Moderne Brunnenvergifter
von Nele Johannsen
Dass Ewigkeitschemikalien fortwährend in die Umwelt gelangen, ist eine schleichende Katastrophe.
Was heute ins Grundwasser sickert, stammt oft aus vergangenen Jahrzehnten. Löschschäume, Industrieabwässer und kontaminierte Schlämme wurden lange bedenkenlos verwendet, was heute zu einem Umweltproblem ersten Ranges geführt hat. Denn die darin enthaltenen PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen*), sog. Ewigkeitschemikalien, sind schwer abbaubar und wandern langsam, aber stetig durch die Bodenschichten nach unten. Was einmal freigesetzt wurde, erreicht früher oder später das Grundwasser. Diese Kontamination ist weder sichtbar noch rückgängig zu machen.
Die Zahl der Regionen, die mit Altlasten kämpfen, deren Ursprung längst vergessen oder verdrängt ist, steigt. Die Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit sind verheerend. Politische Gegenmaßnahmen fehlen, obwohl es längst nicht mehr um Einzelfälle geht.
Vergiftete Landschaften
PFAS heißt eine Gruppe von über 10.000 Industriechemikalien, die aufgrund ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften in zahlreichen Produkten eingesetzt werden – von der Beschichtung von Bratpfannen über Outdoorjacken bis zu Feuerlöschschaum. Das Problem: Diese chemischen Verbindungen sind extrem stabil. Sie werden in der Umwelt nicht abgebaut und gelangen schließlich ins Grundwasser.
Die Wege der Kontamination sind vielfältig: Löschschäume an Flughäfen, Industrieabwässer aus der Papier- und Textilverarbeitung, Klärschlämme auf Feldern, Pestizide in der Landwirtschaft – um nur einige Beispiele zu nennen.
Laut Umweltbundesamt wurden in allen 600 Bodenproben einer bundesweiten Untersuchung PFAS nachgewiesen. Dass sich diese Substanzen leicht verbreiten, erschwert die Kontrolle. Sie gelangen in den Boden, in Flüsse, Seen und schließlich ins Meer. Dort reichern sie sich im Meeresschaum an. Der Greenpeace-Vertreter Julios Kontchou warnt: Solcher Schaum könne am Strand »direkt mit der Haut in Berührung kommen, als Aerosol eingeatmet oder sogar versehentlich verschluckt werden«, besonders von Kindern.
Dabei gibt es Möglichkeiten, diese Verschmutzung der Umwelt zu verhindern. Das Umweltbundesamt nennt beispielhaft Ansätze wie PFAS-haltige Löschmittel durch fluorfreie Alternativen zu ersetzen, den Einsatz auf ein Minimum zu reduzieren und kontaminiertes Löschwasser aufzufangen und zu entsorgen. Allerdings lösen solche Maßnahmen das strukturelle Problem nicht. Denn eine umfassende Sanierung von belasteten Böden ist technisch kaum möglich – sie erfordert eine thermische Behandlung bei über 1200 °C. Realistisch und durchführbar sind lediglich punktuelle Sanierungen, etwa durch aufwendiges Filtern.
Im Essen, im Körper, im Blut
Über das Grundwasser gelangen PFAS auch in Pflanzen – und damit in die Nahrungskette. In Rastatt beispielsweise wurden über Jahrzehnte hinweg Abfälle aus der Papierindustrie auf die Felder gekippt. Die enthaltenen Moleküle gelangten in den Boden und ins Grundwasser und von dort in die angebauten Pflanzen. Fische und Eier weisen eine erhöhte Belastung auf. Selbst Wildtiere sind betroffen: Laut Bundesumweltministerium finden sich PFAS insbesondere in Wildschweinen. Deswegen wird inzwischen deutschlandweit vom Verzehr von Wildschweinleber abgeraten.
Auch in anderen europäischen Ländern gibt es solche Beispiele. In Dänemark gelangten PFAS von einer Feuerlöschübungsstätte aus über das Grundwasser auf Wiesen, von dort in das Futter von Rindern und schließlich in die Milch und das Fleisch – und über den Verzehr in den menschlichen Körper. In Ronneby, Schweden, führte eine militärische Brandübungsfläche zum Eintrag im Trinkwasser. Die Konzentrationen im Blut der Anwohner:innen waren drastisch erhöht.
