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Aufmacher 1 1. November 2025

Vor dem 30.UN-Klimagipfel in Brasilien
von Antônio Andrioli


Das langjährige Motto der Klimagerechtigkeitsbewegung gilt nach wie vor: Fossile Konzerne haben immer noch viel Einfluss auf den Weltklimagipfel, die Conference of the Parties (CoP). Die notwendigen Schritte zum Schutz des Klimas werden dort nicht gemacht. Klimaschutz bleibt Handarbeit – und das weiß auch die Bewegung in Brasilien, wo die UN-Klimakonferenz 2025 zum ersten Mal im größten Regenwald der Erde stattfindet: in Amazonien. Der Autor ist Politik- und Sozialwissenschaftler an der brasilianischen Universität UFFS und schreibt über die Situation und den Widerstand in Brasilien.n

Vor allem wird es ein Megaevent, dessen Gesamtbudget in Höhe von über 7 Milliarden Reais (umgerechnet etwa eine Milliarde Euro) auch in Infrastrukturmaßnahmen in einer der ärmsten Regionen des Landes gesteckt wird. Immer noch ungewiss ist aber, ob damit die Vorbereitungen für das erwartete Publikum ausreichen werden, insbesondere Unterkünfte und Verpflegung.
Eins steht jedoch bereits fest: Anders als bei den letzten UN-Klimakonferenzen wird die Bedeutung der tropischen Wälder für die internationale Klimaagenda auf dieser COP deutlicher diskutiert werden. Denn diesmal wird die COP dort stattfinden, worüber oft nur von weit weg geredet wurde: im Amazonas. Und weder die Teilnahme der von der Entwaldung betroffenen Völker selbst noch die zugespitzten lokalen politischen Auseinandersetzungen in der Region werden außen vor gelassen werden können.
Die brasilianische Regierung wird zusätzlich versuchen, sowohl beim Treffen der Staatsoberhäupter, das aus organisatorischen Gründen auf den 6. und 7.11. vorgezogen wurde, als auch beim Treffen der Zivilgesellschaft (Cúpula dos Povos) ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen die COP für einen Motivationsschub für ihren Diskurs über Klimapolitik und Multilateralismus zu nutzen.

Brasiliens Klimapaket
Brasilien ist der siebtgrößte Emittent von Treibhausgasen, nach China, den USA, Indien, Russland, Japan und der EU. Umgerechnet pro Kopf besetzt das Land die vierte Position. Laut UNEP-Bericht stammen 48 Prozent seiner Emissionen aus Abholzung, 27 Prozent aus Landwirtschaft und Viehzucht. Das Land zählt mehr Rinder als Menschen (210 Millionen Menschen, etwa 230 Millionen Rinder, nur Indien hat mehr) und ist mit 20 Prozent der größte Fleischexporteur der Welt.
Entwaldung und die extensive Viehzucht hängen eng mit der stark auf den Export von Monokulturen ausgerichteten Wirtschaft zusammen. Das ist ein globales Problem, das mit der Zunahme des Welthandels noch weiter zunimmt, auf Kosten von Mensch und Natur. Zusätzlich führt die intensive Landwirtschaft dazu, dass das Land für den weltweit höchsten Verbrauch an Pestiziden bekannt ist.
Und Brasilien ist selbst sehr von den Klimaveränderungen betroffen. Weniger Regen im Norden und Überschwemmungen im Süden sind bereits Realität, das beeinträchtigt auch das Agrarexportmodell. Selbst die Energieerzeugung des Landes ist stark von Wasserkraftwerken abhängig, also von Regen und Flusswasser. Seine Küstenlinie wird vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht.

Im Mittelpunkt der COP: die Finanzierung
Das Kernproblem der Klimakatastrophen weltweit ist aber vielmehr das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas. Für das weitgehende Ende der fossilen Energien wird es wahrscheinlich auch auf dieser COP keine konkrete Perspektive geben. 200 Jahre Emissionen haben den Lebensstandard der reichsten Länder der Welt begünstigt, und dies scheint immer noch der Motor einer auf Wachstum basierenden Industrialisierung zu sein.
Insofern sollte eigentlich zehn Jahre nach dem Pariser Abkommen die Überprüfung und Überarbeitung der nationalen Klimaziele ganz oben auf der Agenda dieser COP stehen. Denn auf der COP28 in Dubai wurde eine Verzehnfachung der erneuerbaren Energien und die Verdopplung der Energieeffizienz bis 2030 beschlossen. Auch ein Übergang weg von fossilen Energien zu einer gerechten, geordneten und ausgewogenen Produktionsweise bis 2025 wurde schon einmal verhandelt.
So wäre diesmal wenigstens zu erwarten, dass das Beschlossene überprüft wird, auch wenn die vereinbarten Ziele wahrscheinlich noch lange nicht reichen, um die bevorstehenden Klimakatastrophen der nächsten Jahrzehnten zu verhindern. »Von der Verhandlung zur Implementierung« lautet das Motto der gastgebenden Regierung. Doch die offene Wunde der Klimafinanzierung wird auch in Belém eine Rolle spielen und wahrscheinlich einen großen Teil der Debatten prägen.
Positive Lösungen und konkrete Vorschläge sollen allerdings mindestens diskutiert werden. Dabei sind für Brasilien das Ende der Entwaldung und der Zugang zu gesunden Lebensmitteln für alle von besonderer Bedeutung. Denn dies macht den größten Teil der brasilianischen Emissionen aus. Das Land hat sich verpflichtet, 59–67 Prozent seiner gesamten Emissionen zu reduzieren, und die Regierung Lula hat tatsächlich wichtige Fortschritte gemacht wie etwa die Wiederaufnahme der Umweltkontrollen, was in diesem Jahr zu einer Reduzierung der Entwaldung um 30 Prozent geführt hat.

