Die EU hat für die COP30 ihre Hausaufgaben nicht gemacht
von Wolfgang Pomrehn
Es wird mal wieder übers Klima gesprochen. Im brasilianischen Belém, an der Amazonasmündung, beginnt kurz nach Erscheinen dieser Ausgabe die diesjährige UN-Klimakonferenz, die 30. ihrer Art. Viel ist in den letzten 35 Jahren über Klimaschutz verhandelt und gestritten worden, doch geschehen ist wenig – viel zu wenig.
Denn inzwischen kann kaum noch die Rede davon sein, dass es gelungen wäre »eine gefährliche anthropogene [vom Menschen verursachte] Störung des Klimasystems [zu] verhindern«, wie es 1992 in Rio de Janeiro vereinbart wurde. (Alle UNO-Mitglieder haben das seinerzeit unterschrieben.)
Rund um den Globus nehmen die extremen Wettereignisse zu, die Temperaturen klettern in immer neue Höhen, und im vergangenen Jahr verbrannten Wald- und Buschbrände weltweit eine Fläche, die größer als Indien war.
Auch die Emissionen der Treibhausgase steigen immer weiter. Mittlerweile scheinen sie zwar langsam ihren Höhepunkt zu erreichen, aber ein Grund zum Aufatmen ist das noch lange nicht. Denn das wichtigste Treibhausgas, das Kohlendioxid (CO2), verbleibt für viele Jahrhunderte bis zu mehreren Jahrtausenden in der Atmosphäre. Daraus folgt zweierlei:
- Es reicht nicht, die Emissionen irgendwann ganz einzustellen, sondern es kommt auch darauf an, wie viel bis dahin noch in die Luft geblasen wird. Da der Zusammenhang der CO2-Menge in der Atmosphäre mit der Erwärmung bekannt ist, lässt sich abschätzen, wie viel noch hinzukommen darf.
Wenn wir nur eine 50prozentige Chance haben wollen, die Erwärmung auf die inzwischen schon fast erreichten 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu beschränken, dann können gerade noch rund 250 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden. Beim derzeitigen Emissionsniveau verbleiben noch fünf bis sechs Jahre, bis diese Menge erreicht sein wird. - Aus der Langlebigkeit des Treibhausgases folgt außerdem, dass auch die in den Wirtschaftswunderjahren oder noch viel früher entwichenen Klimagase heute noch immer ihre Wirkung entfalten. Aus dieser Verantwortung würden sich die alten Industriestaaten gerne klammheimlich davonstehlen. Die Länder des Südens legen immer wieder den Finger in diese Wunde, der Ruf nach Entschädigung wird lauter. Die Verursacher sollen zahlen, heißt es insbesondere in jenen Ländern, die am meisten unter dem Klimawandel leiden, obwohl sie oft am wenigsten zu ihm beigetragen haben.
Deutschland steht übrigens mit inzwischen rund 90 Milliarden Tonnen akkumulierter CO2-Emissionen auf Platz 6 der internationalen Hitliste der Klimasünder. Nur in den USA, China, Russland, Brasilien und Indonesien wurde mehr emittiert. Alles Länder mit erheblich größerer Bevölkerung.
Biosphäre am Limit?
Bisher wird übrigens die Erwärmung dadurch gedämpft, dass die Ozeane 26 und die Biosphäre 31 Prozent der Emissionen mehr oder weniger unmittelbar aufnehmen. Nur die verbleibenden 43 Prozent reichern sich in der Atmosphäre an und verbleiben dort über die genannten langen Zeiträume. Doch dieser Puffer kann sich erschöpfen – und dafür gibt es erste Anzeichen.
2024 stieg die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei fast gleichbleibenden Emissionen um mehr als 3,4 ppm (Millionstel Volumenanteile) an. Das war der mit Abstand größte jährliche Zuwachs seit Beginn der CO2-Messungen 1957. Einer der Gründe für den raschen Anstieg der atmosphärischen CO2-Konzentration könnten die enormen Waldbrände gewesen sein, die 2024 auf verschiedenen Kontinenten, insbesondere in Südamerika, wüteten.
