Konsequenzen
Die Darstellung der BRICS als bloße Spiegelbilder ihrer westlichen Gegenspieler hat erhebliche praktische Auswirkungen auf politische Entscheidungen. Das zeigte sich etwa im Jahr 2023, als die argentinische Regierung unter Alberto Fernández beschloss, der Einladung zum Beitritt zu dem Bündnis zu folgen.
Einige Stimmen aus der Linken lehnten diesen Schritt ab, weil sie keine progressiven Gründe sahen, die Aufnahme in das Bündnis zu befürworten. Da sie die BRICS als von China gesteuertes Projekt betrachteten – mit der Folge wachsender Abhängigkeit und verstärkten Entwicklungsdefiziten –, plädierten sie dafür, dass Argentinien draußen bleiben solle. Die Mitgliedschaft bringe keine greifbaren Vorteile, so das Argument, sie führe vielmehr zu weiterer Unterordnung. Der Neue Entwicklungsbank der BRICS wurde dabei auf eine Stufe mit der G7 und den wirtschaftsnahen US-Lobbygruppen im Land gestellt.14
Im darauffolgenden Jahr gewann Javier Milei die Präsidentschaftswahlen – und setzte den Rückzug aus dem BRICS-Beitrittsprozess in die Tat um, ganz im Einklang mit den direkten Vorgaben aus Washington. Die enge Abstimmung mit den US-amerikanischen Prioritäten war in diesem Fall unübersehbar. Und so fügte sich die Ablehnung eines BRICS-Beitritts aus Teilen der Linken letztlich in das ein, was das US-Außenministerium gefordert hatte.
Natürlich waren beide Positionen inhaltlich nicht identisch – die linken Kritiker:innen hatten ihren Rückzugsvorschlag etwa mit der Forderung nach einer Nationalisierung des Außenhandels verknüpft, was von der US-Botschaft selbstverständlich abgelehnt wird. Doch trotz unterschiedlicher Begründungen führten beide Haltungen konkret zum selben Ergebnis: zur Absage an die BRICS.
Ein zweites Beispiel für die Schwierigkeiten einer BRICS-feindlichen Linken zeigte sich im Fall Lula und Venezuela. Lulas Entscheidung, den Beitritt Venezuelas zum Staatenbund zu blockieren, wurde zu Recht von Organisationen kritisiert, die darauf hinwiesen, wie sehr dieser Schritt der lateinamerikanischen Integration schadete – und zugleich das imperiale Vorgehen gegen den bolivarischen Prozess in Venezuela befeuerte.15
Auffällig war hingegen das Schweigen vieler linker Kritiker:innen gegenüber Lulas harter Absage. Diese Zurückhaltung entsprach der Sichtweise, die BRICS mit G7, IWF oder NATO gleichsetzt – Organisationen, deren interne Machtkämpfe für die Linke irrelevant erscheinen, da sie in erster Linie Auseinandersetzungen unter Eliten darstellen, die mit den Anliegen der Bevölkerung nichts zu tun haben. Doch lässt sich Lulas Blockade gegenüber Venezuela tatsächlich mit solchen inneren Reibereien vergleichen? Und sollte ein solcher Ausschluss für die Linke wirklich belanglos sein?
Es liegt auf der Hand, dass ein Beitritt Venezuelas zu den BRICS dem Land dringend benötigte Spielräume gegenüber der ökonomischen Belagerung eröffnen und die geopolitischen Rückhalt stärken könnte, der zur Verteidigung gegen den imperialen Druck notwendig ist. Diese Möglichkeit zu ignorieren und keine Stellung zu beziehen, käme einem Schweigen über die Maßnahmen gegen die Blockade Kubas gleich. Sollte man etwa nicht den Beistand Mexikos für Kuba begrüßen? Ist es etwa belanglos, ob die CELAC (Community of Latin American and Caribbean States) oder UNASUR (Union of South American Nations) ähnliche Schritte unternehmen oder unterlassen?
Das Schweigen zum Verhalten Lulas gegenüber Venezuela und den BRICS entspringt der Vorstellung, das Bündnis sei mit westlichen Mächten gleichzusetzen – und blendet damit das potenzielle geopolitische Gewicht des Quintetts in einem antiimperialistischen Kampf vollständig aus.
Raum für linke Gegenbewegungen
Einige Analyst:innen vertreten die Ansicht, dass die BRICS auf lange Sicht positive Agenden für progressive Kräfte entwickeln könnten.16 Diese Einschätzung steht im Einklang mit der Praxis, Gegengipfel zu den BRICS zu organisieren und radikale Programme parallel zu den offiziellen Veranstaltungen dieses Bündnisses zu formulieren.
Seit der Gründung der BRICS fanden zahlreiche Treffen unter dem Motto „BRICS von unten“ oder „BRICS der Völker“ statt – jeweils zeitgleich und am selben Ort wie die offiziellen Gipfel. Wenn im Juli in Rio erneut solche Initiativen entstehen, dürften Forderungen nach Solidarität mit Palästina, Verurteilungen der zionistischen Angriffe auf den Iran sowie Appelle zum Abbruch diplomatischer Beziehungen mit Israel ganz oben auf der Tagesordnung stehen.