Brasiliens Potenzial für wirksamen Klimaschutz
In bezug auf die weltweite Klimagenda gibt es seitens der brasilianischen Regierung keinen Hinweis auf den Ausstieg aus den fossilen Energien. Im Gegenteil: Erdöl ist zum wichtigsten Exportgut Brasiliens geworden, noch vor Soja und Eisenerz. 2024 wurden 52 Prozent der brasilianischen Erdölproduktion exportiert. Die Regierung Lula möchte auch weiter auf fossile Brennstoffe setzen und hat in Ölbohrungen an der Mündung des Amazonasflusses investiert, ausgerechnet da, wo die COP30 stattfinden wird.
Genauso problematisch sind die Fortführung des vom Agrarexport abhängigen Landwirtschaftsmodells und von großen Infrastrukturprojekten, die längst als umweltschädlich und als Bedrohung für traditionelle Völker gesehen werden. In diesem Kontext ist auch die Förderung des EU-Mercosur-Freihandelsabkommens zu sehen.
Anderseits ist klar, dass die derzeitige brasilianische Regierung sich in bezug auf die großen Umweltprobleme der Welt viel besser als die vorherigen (selbst als die vorherigen Regierungen von Lula) positioniert. Brasilien hat besondere Potenziale, die weltweit für Hoffnung sorgen können, und es hat die Chance, eine internationale Koalition zum Schutz des Amazonasgebiets zu organisieren. Mit 50 Millionen Hektar ist die Region, wo die COP zum ersten Mal stattfindet, das größte Regenwaldgebiet der Erde; es ist für 20 Prozent des Sauerstoffs der Welt zuständig und speichert 120 Millionen Tonnen Kohlenstoff in der Biomasse.
Dieses Gebiet muss unbedingt als Urwald erhalten bleiben, denn allein die Freisetzung dieser Kohlenstoffe in der Atmosphäre wäre vergleichbar mit zehn Jahren Verbrennung fossiler Energien im Straßenverkehr weltweit. Allein die Bekämpfung der Entwaldung hat ein großes Potenzial zur Verringerung der Treibhausgase des Landes – ohne Schaden für die Gesellschaft, zu geringen Kosten und bei gleichzeitiger Erhaltung der riesigen Artenvielfalt.
Brasilien hat auch ein enormes Potenzial für die Erzeugung von Solar- und Windenergie, für die Kohlenstoffbindung zur Schaffung von Einkommen in der Landwirtschaft und für die Erzeugung von Nahrungsmitteln bei gleichzeitigem Schutz von Wasser, Boden und der biologischen Vielfalt. Dafür braucht das Land aber wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Umweltkriminalität, eine Beendigung der Nutzung von Erdöl und Kohle, eine Beschleunigung der Energiewende in Richtung erneuerbarer Energien, die Förderung der Agrarökologie und einer kohlenstoffarmen Landwirtschaft.
Klimaanpassungs- und Klimaschutzstrategien in ländlichen und städtischen Gebieten, die Beendigung der immensen sozialen Ungleichheit, finanzielle Unterstützungsmaßnahmen für den ökologischen Umbau von Produktionsketten und massive Investitionen in lokal angepasste Wissenschaft und Technologie kommen hinzu.
All das könnte die Regierung Lula auf der COP30 als Maßnahmen ankündigen und für internationale Zusammenarbeit dafür plädieren. Anders als bei den vorhergehenden UN-Klimagipfeln wäre das eine konkrete und machbare Perspektive, die von einem Land kommt, das 1992 in Rio de Janeiro die erste große internationale Umweltkonferenz nach Stockholm 1972 ausrichtete und neue Maßstäbe in der internationalen Umweltpolitik setzte.

Wie bei früheren Gipfeln wird auch in Belém die Zivilgesellschaft das Gegengewicht zur offiziellen Bühne bilden. Parallel zur COP trifft sich die „Cúpula dos Povos“ – ein Raum für indigene Gruppen, Umweltbewegungen und NGOs. Sie erinnern daran, dass viele Vereinbarungen nur auf dem Papier bestehen. Ihr Druck ist oft die einzige Kraft, die Regierungen und Konzerne zum Handeln zwingt.