Fast jeder Mensch in Europa hat PFAS im Blut. Selbst in Mineralwasser und Wein wurden bereits Rückstände gefunden – die Folge einer jahrzehntelangen Belastung der
Umwelt, die niemand ernsthaft beobachtet. Die Substanzen lagern sich vor allem in Leber, Niere und Blutplasma ab. Einige stehen im Verdacht, krebserregend zu sein. Bei anderen ist nachgewiesen, dass sie den Hormonhaushalt beeinflussen, das Immunsystem, die Fruchtbarkeit und den Stoffwechsel. Vor allem langkettige PFAS-Moleküle, die weniger wasserlöslich und mobil sind, verbleiben über Jahrzehnte im Körper. Viele Zusammenhänge sind noch nicht ausreichend erforscht. Klar ist allerdings: Wer PFAS einmal im Körper hat, wird sie so schnell nicht mehr los.
Industrie blockt ab
»Die Einstufung dieser ›ewigen Chemikalien‹ als schädlich für die Fortpflanzung ist allein noch keine Lösung für unser riesiges PFAS-Problem«, sagt Manuel Fernandez, Referent für Stoffpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). »Wir brauchen ein weitreichendes Verbot von PFAS-Chemikalien.«
Doch trotz ihrer toxischen Wirkung gibt es kein systematisches bundesweites Monitoring von PFAS. Zwar wird in 15 Bundesländern gemessen, bisher jedoch nur anlassbezogen (etwa in der Nähe von Flughäfen, Industrieanlagen oder militärischen Brandübungsplätzen). Auch ein rechtlich bindender Grenzwert für PFAS im Grundwasser fehlt.
Trotz der bekannten Risiken sind in der EU nur wenige PFAS chemikalienrechtlich erfasst oder reguliert – weniger als 20 von über 10.000 Substanzen. In Brüssel stoppt die Industrie derzeit umfassendere Regelungen mit einer ausgefeilten Strategie. Die Chemiebranche setzt intensiv auf Einflussnahme. Laut Corporate Europe Observatory und dem Forever Lobbying Project wird die EU-Kommission systematisch mit Lobbytreffen, massiven Einsprachen und Tausenden von Briefen überschwemmt. Dabei stützt sich die Industrie auch auf unwissenschaftliche Behauptungen.
Dagegen halten zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen wie beispielsweise der BUND. Sie fordern ein EU-weites Verbot aller nichtessenziellen PFAS-Anwendungen. Im Januar 2025 wurde eine Petition mit über 56.000 Unterschriften an Gesundheitsminister Karl Lauterbach übergeben. Die Umweltorganisation warnt: »Die Ewigkeitschemikalien PFAS vergiften Wasser, Böden, Pflanzen und Tiere. Mit jedem Tag ohne Verbot steigen die Risiken für Mensch und Umwelt.«
Was tun?
Ein grundlegender Kurswechsel ist erforderlich: ein gesetzliches Verbot für alle nichtessenziellen PFAS-Anwendungen, ein systematisches und unabhängiges Monitoring, eine starke internationale Zusammenarbeit sowie eine Einschränkung des industriellen Einflusses auf politische Entscheidungsprozesse.
Solange Konzerne mitregulieren dürfen, was andere ausbaden müssen, bleibt jede Regulierung unzureichend. Solange sich politisches Handeln an den Interessen der Industrie statt am Schutz von Gesundheit und Umwelt orientiert, wird sich an der Lage wenig ändern.
PFAS sind nur ein Teil einer viel größeren Krise: die systematische Externalisierung von Risiken, die künftige Generationen belasten werden. Die Vergiftung durch PFAS vollzieht sich leise und unsichtbar, aber sie hinterlässt bleibende Spuren – in der Umwelt und in unserem Körper.
*Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen sind aliphatische organische Verbindungen, bei denen an mindestens einem Kohlenstoffatom die Wasserstoffatome am Kohlenstoffgerüst vollständig durch Fluoratome ersetzt worden sind.
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