Das Recht
von Angela Klein
Der Einzug der Geldwirtschaft war einer der Gründe für die Verschlechterung der Lage der Bauern Ende des 15./Anfang des 16. Jahrhunderts. Ein zweiter war die zunehmende Einführung des römischen Rechts; es löste das bis dato geltende Gewohnheitsrecht ab.
Das Gewohnheitsrecht wurde durch »Urteiler« (Schöffen) gefunden, das waren von den Bauern gewählte Laien, die nach Herkommen, Erfahrung und Vernunft urteilten. Die lokalen und individuellen Umstände wurden berücksichtigt, der gemeine Mann hatte eine Interpretationshoheit über das Recht.
Das römische Recht war demgegenüber ein Juristenrecht und ein schriftliches Recht. Dessen Quellen wurden im Hochmittelalter in Bologna wiederentdeckt und seitdem an den entstehenden Universitäten gelehrt. So bildete sich ein Juristenstand heraus. Die Fürsten, die nach dem Ende der Stauferzeit versuchten, Territorialgewalten aufzubauen, griffen gern nach diesem Recht, erlaubte es ihnen doch, unter dem Vorwand einer allgemeineren Gültigkeit sich über angestammte Gewohnheiten und lokale Besonderheiten hinwegzusetzen und letztlich die Bauern überhaupt aus der Gerichtsbarkeit zu verdrängen.
Hatten sie früher ihre Legitimation daraus gezogen, dass sie Gerichte schützten und die Vollstreckung der Urteile gewährleisteten, maßten sich die Herren nunmehr an, selber Recht zu setzen und die Ahndung von dessen Übertretung professionellen Gerichten zu übertragen. Anstelle des Dorfrechts traten Gesetze (Satzungen), die von oben erlassen wurden.
Verlor ein Abt einen Prozess vor örtlichen Gerichten, nahm er das Urteil nicht an, sondern zog vor die nächsthöhere Instanz, das Kammergericht, das zur Hälfte mit fremden Urteilern und den Herren nahestehenden Leuten besetzt war. Die Besetzung solcher Gerichte erfolgte durch die Obrigkeit. Rechtsfragen wurden zu Machtfragen.
Die Bauern klagten bitter über die Untergrabung ihrer tradierten Rechte und das neue Willkürregime. Es gab für sie nun keine Instanz mehr, an die sie sich wenden konnten, wenn ihnen Unrecht geschah. Das brachte die alte Ordnung völlig durcheinander und hinterließ bei ihnen das Gefühl, dass es kein Recht und Gesetz mehr gab, nur noch Fürstengewalt, Schacher und Willkür.
Sie forderten, dass die Gemeinde bei der Bestellung eines Richters beteiligt werde, dass Gerichte mit des Landrechts kundigen Einheimischen besetzt würden, nicht mit Doktoren oder Geistlichen von außen, und dass mündlich prozessiert werde, nicht schriftlich.
Wie es sein sollte, dafür hatten die Bauern im süddeutschen Raum – einer der beiden Hochburgen der Bauernaufstände – durchaus Vorbilder: in Schwyz und rund um den Vierwaldstättersee. Dort wurden die strafrechtlichen Statuten, die im Reich herrschaftliche Satzungen waren, von der Gemeinde selbst erlassen. Bis hinüber nach Appenzell und in habsburgische Lande gab es keine Krise des Rechts. »Erbrecht, Wehrpflicht, Freizügigkeit, Besetzung der Gerichte, Nutzung der Alpen, Seen, Flüsse und Wälder regelte die Nachbarschaft. Verordnungen über die Kirchweih, das Wirtshaus, den Weinausschank und die Aufnahme von Kapital regelte der Vogt im Einvernehmen mit den Untertanen«, schreibt Peter Blickle in seinem Büchlein Der Bauernkrieg.
»Wo Recht und Gesetz so ihren Fortgang nahmen, gab es nachweislich auch keinen Bauernkrieg.«
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.