In Belém werden vor allem die Stimmen der traditionellen Völker gehört werden müssen. Ohne sie ist der Schutz der Natur nicht denkbar. Doch ihre Anliegen durchzusetzen, verlangt mehr als schöne Worte – es braucht internationale Solidarität, die vor, während und nach der Konferenz anhält.

Belém könnte so zum Wendepunkt werden: weg von diplomatischer Routine, hin zu konkretem Handeln. Ob „die COP der Wahrheit“ diesem Anspruch gerecht wird, entscheidet sich nicht auf den großen Bühnen – sondern in der Frage, ob nach den Worten endlich Taten folgen.

Der Autor ist Politik- und Sozialwissenschaftler an der Universidade Federal da Fronteira Sul, die sich schwerpunktmäßig mit nachhaltiger Landwirtschaft und Agrarökologie beschäftigt.

1 Kommentar
  • 06.11.2025 um 14:33 Uhr, Rainer Kirmse , Altenburg sagt:

    MENSCH – KLIMA – UMWELT

    Der Mensch macht sich die Erde Untertan,
    getrieben vom ewigen Wachstumswahn.
    Autos werden größer, Straßen breiter,
    die Wälder dagegen schrumpfen weiter.

    Es ist höchste Zeit für uns, zu handeln,
    endlich uns’ren Lebensstil zu wandeln.
    Was nützen Wohlstand und alles Geld,
    wenn am Ende kollabiert die Welt?

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Gewinnmaximierung ist Pflicht,
    die intakte Natur zählt nicht.
    Börsenkurse steh’n im Fokus,
    Umweltschutz in den Lokus.

    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.
    Nur unser ständiges Kaufen
    hält das System am Laufen.
    Unser westlicher Lebensstil
    taugt nicht als Menschheitsziel.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Vielen Tieren Lebensraum,
    für den Sauerstoff ein Quell,
    für gesundes Klima essenziell;
    das ist unser Freund, der Baum.

    Ohne Bäume in Wald und Flur
    wär‘ die Erde ein öder Planet nur.
    Wir sehnen uns nach diesem Grün,
    der Zeit, wenn wieder Bäume blüh’n.

    Wir wollen wandeln durch Alleen,
    das Blätterdach so wunderschön.
    Jeder Baum, der zum Opfer fällt,
    macht etwas ärmer uns’re Welt.

    Tornados, Hitze, Wassernot;
    Feuer wüten in Wald und Flur.
    Das Wetter gerät aus dem Lot,
    Klimawandel zieht seine Spur.

    Borkenkäfer in der Kiefer,
    auch zur Fichte zieht Geziefer.
    Statt sattes Grün und Waldeslust,
    kranke Bäume und Försters Frust.

    Profitgier lässt Wälder schwinden,
    fördert weltweit Umweltsünden.
    Die grüne Lunge des Planeten
    in Gefahr, da hilft kein Beten.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Der Mensch, dieses kluge Wesen,
    kann im Gesicht der Erde lesen.
    Er sieht die drohende Gefahr,
    spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
    Homo sapiens muss aufwachen,
    seine Hausaufgaben machen.

    Wir alle stehen in der Pflicht,
    maßvoll leben ist kein Verzicht.
    Teilen und Second Hand der Trend,
    Repair vor Neukauf konsequent.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.?

    Mit Tempolimit auf der Autobahn
    und Emissionshandel ist’s nicht getan.
    Für Energieerzeugung und Verkehr
    müssen zukunftsfeste Lösungen her.

    Das Klima schützen, Raubbau beenden,
    das Anthropozän zum Guten wenden.
    Ökonomie und Ökologie im Verein,
    der Blaue Planet wird uns dankbar sein.

    UNGERECHTE WELT

    Ein reiches Land, das uns umgibt,
    hier will man rein, es ist beliebt.
    So auch bei den Millionären,
    die sich gegen Steuern wehren.
    Luxus und Geld im Überfluss,
    für die Armen bleibt nur Verdruss.

    Armut ist wohl keine Schande,
    doch man steht damit am Rande.
    Wir brauchen die Mindestrente
    und der Hungerlöhne Ende.
    Lasst Obdachlose nicht allein,
    Mieten müssen bezahlbar sein.
    Für die Pflege braucht es Gelder,
    nicht für Managergehälter.

    Der Markt allein wird’s nicht richten,
    nur die Probleme verdichten.
    Die Millionen vom Millionär,
    wo kommt der ganze Zaster her?
    Erbschaft, Kapital und Zinsen,
    Geldvermehrung ohne Grenzen.
    Die Gesellschaft in Schieflage,
    es stellt sich die Systemfrage.

    Es sagt uns nicht erst der Armutsbericht,
    auf unserem Erdball stimmt etwas nicht.
    Immer reicher werden Millionäre,
    daneben wachsen die Armutsheere.
    In düsteren Slums leben Millionen,
    während and’re in Palästen wohnen.
    Hier im Lande geht die Spaltung weiter,
    die vielen Tafeln stimmen nicht heiter.
    Wohlstand für alle muss heißen das Ziel,
    uns’re Demokratie steht auf dem Spiel.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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