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Wasser 1. Juli 2025

Klimaerwärmung, soziale Ungleichheit und industrielle Interessen bedrohen das Recht auf Wasser
von Gerhard Klas

Klimaerwärmung, soziale Ungleichheit und industrielle Interessen bedrohen das Recht auf Wasser. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Aber wer entscheidet eigentlich, wer wie viel davon bekommt? Wer leben darf, wer sterben muss? Konzerne machen Wasser knapp: durch Privatisierung, durch seine vorrangige Nutzung für industrielle Zwecke, durch Verschmutzung bis hin zur Vergiftung – ob bei Tesla in Brandenburg oder durch die Pharmaindustrie, ob in Uruguay, Guatemala oder Großbritannien. Und fast alle Regierungen spielen mit.

Von den Anden Perus bis zu den Kohletagebauen in Nordrhein-Westfalen: Wasser, der Quell allen Lebens, ist ein zunehmend umkämpftes Gut. Obwohl rund 71 Prozent der Erdoberfläche von Wasser bedeckt sind, bleibt der Zugang zu sauberem Trinkwasser für Milliarden Menschen unerreichbar. Die Ursachen sind selten natürliche Knappheit, sondern menschengemachte Ungleichheit: wirtschaftliche Interessen, politische Untätigkeit, koloniale Altlasten. Und auch dort, wo Wasser scheinbar im Überfluss vorhanden ist – etwa in Deutschland – geraten Gemeinwohl und Profitlogik zunehmend in Konflikt.

Wasser ist nicht gleich Wasser
Nur drei Prozent der globalen Wassermenge sind Süßwasser, der überwiegende Teil davon in Gletschern oder Grundwasser gebunden. Direkt zugänglich ist nur ein Bruchteil, rund 0,3 Prozent. Doch selbst dieser kostbare Anteil ist extrem ungleich verteilt. Während in vielen Teilen Europas jederzeit Trinkwasser aus dem Hahn fließt, müssen Menschen in Ländern wie Äthiopien, Bolivien oder Indien mit Kanistern und Eimern weite Wege zu Brunnen oder Flüssen zurücklegen – oft zu verunreinigten Quellen. Mehr als 2 Milliarden Menschen weltweit haben laut UNO keinen sicheren Zugang zu sauberem Wasser. Für 785 Millionen fehlt sogar eine Basisversorgung.
Die Ursachen dafür sind vielschichtig: schwache Infrastruktur, Korruption, Privatisierung. Besonders betroffen sind ländliche Regionen, arme und marginalisierte Bevölkerungsgruppen – darunter Geflüchtete, indigene Gemeinschaften und migrantische Arbeiter:innen. In Lateinamerika etwa, einem wasserreichen Kontinent, sind Millionen dennoch auf ungesunde Quellen angewiesen.
Die vermeintliche Knappheit entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Verteilungsproblem. »Ob Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben oder nicht, hat nichts damit zu tun, wie viel Wasser es in einem Land gibt«, so Marian Henn von der Menschenrechtsorganisation FIAN im März auf der internationalen Wasserkonferenz in Köln. »Es ist also keine Frage der reinen Verfügbarkeit, sondern hängt mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren und mit Fragen struktureller Machtverhältnisse zusammen.«

20 Liter Wasser täglich
Im Jahr 2010 wurde der Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung von der UN-Vollversammlung als eigenständiges Menschenrecht anerkannt – ein historischer Schritt, maßgeblich erkämpft durch Bewegungen aus dem Globalen Süden. Bereits zuvor war dieses Recht in diversen Konventionen angelegt, etwa in jenen über Frauen- oder Kinderrechte.
Doch die rechtliche Anerkennung allein reicht nicht aus: Zwischen normativem Anspruch und praktischer Umsetzung klafft eine gewaltige Lücke. UN-Richtlinien konkretisieren die Anforderungen: Jeder Mensch hat Anspruch auf mindestens 20 Liter sauberes Wasser pro Tag, die Wasserquelle darf nicht weiter als einen Kilometer entfernt liegen und sollte höchstens 3 Prozent des Haushaltseinkommens kosten. Zudem darf niemand diskriminiert oder vom Zugang ausgeschlossen werden. Staaten tragen die dreifache Pflicht, das Recht zu achten, zu schützen und aktiv umzusetzen – sowohl auf nationaler Ebene als auch durch ihre Rolle im globalen Handel, etwa durch Rohstoffimporte oder Finanzierungen.

