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Europa 1. Juli 2025

Die Rechte auf dem Vormarsch
von Matthias Schindler

Das gesellschaftliche Klima ist in Portugal aktuell durch eine scharfe soziale und politische Polarisation gekennzeichnet.

Seit dem Sturz der Salazar-Diktatur am 25.April 1974 haben die beiden vorherrschenden Parteien – die sozialdemokratische Partido Socialista (PS) und die konservative Partido Social Demócrata (PSD) – die Geschicke des Landes geprägt.

Jahrzehnte neoliberaler Umstrukturierungen, Korruptionsskandale unvorstellbaren Ausmaßes, der Zusammenbruch bedeutender Teile staatlicher Institutionalität (vor allem der Gerichtsbarkeit) und eine nahezu totale Straffreiheit für die Profiteure dieser Verhältnisse haben ein soziales Trümmerfeld und ein allgemeines Misstrauen gegenüber allem staatlichen Handeln hinterlassen.
Ausländerfeindlichkeit, Frauenhass, offen faschistische Propaganda und sogar Gewaltaktionen sind auf dem Vormarsch. Die überwältigende Demonstration von geschätzten eine Million Menschen zum 50.Jahrestag der Nelkenrevolution von vor einem Jahr war das letzte große Aufbäumen gegen diese Entwicklung.

Das Wahlergebnis
Unter diesen Bedingungen haben die Parlamentswahlen vom 18.Mai 2025 zu einem massiven Rechtsruck in der Gesellschaft und im Parlament geführt, was die allgemeine gesellschaftliche Polarisierung noch einmal deutlich verschärft hat.
Seit den ersten demokratischen Wahlen von 1975 ist die traditionelle Mehrheit von zwischen 60 und 70 Prozent, die die PS und die PSD zusammengenommen immer erreichen konnten, nun zum zweiten Mal in Folge mit knapp 55 Prozent deutlich unterschritten worden.
Die PSD, die dieses Mal mit dem Bündnis Aliança Democrática (AD) antrat, erreichte 31,2 Prozent und verblieb damit trotz leichter Gewinne auf dem gleichen Niveau wie auch schon bei den drei vorangegangenen Wahlen, während sie davor seit 1979 meistens Ergebnisse zwischen 40 und 50 Prozent einfahren konnte.
Die PS erreichte mit 22,8 Prozent ihr schlechtestes Resultat seit den 80er Jahren. Der große Gewinner dieser Wahl war die rechtsextreme Partei Chega (»Es reicht!«), die noch über die Prognosen hinausgehende 22,8 Prozent der Stimmen erringen konnte. Die extrem antisoziale Iniciativa Liberal (IL) kam auf 5,4 Prozent. Damit verfügen die Parteien rechts von der PS mit insgesamt knapp 62 Prozent der Wahlstimmen und 157 (von insgesamt 230) Abgeordneten erstmalig über eine für Verfassungsänderungen erforderliche Zweidrittelmehrheit im Parlament. Sie haben schon angekündigt, dass sie mehrere in der Verfassung verankerte soziale und politische Rechte einschränken wollen.
Die Parteien links von der PS erreichten zusammen genommen 10,8 Prozent, ein Ergebnis, das im Bereich der beiden vorausgegangenen Wahlen von 2022 (11,6 Prozent) und 2024 (12,6 Prozent) liegt. Zwischen diesen Parteien kam es jedoch zu einer deutlichen Verschiebung der Stimmen zugunsten von Livre, die 4,1 Prozent erreichte.
Die Partido Comunista Português (PCP) kam im Bündnis mit der Partido Ecologista Os Verdes (PEV) bei leichten Verlusten nur noch auf 2,9 Prozent und die Tierschutzpartei Pessoas – Animais – Natureza (PAN) auf 1,4 Prozent der Stimmen. Der große Wahlverlierer war der Bloco de Esquerda (BE), der mit einem Ergebnis von 2,0 Prozent mehr als die Hälfte seiner Wählerstimmen verlor und jetzt nur noch mit einer einzigen Abgeordneten (bisher waren es fünf) – der Koordinatorin des BE, Mariana Mortágua – im Parlament vertreten ist.

Soziale Misere und Hasspropaganda
Es ist offensichtlich, dass der Aufstieg von Chega direkt mit dem Niedergang der beiden traditionellen Parteien PS und PSD während der letzten 20 Jahre zusammenhängt. Diese beiden Parteien haben Portugal heruntergewirtschaftet. Ihre Regierungen haben häufig ihren privaten Geschäftsinteressen gedient, sie haben Vetternwirtschaft und Korruption als allgemeines Gesellschaftsmodell etabliert, Industriearbeitsplätze abgebaut, Wohnraum zu Spekulationsobjekten gemacht, immer mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte ins Ausland vertrieben, prekärer Arbeit Tür und Tor geöffnet und vielen alten und jungen Menschen eine würdige Lebensperspektive in Portugal genommen.
Das ist der ideale Nährboden für eine rechtsextreme Partei wie Chega, die zwar keine Alternativvorschläge macht, aber den Immigranten die Schuld an dieser Misere zuschiebt. Dabei ist Chega mindestens ebenso korrupt wie die PSD und darüber hinaus auch noch in diverse kriminelle Skandale verwickelt. Aber das schadet ihrer Wählerunterstützung in keiner Weise.
Jetzt steht der alte und neue Ministerpräsident Montenegro (PSD/AD) vor der Wahl, entweder eine feste Regierungskoalition mit der PS oder mit Chega zu bilden oder sich von Mal zu Mal parlamentarische Mehrheiten für seine Maßnahmen zu suchen. Bei allen drei Parteien ist nicht klar, welchen Weg sie gehen wollen.

