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Industrie 1. November 2025

Wie grün ist der grüne Kapitalismus?
von Lars Hirsekorn

»Woher kommen die Rohstoffe für die Antriebswende? Welche Folgen hat der Abbau von Leichtmetallen wie Lithium und Kupfer?« Mit diesen und vielen weiteren Fragen im Hinterkopf machte sich eine etwa 30köpfige Reisegruppe im September 2025 auf in die Republik Serbien.

Dieser erste Artikel einer dreiteiligen Serie dreht sich um die Automobilindustrie im Land. In den nächsten Ausgaben wird es um den politisch und sozial umkämpften Abbau von Lithium und Kupfer gehen.

Die Naturfreunde Niedersachsen haben die neuntägige Bildungsreise organisiert. Teilgenommen hat eine bunte Mischung aus Beschäftigten in der Automobilindustrie, Leuten aus Wissenschaft, NGOs, der Klimabewegung und Medienschaffende.
Auf unserer ersten Station in Belgrad bekamen wir zunächst einen Einblick in die Automobilindustrie des Landes. Der Industriezweig mit rund 95.000 Beschäftigten ist überwiegend durch »einfache«, aber arbeitsintensive Tätigkeiten geprägt. Kabelbäume, Lichtelektrik, Scheibenwischer, Kunststoff- und Blechteile bilden das Gros der Produkte dieser Zulieferindustrie. In den 70er und 80er Jahren wurden diese Arbeiten in Deutschland überwiegend von Frauen gemacht. Auch nach der Verlagerung der Produktion nach Osteuropa werden in solchen Werken immer noch in einem hohen Maße Frauen beschäftigt.

Mindestlohn
Wir trafen uns mit Gewerkschafter:innen von den Zulieferfirmen Yura (Stammsitz in Serbien), Yangfeng (China) und Integrated Micro-Electronics IMI (Philippinen), die von ihren Arbeitsbedingungen und Kämpfen berichteten. Organisiert wurden die Treffen von der Gruppe Radnicki Glas (Arbeiterstimme), einer marxistischen und gewerkschaftlich orientierten Gruppe.
Der Grundlohn in Serbien orientiert sich am Mindestlohn. Erst durch Überstunden und Boni kommt eine Entlohnung zusammen, die annähernd zum Leben reicht. So ist für viele Arbeiter:innen die 6-Tage-Woche zur Regel geworden.
Als in Deutschland Volkswagen bei der Tochterfirma Auto 5000 GmbH Anfang der 2000er einen Bonus in Abhängigkeit von Krankheitstagen einführte, scheiterte diese »Disziplinierungsmaßnahme«, vermutlich wegen der geringen Höhe.
In der serbischen Zulieferindustrie hat diese Erpressung dagegen eine ganz andere Wirkung, weil der Grundlohn niedriger ist. Je länger die Kolleg:innen nicht krankgeschrieben waren, um so höher steigt ihr Bonus. Bei einem einzigen Tag Krankheit verfällt dann allerdings ihr ganzer Anspruch, und sie arbeiten wieder für den Mindestlohn.
Viele Kolleg:innen in Serbien haben es geschafft, eine gewerkschaftliche Organisierung zu erreichen, und kämpfen mutig für bessere Arbeitsbedingungen. Doch nach wie vor ist die Automobilindustrie in Serbien ein Niedriglohnbereich. Eben deshalb haben sich in den letzten zehn Jahren jede Menge Zulieferer angesiedelt, die Automobilproduzenten in aller Welt beliefern.
Zum Beispiel hat der chinesische Reifenhersteller Linglong im Jahr 2023 auf rund 500.000 Quadratmetern eine riesige Reifenfabrik errichten lassen. Überwiegend chinesische Arbeiter:innen sollen dort bis zu 14 Millionen Reifen im Jahr produzieren. Der VW Tiguan wird schon serienmäßig mit diesen Reifen ausgeliefert.
Die serbische Regierung lockt die entsprechenden Fabriken mit hohen Subventionen an. Sie hat als Ziel ausgegeben, die Fertigungstiefe und Wertschöpfung zu erhöhen und damit mehr Profit im eigenen Land zu halten.

Lithium und Kupfer
Im Juli 2024 unterzeichnete der serbische Präsident Aleksandar Vucic ein Memorandum of understanding mit der EU-Kommission und der deutschen Regierung über die Förderung von Lithium in Jadar im westlichen Serbien. Das Land besitzt die wohl größten Vorkommen in Europa. Für die bisherigen technischen Verfahren in der Elektromobilität sind Lithium und Kupfer unverzichtbar, so wie die sogenannten selten Erden.
Die Regierung versucht, den Abbau dieser Metalle voranzutreiben. Während der Großteil des Kupfererzes mittlerweile exportiert wird und die Veredelung überwiegend in China stattfindet, soll es bei Lithium nach Möglichkeit anders sein und eine Wertschöpfungskette im eigenen Land entstehen. Auch eine Batteriezellenfabrik ist im Gespräch.
Doch sowohl bei Lithium als auch bei Kupfer gibt es großen Widerstand aus der Bevölkerung: Die mit der Förderung der Erze verbundenen Verwüstungen werden nicht mehr hingenommen.

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