IG Metall und Automobilindustrie gegen EU-Klimaschutzziele
von Thies Gleiss
Das Verfahren ist hinlänglich bekannt, der Zeitpunkt aber etwas verspätet: Immer dann, wenn eine neue Regierungsbildung und Koalitionsverhandlungen anstehen, haben sich in der Vergangenheit Unternehmerverbände und Gewerkschaftsvorstände in »gemeinsamen Erklärungen« oder »Mahnbriefen« zu gesellschaftlich strittigen Themen geäußert, wo soziale Interessen und Umweltschutz oder Friedenspolitik aufeinander prallen, und angeblich gemeinsame Forderungen vorgetragen.
So gut wie immer haben sich diese Stellungnahmen aus gewerkschaftlicher Sicht – nicht zu reden von der Perspektive der Umwelt- und Antikriegsbewegung – als Kotau vor lange zuvor vorgetragenen Forderungen der Kapitalverbände aus der Metall-, Chemie- oder Rüstungsindustrie erwiesen.
In der Regel steht dies in krassem Widerspruch selbst zu den bescheidenen Forderungen von Gewerkschaftstagen oder Gewerkschaftsstrukturen, die oft noch kurz zuvor im Wahlkampf vorgetragen wurden. Demokratisch von der gewerkschaftlichen Basis legitimiert sind diese gemeinsamen Stellungnahmen nie, und zu oft fallen sie gewerkschaftlichen Kämpfen direkt in den Rücken.
Das trifft alles auch auf die aktuelle Erklärung des Verbands der Automobilindustrie und des IG-Metall-Vorstands zur Krise der Automobilindustrie zu, die gut hundert Tage nach Antritt der Regierung Merz/Klingbeil veröffentlicht worden ist.
Unternehmerforderungen übernommen
Ausgangspunkt der jüngsten Erklärung sind angeblich gemeinsame Einschätzungen von Gewerkschaft und Unternehmerverband:
»VDA und IG Metall teilen dabei jedoch einige grundlegende Einschätzungen: Es ist notwendig, die Nachfrage auf dem europäischen Markt zu stärken, den europäischen Wertschöpfungsanteil der hier produzierten Fahrzeuge hochzuhalten und bei neuen Technologien zu steigern sowie die Entwicklungszyklen in unserer Industrie zu beschleunigen. Energiekosten müssen gesenkt werden und es braucht konsequenten Bürokratieabbau … Die Politik muss endlich die Rahmenbedingungen für die Elektromobilität in ganz Europa schnell und umfassend verbessern.«
Und dazu müssen bestehende, und aus Klimagründen längst nicht ausreichende, Maßnahmen zurückgenommen oder verlangsamt werden. Die CO2-Regulierungen »müssen flexibilisiert« werden:
»Die Flottenregulierung für die Hersteller hingegen hat für Europa nur einen einzigen Zielwert, das heißt, Defizite in einem Mitgliedstaat müssen durch Übererfüllung in anderen Mitgliedstaaten kompensiert werden. Vor diesem Hintergrund ist das Ziel für 2035 ohne kurzfristige Korrekturen nicht mehr erreichbar … Doch auch bei einem größeren Erfolg des Hochlaufs batterieelektrischer Fahrzeuge bis 2025 ist absehbar, dass in mittlerweile nur noch neun Jahren die Bedingungen für eine Umstellung auf 100 Prozent rein batterieelektrische Fahrzeuge auf dem europäischen Markt für neue Fahrzeuge nicht gegeben sein werden … Bei allen Transformationsanstrengungen wird eine signifikante Anzahl von Arbeitsplätzen weiter an bisherigen Antriebstechnologien und deren Wertschöpfungsketten hängen. Wir brauchen daher einen pragmatischen Umgang mit Hybridtechnologien und erneuerbaren Kraftstoffen. So könnten nach unterschiedlichen Studien europaweit bis zu 200000 Arbeitsplätze gesichert werden.«
Bitte mehr Geld
Lang lebe der Verbrennermotor und auch die alte FDP-Forderung zu synthetischen Kraftstoffen wird wieder hervorgeholt: »Wir brauchen außerdem einen anderen Umgang mit erneuerbaren Kraftstoffen im Zusammenhang mit elektrifizierten verbrennungsmotorischen Antrieben.«