Diese Erfahrungen der organisierten Linken zeigen in der Praxis, wie sehr sich die BRICS von ihrem westlichen Gegenstück unterscheiden. Zu keinem von den USA organisierten Gipfel käme die Linke auf die Idee, vergleichbare Initiativen ins Leben zu rufen. Niemand ruft zu einem „G7 von unten“ oder einem „IWF der Völker“ auf.
Diese Unterschiede belegen in der Praxis die große Distanz zwischen beiden Arten von Organisationen. Die BRICS mit westlichen Institutionen gleichzusetzen, während gleichzeitig ganz unterschiedliche Initiativen stattfinden, ist ein Widerspruch, den sich manche entschiedene Kritiker des Bündnisses leisten.
Forderungen nach Solidarität mit Palästina und anderen unterdrückten Völkern des Nahen Ostens bei BRICS-Veranstaltungen zu stellen, gehört zu einer politischen Strategie, die an den Geist von Bandung anknüpft. Wer hingegen ausschließlich auf Unterschieden zwischen den beiden Formaten beharrt, ohne diese politisch einzuordnen, bleibt in der bloßen historiografischen Vergleichsübung stecken.
Entscheidend ist vielmehr, konkrete Wege aufzuzeigen, wie Bandung unter den Bedingungen der aktuellen Eskalation im Nahen Osten – mit Palästina im Zentrum – wiederbelebt werden kann. Wer diese Perspektive ablehnt, dem bleibt letztlich nur der Rückzug in revolutionäre Erinnerungen oder die abstrakte Wiederholung von Losungen, die mit der realen Welt nichts zu tun haben.
Ein Beispiel für diese abgehobene Argumentation ist die Darstellung der BRICS als bloße Variante kapitalistischer Integration im Zeichen des Neoliberalismus. Dem wird nichts weiter entgegengesetzt als ein allgemeiner Aufruf zur Schaffung des Sozialismus.17 Übergänge, Wege und Formen, wie dieses Ziel erreicht werden könnte, werden dabei großzügig ausgeklammert – als handle es sich um Nebensächlichkeiten. Stattdessen wird der globalen Verflechtung der Kapitalisten eine ebenso globale Einheitsfront des Weltproletariats gegenübergestellt.
Hinweise auf konkrete Daten, Entwicklungen, Tendenzen oder auch nur Andeutungen, wie eine solche Alternative aussehen könnte, fehlen dabei völlig – als wäre so etwas entbehrlich. All die Mühen Lenins, sozialistische Ideen in reale politische Praxis zu überführen, werden mit solchem magischen Denken kurzerhand beiseitegeschoben.
Auch der große Erfahrungsschatz an Taktiken und Strategien, den die verschiedenen Strömungen der kommunistischen Bewegung im Lauf des letzten Jahrhunderts angesammelt haben, wird kurzerhand über Bord geworfen – in der vagen Hoffnung, irgendwann vor einem Tor zu stehen, über dem schlicht steht: „Willkommen im Sozialismus“.
Der Weg in dieses vermeintliche Paradies wird regelmäßig mit einer großen Welle von Streiks in Verbindung gebracht – vor allem in den Industriezentren Chinas, Brasiliens oder Indiens.18 Zweifellos tragen solche Kämpfe – wie überall auf der Welt – zur Durchsetzung von Rechten und besseren Löhnen bei. Doch das allein ist noch kein Fortschritt in Richtung Sozialismus. Tatsächlich gibt es historische Beispiele, in denen sich beide Prozesse sogar widersprochen haben.
Besonders deutlich wurde diese Kluft etwa im Fall der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc in den 1980er-Jahren. Deren Anführer Lech Walesa war eine zentrale Figur bei der Rückkehr zum Kapitalismus – und tingelt heute als schillernde Symbolfigur durch Veranstaltungen der extremen Rechten.
Die Ablehnung der BRICS aus einer Perspektive eines rein abstrakten Internationalismus ist zudem im aktuellen Kriegskontext besonders gefährlich geworden. Sie führt dazu, die Allianz mit den imperialistischen Aggressoren des Westens gleichzusetzen. In manchen Fällen geht das so weit, dass Erklärungen veröffentlicht werden, in denen „die Widerstandskämpfer der Ukraine“ unterstützt werden – jene also, die vom Pentagon gesteuert werden –, während gleichzeitig „die unerbittlichen russischen Bombardierungen“ in Syrien angeprangert werden – und das kurz bevor in diesem Land ein Terrorist, der Israel dient, an die Macht geputscht wurde.19
Eine falsche Einschätzung der BRICS kann zu schwerwiegenden Fehlurteilen führen. Im besten Fall resultiert sie in politischer Passivität – oder in einer Lähmung, die es verunmöglicht, auf reale Veränderungen hinzuwirken. Doch die Linke muss sich weder mit dem einen noch dem anderen abfinden. Sie kann ihr eigenes emanzipatorisches Projekt aufbauen – mit konkreten Schritten und Strategien, die zur gegenwärtigen Lage passen.