Ungerechtes Wahlsystem
Es war zu erwarten, dass diese Wahl kein qualitativ anderes Ergebnis hervorbringen würde, als die nur gut ein Jahr zurück liegenden Wahlen von 2024. Dennoch ist das dramatisch schlechte Abschneiden des Linksblocks (BE) und eine gewisse Wählerwanderung zu Livre eine Überraschung, die einer Erklärung bedarf.
Die für den BE besonders bittere Reduzierung auf nur einen Abgeordnetensitz im Parlament hat seine Ursache unter anderem auch in dem portugiesischen Wahlgesetz, das kleinere Parteien stark benachteiligt. Kleinere Parteien können nur dann eine parlamentarische Präsenz erringen, wenn sie den Großteil ihrer Stimmen in den urbanen Zentren von Lissabon und Porto erringen.
Wenn die Zusammensetzung des Parlaments dem Ergebnis der Wahlstimmen proportional entsprechen würde, würden PSD/AD, PS und Chega zusammengenommen 23 Abgeordnete weniger und die anderen kleineren Parteien insgesamt 23 Abgeordnete mehr haben. Bei einer proportionalen Sitzverteilung im Parlament hätte der BE immerhin fünf Abgeordnete bekommen.
Natürlich haben die drei großen Parteien kein Interesse daran, das Wahlrecht in diesem Sinne zu demokratisieren. Daher brauchten PSD/AD, PS und Chega durchschnittlich nur etwa 24.000 Wahlstimmen, um einen Sitz zu gewinnen, während der BE trotz seiner 125.710 Stimmen nur einen einzigen Sitz erhalten hat.

Verleumdungskampagne gegen den Linksblock
Aber die dramatische Halbierung der absoluten Wahlstimmen des BE bedarf einer politischen Erklärung. Der BE war das Ziel einer massiven rechtsextremen Kampagne sowohl in den sog. sozialen Medien, als auch in den privaten und öffentlichen Fernsehanstalten.
Der BE hatte seine Wahlkampagne darauf konzentriert, die Wohnungsnot durch einen Mietendeckel zu bekämpfen, Verbesserungen für die Beschäftigten in Schichtarbeit durchzusetzen und hohe Einkommen etwas höher zu besteuern. Aber der BE drückte darüber hinaus auch seine Solidarität mit dem palästinensischen Volk aus, indem die Spitzenkandidatin Mariana Mortágua beispielsweise häufig mit einem Palästinensertuch auftrat.
In der auch in Portugal künstlich erzeugten Kriegshysterie stellte sich der BE sowohl gegen die NATO als auch gegen eine europäische Aufrüstung. Er setzte sich ebenfalls stark für Frauenrechte und Diversität ein. Gerade diese Themen nutzte die bürgerliche und erst recht die extreme Rechte zu einem Feldzug gegen links, der sich hauptsächlich gegen den BE. Auf die Härte und Primitivität dieser rechtsextremen, xenophoben, frauenfeindlichen und antisozialen Kampagne war der BE jedoch nicht vorbereitet.
Aufgrund seiner Solidarität mit Palästina wurde der BE als antisemitisch und terroristisch diffamiert. Wegen seiner Kritik an der NATO und der europäischen Aufrüstung wurde er als Putinfreund verleumdet.
Vor allem jedoch wurde eine mediale Kampagne gegen den BE inszeniert, die auf der Lügengeschichte basierte, dass er drei Jahre zuvor drei Angestellte, die sich in Mutterschaftsurlaub befanden, unrechtmäßig entlassen habe. In Wahrheit musste der BE im Jahr 2022 die befristeten Verträge für viele seiner Beschäftigten auslaufen lassen, weil er bei den damaligen Wahlen schon einmal viele Stimmen verloren hatte. Dennoch hatte der BE wegen ihrer besonderen Situation noch Sondervereinbarungen mit den drei betroffenen Frauen getroffen, die deutlich über die gesetzlichen Bestimmungen hinausgingen und die die anderen Entlassenen nicht in Anspruch nehmen konnten.
Aber die Wahrheit spielte hier keine Rolle mehr. Die Skandalisierung dieser Geschichte hat den BE, der traditionell eine starke Frauenbasis hat, Tausende von Frauenstimmen gekostet. Viele vormalige Wählerinnen des BE haben daher bei diesen Wahlen Livre ihre Stimme gegeben, zumal diese Partei in vielen Fragen wesentlich weichere Positionen als der BE vertritt, wie beispielsweise bei der Unterstützung der europäischen Aufrüstung.

Der Kampf geht weiter
Aber die zentralen Themen des BE bleiben weiterhin aktuell. Der Regierungschef Montenegro hat klar gesagt, dass er weder in der Wohnungskrise, noch bei den Arbeitsbedingungen oder auch bei der Besteuerung der Reichen für mehr soziale Gerechtigkeit der Situation sorgen wird.
Die Rüstungsausgaben wollen nicht nur die rechten Parteien sowieso steigern. In Porto wurden Frauen, die Obdachlosen helfen wollten, von Neonazis angegriffen. In Lissabon wurde das fortschrittliche Theater A Barraca von Neonazis überfallen und einer der Schauspieler krankenhausreif geschlagen. Dem liberalen Imam Sheik David Munir der Moschee von Lissabon – einem gebürtigen Portugiesen – wurde auf einer offiziellen staatlichen Feier am 10.Juni von Neonazis öffentlich das Recht abgesprochen, in Portugal zu leben, ohne dass irgendein Staatsvertreter dies zurückgewiesen hätte. Die Linke steht vor großen Herausforderungen.

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