Damit das alles flutscht, muss »der Staat« weiterhin viel Geld zur schlichten Subventionierung von Automobil- und Batterieproduktion locker machen, nicht zuletzt durch Kaufprämien:
»Dazu gehören die folgenden Handlungsbedarfe und Maßnahmen: Der Markthochlauf elektrischer Fahrzeuge muss weiter unterstützt werden durch steuerliche Vergünstigungen für private wie gewerbliche Neu- und Gebrauchtwagen, bis hin zur Unterstützung beim Zugang zur Elektromobilität für die ganze Breite der Gesellschaft. Darüber hinaus muss die im Koalitionsvertrag angekündigte Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung für Elektrofahrzeuge bis zum Jahr 2035 umgehend umgesetzt werden. Da die derzeitige Regelung bereits zum Jahresende 2025 ausläuft, brauchen Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen dringend Planungssicherheit. Entscheidend ist, dass eine unmittelbare Anschlussregelung ab dem 1.Januar 2026 gewährleistet wird, um den Hochlauf der Elektromobilität nachhaltig zu unterstützen … Von zentraler Bedeutung ist der Aufbau einer resilienten und wettbewerbsfähigen Batterie-Wertschöpfungskette. Die Elektromobilität bleibt der zentrale und richtige Weg, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung der deutschen Automobilindustrie und ihrer Standorte in der Zukunft zu sichern.«
Und die Beschäftigten, und die Klimabewegung?
Natürlich weiß auch der IG-Metall-Vorstand, dass diese Politik die Arbeitsplätze nicht sichern und die Klimazerstörung beschleunigen wird. Selbst die bescheidenen gewerkschaftlichen Forderungen werden vergessen:
– Jeder Euro, der den Unternehmen als offene oder verdeckte Subvention gegeben wird, muss mit einer Zunahme der Kontroll- und Mitbestimmungsrechte der Gewerkschaften, der Belegschaften und der Verbraucherverbände ausgeglichen werden.
– Die Umstellung auf neue Antriebe und Elektromobilität löst die Verkehrskrise überhaupt nicht. Es braucht eine Politik und gesellschaftliche Planung, an deren Ende weniger Autos, weniger Individualverkehr, weniger Transportwege und stattdessen kollektive Mobilitätssysteme, Ausbau von Fußgänger- und Radverkehr stehen.
– Die Förderung von Hybridantrieben, bei denen sogar die gemeinsame Erklärung feststellt, dass der Elektroantrieb kaum benutzt wird, und von synthetischen Kraftstoffen muss sofort eingestellt werden. Die Klimaziele der EU müssen verschärft und nicht aufgeweicht werden.
– Die aktuelle Überproduktionskrise in der Automobilindustrie erfordert eine radikale Politik der Arbeitszeitverkürzung für alle ohne Lohneinbußen und Umstellung der Produktion auf neue Verkehrsmittel und nachhaltige Produkte. Massenentlassungen müssen verboten werden. Klar ist auch: Nachhaltig sind Waffen, Panzer und Rüstungsartikel, die jetzt von einigen herbeigeredet werden, ganz sicher nicht.
– Der Markt wird es nicht richten, von ihm ist eine Lösung der Umwelt- und Verkehrskrise nicht zu erwarten. Es wird nicht ohne Eingriffe in die privaten Besitz- und Verfügungsrechte der Kapitaleigner gehen, wenn die sich – wie absehbar und bisher schon geschehen – einer solchen Transformation und Verkehrswende widersetzen.
Voraussetzung für eine solche Wende ist allerdings auch, dass wir demokratisch von unten nach oben aufgebaute Gewerkschaften haben, die ein solides politisches und sozialökologisches Selbstbewusstsein entwickeln und sich nicht auf diese traurige Sackgasse des Co-Managements und der gemeinsamen Erklärungen mit den Kapitalverbänden einlassen.
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