Deutschland ist Teil des Problems
Dass auch ein wasserreiches Land wie Deutschland Teil des Problems ist, zeigt eine aktuelle Recherche des investigativen Netzwerks Correctiv vom 5.Juni.
Während viele Städte in den vergangenen Dürresommern ihre Bürger:innen zum Wassersparen aufriefen und Gartenbewässerung untersagten, konnten Industrieunternehmen wie RWE oder BASF weiterhin ungehindert Millionen Kubikmeter Wasser entnehmen – oft kostenlos oder zu symbolischen Gebühren.
So entnimmt allein RWE im Rheinland jährlich über 500 Millionen Kubikmeter Grundwasser – das entspricht dem Verbrauch von 11 Millionen Menschen. In anderen Regionen, etwa Baden-Württemberg oder Sachsen-Anhalt, fehlen ebenfalls klare gesetzliche Prioritäten für Trinkwassernutzung bei industrieller Verwendung. Während Kommunen mit knappen Kassen die Bürger:innen zur Disziplin mahnen, bleiben Konzernrechte unangetastet.
Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) legen nahe, dass höhere Wasserpreise den industriellen Verbrauch deutlich senken könnten – um bis zu 16 Prozent. Doch bisher scheitern Reformen an politischem Unwillen und wirtschaftlicher Einflussnahme. Inzwischen häufen sich juristische Auseinandersetzungen: Kommunen verklagen Konzerne, Umweltverbände fordern eine klare Priorisierung. Der Konflikt um das Wasser ist auch in Deutschland angekommen – und zeigt: Das Menschenrecht steht nicht nur im globalen Süden auf dem Spiel.

Globale Brennpunkte
Weltweit verdichten sich die Wasserkrisen zu sozialen Konflikten – oft angeheizt durch extraktive Industrien. Zwei Beispiele:
In Guinea fördert ein Konsortium unter deutscher Mitfinanzierung Bauxit, das etwa für Aluminiumproduktion benötigt wird. Die Folge: Flüsse werden verunreinigt, Dörfer zwangsumgesiedelt, Ersatzwasser ist ungenießbar. Die betroffenen Menschen verlieren nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern auch ihre Würde. Ein klassischer Fall struktureller Menschenrechtsverletzung – auch begünstigt durch deutsche Hermesbürgschaften.
In Guatemala wiederum dokumentiert die indigene Bewegung Qana’ Ch’och, ein Zusammenschluss von 20 Maya-Gemeinden, die Enteignung von Flüssen durch Palmöl- und Zuckerrohrunternehmen. Großplantagen leiten Wasser um, vergiften es mit Pestiziden, die in Europa längst verboten sind, während die lokale Bevölkerung verdurstet. »Koloniale Doppelstandards im internationalen Pestizidhandel erlauben es Unternehmen wie Bayer und BASF, diese weiterhin zu produzieren und in Länder des Südens zu exportieren«, so Marian Henn von FIAN. Aber wer sich in Guatemala dagegen wehrt, wird bedroht. Der Fluss und die anliegenden Dörfer werden so zum Schauplatz kolonialer Kontinuitäten.

Wasser ist ein Gemeingut
Doch es gibt Gegenwehr – lokal, international, juristisch. Zivilgesellschaftliche Gruppen erstreiten Anerkennung vor UN-Gremien, nutzen Bestimmungen aus noch gültigen Lieferkettengesetzen für Rechenschaftspflichten oder klagen vor Gerichten auf Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechten.
Bewegungen wie Qana’ Ch’och oder Kämpfe in Peru und Südafrika zeigen: Wasser ist nicht nur Objekt staatlicher Fürsorge – es ist politisches Terrain. Und mehr noch: Es ist Subjekt.
In vielen indigenen Kulturen gilt Wasser als lebendiges Wesen, nicht als Ressource. Diese spirituell-politische Perspektive fordert die westliche Rechtsordnung heraus – und bietet einen radikal anderen Zugang zur Ressource: Wasser nicht besitzen, sondern beschützen; nicht verwalten, sondern mit ihm in Beziehung treten.
Für die Maya in Guatemala ist Wasser keine Ware, sondern ein Gemeingut. Eine Dekolonisierung des Wasserrechts bedeutet, die Stimmen jener zu hören, die am meisten betroffen sind – und ihre Rechte gegen die Kapitalinteressen westlicher Investoren zu verteidigen. Dabei sollten sie nicht nur als Opfer, sondern als Wissens- und Handlungsträger:innen anerkannt werden.
Oder, wie ein Aktivist von Qana’ Ch’och es gegenüber FIAN formulierte: »Wir verteidigen den Fluss – aber der Fluss verteidigt auch uns, indem er uns Leben schenkt.«

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