Falsche Gleichsetzungen, verpasste Chancen
Die transnationalistische Diagnose eines weltweiten Verflechtens von Staaten und herrschenden Klassen verkennt die Realität gegensätzlicher nationaler Interessen – und versperrt so das Verständnis für die BRICS. Die Gleichsetzung des Bündnisses mit dem Imperialismus beruht auf der falschen Annahme, dass ökonomische Einflussnahme und militärische Gewalt das Gleiche seien. Der bloße Verweis auf den Autoritarismus der BRICS im Kontrast zur vermeintlich westlichen Demokratie wiederholt liberale Mythen; die bloße Feststellung ihrer Distanz zum Sozialismus liefert keine Ansätze für einen Weg dorthin. Solche Fehleinschätzungen haben schwerwiegende politische Folgen.
Dieser Artikel ist eine Übersetzung aus dem Spanischen. Weitere Texte von Claudio Katz auf seiner Webseite: www.lahaine.org/katz
- Robinson, William I. (2023) La Farsa ‘Anti-Imperialista’, Revista Andina de Estudios Pol?ticosVol.13, No.1, https://www.iepa.org.pe/raep/index.php/ojs/article/view/234 ↩︎
- Pröbsting Michael (2023). BRICS+: una alianza liderada por los imperialistas
https://www.thecommunists.net/worldwide/global/brics-an-imperialist-led-alliance/#anker_1 ↩︎ - Stuenkel, Oliver (2024). El equilibrio entre los BRICS y Brasil se está volviendo cada vez más difícil, https://www.americasquarterly.org/article/brazils-brics-balancing-act-is-getting-harder/ ↩︎
- Optenhogel, Uwe (2024). BRICS: de la ambición desarrollista al desafío geopolítico https://nuso.org/articulo/310-BRICS/ ↩︎
- Valderrama, Andrés Kogan (2023). Los BRICS y la «desoccidentalización» autoritaria del mundo 30/08/2023 https://www.cetri.be/Los-BRICS-y-la?lang=fr ↩︎
- Blakeley, Grace (2023). El nacionalismo de los BRIC no es ninguna alternativa
https://jacobinlat.com/2023/05/el-nacionalismo-de-los-bric-no-es-ninguna-alternativa/ ↩︎ - Bond, Patrick (2025). Tanto los BRICS como el resurgimiento de Bandung necesitan críticas duras, no sectas. https://www.cadtm.org/Both-the-BRICS-and-Bandung-revivalism-need-tough-critiques-not-quasi-cults ↩︎
- Godels, Greg (2024) Por qué nadie nos explica en qué consiste el „carácter de clase“ de los BRICS, https://canarias-semanal.org/art/37299/greg-godels-un-poco-de-claridad-sobre-el-imperialismo-hoy ↩︎
- Zibechi, Raúl (2024). El BRICS no es alternativa, 12-1, https://www.jornada.com.mx/2024/01/12/opinion/011a2pol ↩︎
- Garcés, Homar (2024) Los BRICS y la vigencia del orden capitalista https://rebelion.org/los-brics-y-la-vigencia-del-orden-capitalista/ 01/11/2024 ↩︎
- Halas, Garrett (2024). Multipolarity, BRICS+ & Socialism. Theorizing the Global Class Struggle. Aug 22, 2024, https://garretthalas.substack.com/p/multipolarity-brics-and-socialism ↩︎
- De Sousa Santos B, (2024). Tercera guerra mundial, los BRICS y la salvación del planeta, OtherNews, 3 janvier. https://ilsa.org.co/2024/01/la-negociacion-con-estados-unidos/ ↩︎
- Katz, Claudio (2025) Disputar con estrategias de poder popular, 13-5-2025, https://katz.lahaine.org/seccion/america-latina ↩︎
- Carcione, Carlos (2023). ¿Es progresivo el ingreso del país a los BRICS?, 1/09
https://periodismodeizquierda.com/debates-es-progresivo-el-ingreso-del-pais-a-los-brics/ ↩︎ - Red de Intelectuales (2024). La Red de Intelectuales reprueba el veto de Brasil a Venezuela en Cumbre BRICS. https://www.telesurtv.net/red-de-intelectuales-reprueba-veto-de-brasil-a-venezuela-en-cumbre-brics/ ↩︎
- García, Ana (2025). Building BRICS Challenges and opportunities for South-South collaboration in a multipolar world. https://www.tni.org/en/article/building-brics
↩︎ - Robinson, William I. (2023) La Farsa ‘Anti-Imperialista’, Revista Andina de Estudios Pol?ticosVol.13, No.1, https://www.iepa.org.pe/raep/index.php/ojs/article/view/234 ↩︎
- Blakeley, Grace (2023). El nacionalismo de los BRIC no es ninguna alternativa
https://jacobinlat.com/2023/05/el-nacionalismo-de-los-bric-no-es-ninguna-alternativa/ ↩︎ - Pröbsting Michael (2023). BRICS+: una alianza liderada por los imperialistas
https://www.thecommunists.net/worldwide/global/brics-an-imperialist-led-alliance/#anker_1 ↩︎
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.
Kommentare als RSS Feed abonnieren