Die Initiative Rheinmetall entwaffnen organisiert Protest gegen die deutsche Rüstungsindustrie
von Matthias Becker
Das Foto löste Empörung aus: als im März 2018 türkische Truppen Afrin in Nordsyrien eroberten und die kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG vertrieben, rollten deutsche Panzer durch die Stadt. Den Sieg verdankte die Türkei auch dem Leopard 2, hergestellt von den Rüstungsfirmen Rheinmetall und KNDS.
Für den Antimilitaristen Jonah Fischer waren die Aufnahmen ein Weckruf. »Was können wir tun? So entstand die Idee, darauf hinzuweisen, dass der Krieg auch hier in Deutschland produziert wird.«
Schnell fand sich ein passender Name: Rheinmetall entwaffnen! Seitdem ist das Bündnis aktiv und protestiert vor den Werkstoren der Konzerne, die das Material für Kriege in aller Welt liefern, mit der Parole: War starts here.
Bereits im Herbst desselben Jahres organisierte das Bündnis ein Protestcamp in Unterlüß in der Lüneburger Heide. Dort befindet sich einer der wichtigsten Produktionsstandorte von Rheinmetall. In Unterlüß stellt der Rüstungskonzern Munition her und testet seine Waffen auf einem großen Gelände. Seit dem ersten Camp von Rheinmetall entwaffnen hat der Konzern die Kapazitäten dieses Werks noch einmal erweitert: Die Fabrik beschäftigt kaum weniger Menschen, als in dem Dorf wohnen. In diesem schwierigen Umfeld organisierten die Aktivist:innen Diskussionen und Proteste. Während der Naziherrschaft befand sich auf dem Werksgelände ein Außenlager des KZ Tannenberg. Auf dem Camp von Rheinmetall entwaffnen wurde eine historische Ausstellung über die Zwangsarbeit vor Ort gezeigt, auch ein Gedenkstein für die Opfer wurde errichtet.
Camp-Besucher:innen versuchten aber auch, das Werk zu blockieren. Die offensive Herangehensweise, die zivilen Widerstand mit Information und Aufklärung verbindet, ist ein Kennzeichen für die Aktionen des Bündnisses. Für mediale Aufmerksamkeit sorgten die Antimilitarist:innen beispielsweise 2019, als sie bei der Hauptaktionärsversammlung die Bühne stürmten.
Laut Jonah Fischer ist die Zahl der Aktivist:innen gewachsen, so wie die Protestcamps, die 2022 in Kassel und 2024 in Kiel stattfanden. Aber die Zeiten sind härter geworden – und deutlich militaristischer. Aufrüstung und Kriegsvorbereitung zählen mittlerweile zum Kern der deutschen Regierungspolitik. Kritik und selbst abwägende Stimmen haben es in der Öffentlichkeit schwer. Seit dem Krieg gegen die Ukraine befürworten große Teile der Bevölkerung Waffenlieferungen. »Wir sind in einer gesellschaftlich anderen Situation«, sagt Jonah Fischer. »Rüstungskonzerne treten viel offensiver auf. In Interviews gibt sich Armin Pappberger, der CEO von Rheinmetall, nicht mehr nur als Rüstungsfabrikant, der seine Ware feil bietet, sondern als eine Art Politikberater.«
Gegen Rüstungskonversion
Das Bündnis reagiert auf die sog. Zeitenwende mit einer inhaltlichen Ausweitung. »Anfangs wollten wir einfach darauf hinweisen, dass Firmen wie Rheinmetall Tod produzieren, und Aufklärungsarbeit leisten.« Mittlerweile geht es nicht nur um Rüstungsfirmen, sondern auch um die Auswirkungen von Aufrüstung und Krieg auf die Klimakrise, die Debatte um eine Wehrpflicht und andere Aspekte der Militarisierung.
Während die übrige Industrie vor sich hin dümpelt, haben Rüstungsfirmen volle Auftragsbücher. Vormals zivile Metallbetriebe stellen Munition und Waffen her. Rettet Aufrüstung Arbeitsplätze? »Das ist ein Mythos«, glaubt Jonah Fischer. »Die Hersteller haben einen begrenzten Bedarf an Arbeitskräften. Andererseits geht die Aufrüstung auf Kosten der zivilen Infrastruktur – ganz zu schweigen von Investitionen in einen klimagerechten Umbau der Gesellschaft.«
»Wir geben klar zu verstehen, dass unser Protest sich nicht gegen die individuellen Angestellten von Rüstungsfirmen richtet«, betont der Antimilitarist. »Wir versuchen, die Camps so offen wie möglich zu gestalten. Als Raum für Diskussionen, in dem alle willkommen sind.« Rheinmetall entwaffnen sucht zudem den Schulterschluss mit antimilitaristischen Gewerkschafter:innen. Überhaupt, Demonstrationen und Öffentlichkeitsarbeit seien zwar wichtig, aber nötig sei »aktiver Widerstand an den Orten, wo die Militarisierung voranschreitet – in den Werken, Krankenhäusern, Schulen und Hochschulen, überall.«
›Alle zusammen gegen Krieg‹
Vom 26. bis 31.August plant Rheinmetall entwaffnen Aktionstage in Köln. In der »Rüstungsmetropolregion Rhein-Ruhr« haben großen Rüstungsfirmen wie Rheinmetall und Thyssen-Krupp ihren Sitz. In Weeze im Regierungsbezirk Düsseldorf errichtet Rheinmetall gerade zusammen mit der US-Firma Lockheed Martin eine neue Fabrik, in der F35-Kampfflugzeuge gebaut werden sollen. Letztes Jahr hat Diehl Defence eine Dynamitfabrik in Troisdorf, zwischen Köln und Bonn, aufgekauft.
Anlässe für Protest gibt es also reichlich. Aber es geht auch um andere Formen der Kriegsvorbereitung. Zum Beispiel im Gesundheitswesen: Die Kölner Städtischen Kliniken planen eine unterirdische Intensivstationen am Standort Merheim, ausdrücklich auch für den Kriegsfall, um verletzte Soldaten zu behandeln. »Militärisch nützliche Leute werden zuerst versorgt werden«, kritisiert Jonah Fischer.
Rheinmetall entwaffnen will mit dem Protestcamp Kräfte sammeln, unterschiedliche Bewegungen zusammenbringen. Auch international. »Die Aufrüstung passiert transnational, also muss es der Protest auch sein. Wir wollen mit Genoss:innen aus dem Ausland einen Ort schaffen, an dem wir gemeinsam Strategien überlegen können.« Für den 30.August, ist in Köln ein Aktionstag geplant.
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