Die Deutsche Meteorologische und die Deutsche Physikalische Gesellschaft sehen in einer kürzlich veröffentlichten Erklärung noch eine andere Ursache. Sie nehmen an, dass sich die Aufnahmekapazität der Biosphäre zu erschöpfen beginnt.
Eine Mitte Oktober im Fachblatt Nature veröffentlichte Studie aus Australien bestätigt diesen Verdacht für die dortigen Tropenwälder. Diese haben sich im letzten Jahrzehnt von einem Aufnahmepool in eine Quelle für CO2 verwandelt. Zwischen 2011 und 2020 haben sie demnach mehr Treibhausgas abgegeben, als durch ihre Wachstumsprozesse gebunden werden konnte. Die Ursachen dafür seien zunehmend extreme Temperaturen und andere Wettereignisse, die Bäume absterben ließen.
Es sieht ganz danach aus, dass die ersten Subsysteme der globalen Klimamaschinerie beginnen umzukippen. Bei den Korallenriffen ist dies bereits geschehen, wie es im Global Tipping-Points Report 2025 heißt, den die Uni Exeter in Großbritannien im Oktober veröffentlicht hat. Die Korallenriffe sterben ab, und die Folgen für die Fischerei dürften katastrophal sein.
Verdrängungskünstler
Bei all den alarmierenden Meldungen sollte man meinen, dass die Bundesregierung endlich mehr in Sachen Klimaschutz unternimmt. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht ebenfalls im Oktober erneut eine Klage zugelassen, die ihr diesbezüglich Beine machen soll. Doch an der Spree übt man sich weiter im Verdrängen und plant lieber, wie berichtet, den Bau neuer Gaskraftwerke. Denn Gas ist ein verdammt gutes Geschäft. So hatte die Berliner Koalition denn auch keine Einwände gegen die Zusage der EU-Kommission, aus den USA gigantische Mengen des besonders klimaschädlichen Frackinggases einzukaufen.
Angeblich sind die neuen Gaskraftwerke notwendig, so die Argumentation der Bundesgasministerin Katherina Reiche, um die Stromversorgung auch während sogenannter Dunkelflauten, in denen weder Wind weht noch die Sonne scheint, sicherzustellen. Doch dafür könnte auch die rasch anwachsende Flotte von Batteriespeichern eingespannt werden, die inzwischen – dem technischen Fortschritt und der chinesischen Massenproduktion sei Dank – in vielen Haushalten die eigene Solaranlage ergänzen.
Moderne Stromzähler, digitaler Datenaustausch und programmierbare Einspeisung machen es möglich, doch die Bundesministerin scheint wenig Interesse daran zu haben, die notwendigen Regularien und Anreize zu schaffen. Auch hat sie es offenbar nicht eilig, den Netzanschluss der diversen größeren Speicherprojekte zu beschleunigen. Über 500 Megawatt aus Batteriespeichern warten derzeit darauf, ans Netz zu können.
Mit einer derartigen Leistung würden schon einmal eines von Reiches Gaskraftwerken überflüssig. Offensichtlich ist es inzwischen – vorausgesetzt, für den Netzanschluss wird gesorgt – ein gutes Geschäftsmodell, ein paar Container mit Akkus aufzustellen, um in Zeiten von Überangebot billig Strom zu speichern und dann bei hohem Bedarf teuer zu verkaufen.
Aber die Bundesregierung scheint Angst zu haben, dass dies ihren Gasplänen zu sehr schaden und den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen beschleunigen könnte. Wo doch bereits das bisherige Tempo der Energiewende Reiche erklärtermaßen zu hoch ist.
Also lässt sich das Wirtschaftsministerium einfach ein wenig Zeit – die EU-Kommission und der Ministerrat hatten es ja auch nicht nötig, ihre Hausaufgaben für die Verhandlungen in Belém zu machen.
Bereits im Februar hätten die neuen Klimaziele bis 2035 aufgeschrieben und bei der UN abgegeben werden sollen. Auch eine Nachfrist Ende September wurde versäumt und stattdessen mit dem Finger auf China gezeigt, das fleißiger war, aber dessen Ziele Brüssel nicht reichen. Anfang November, wenige Tage vor der Konferenz, sollen sie endlich formuliert sein. Zu befürchten ist, dass sie nochmal hinter den ohnehin schon unzureichenden Ambitionen zurückfallen werden.
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