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Soziales 1. November 2025

Stabilisierung der Ungleichheit
von Nele Johannsen

»Die Rente ist sicher«, versprach Norbert Blüm einst 1986, auch wenn die Spatzen etwas anders von Dächern pfiffen. Wie explosiv das Thema werden kann, zeigt der Blick nach Frankreich: Dort löste 2023 die Anhebung des Renteneintrittsalters Massenproteste aus. Und in Deutschland? Hier spricht die Regierung von Stabilität, während die soziale Schieflage wächst. Das neue Rentenpaket 2025 soll die Zukunft sichern – doch was tatsächlich stabilisiert wird, sind alte Ungleichheiten.

Der demografische Wandel verschärft sich. Immer weniger Junge finanzieren immer mehr Alte. Insbesondere mit dem Renteneintritt der Babyboomer werden die Herausforderungen zunehmen.
Laut Prognosen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) muss der Beitragssatz bis 2028 wohl in »Richtung 20 Prozent« steigen. Schon jetzt sind Zuschüsse aus Steuermitteln notwendig.
Gleichzeitig hat die Zahl der armutsgefährdeten Menschen über 65 Jahre 2024 mit rund 3,5 Millionen ein Rekordhoch erreicht. Fast 40 Prozent der Beschäftigten sind weder betrieblich noch privat abgesichert und ein konkreter Plan, wie Altersarmut künftig verhindert werden soll, fehlt.
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) warnt vor »Alarmismus und Angstmache« und fordert »mehr Sachlichkeit in der Debatte«, doch Sachlichkeit ändert nichts daran, dass die Rentenbeiträge steigen, der Bundeszuschuss wächst und viele Renten dennoch kaum zum Leben reichen.

Haltelinie 2031: Stabilität auf Pump?
Das Kernstück des Rentenpakets ist die Garantie, das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent zu halten. Damit bleiben die Renten an die Lohnentwicklung gekoppelt, auch wenn die Zahl der Beitragszahlenden abnimmt.
Was für Arbeitsministerin Bas eine Maßnahme ist, von der »alle Generationen profitieren«, sieht die Junge Gruppe der Union als Reform »auf Pump« und droht damit, das Rentenpaket zu blockieren. »Dem Staat bleibt immer weniger finanzieller Spielraum, zulasten der nächsten Generation«, so Pascal Reddig, Vorsitzender der Jungen Gruppe.
Auch die Grünen, die die Haltelinie zwar unterstützen, kritisieren die fehlende Finanzierung. So fordert Andreas Audretsch, man müsse »die, die am allermeisten haben«, endlich zur Kasse bitten, »um in Zukunft eine gute Rente für alle« garantieren zu können.
Die Sozialverbände sehen in der Haltelinie zwar ein wichtiges Signal, halten ein dauerhaftes Rentenniveau von 53 Prozent jedoch für notwendig, um Altersarmut wirksam zu bekämpfen.

Teure Geste statt echter Gleichstellung
Im Rahmen der Mütterrente III soll Eltern ab 2027 auch für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, drei statt zweieinhalb Jahre Erziehungszeit angerechnet werden. Das CSU-»Herzensanliegen«, das jährlich rund 5 Milliarden Euro kosten wird und aus Steuermitteln finanziert werden soll, beschert Berechtigten etwa 20 Euro mehr im Monat. Ein Schritt in die richtige Richtung sei das, finden der Sozialverband Deutschland (SoVD) und der Paritätische Gesamtverband.
Auch die Grünen begrüßen das Ziel, kritisieren jedoch, dass die Mütterrente auf Grundrente und Grundsicherung angerechnet wird. »Gerade die Bedürftigsten haben am Ende nichts davon«, so Armin Grau von den Grünen.
Die Reform wird jährlich rund 5 Milliarden Euro kosten, die Finanzierung soll aus Steuermitteln erfolgen. In Zeiten wachsender Haushaltslöcher und angekündigter Kürzungen bei Sozialleistungen wirkt das wie ein finanzpolitischer Widerspruch: Eine Ungerechtigkeit wird verschärft, um eine andere etwas abzumildern.
Denn für echte Gleichstellung greift die Mütterrente ohnehin zu kurz. Sie honoriert die geleistete Erziehungsarbeit symbolisch, ändert aber nichts an der strukturellen Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt und bei Rentenansprüchen.

Flickwerk mit Ansage
Eine weitere Neuerung des Rentenpakets ist die sogenannte Aktivrente. Ab 2026 dürfen Rentner:innen in sozialversicherungspflichtigen Jobs bis zu 2000 Euro monatlich steuerfrei hinzuverdienen. Selbständige, Beamte und Minijobber sind ausgeschlossen.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) schätzt die dadurch entstehenden Mindereinnahmen auf bis zu 1,4 Milliarden Euro jährlich und sieht kaum Beschäftigungseffekte: Die meisten Älteren arbeiten »aus Freude an ihrer Tätigkeit oder wegen sozialer Kontakte«, nicht aus finanziellen Gründen.
Außerdem seien juristische Folgen möglich, etwa aufgrund eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (schon jetzt gibt es lautstarke Proteste seitens der Selbständigen) und wegen Altersdiskriminierung, da ältere Beschäftigte bevorzugt würden.
Darüber hinaus kritisiert VdK-Präsidentin Verena Bentele: »Gefördert werden die fitten Senior:innen mit gutem Einkommen, vergessen werden die, die wegen Krankheit oder Pflege nicht länger arbeiten können.«
Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz II will die Regierung vor allem kleinere Unternehmen und Beschäftigte mit niedrigerem Einkommen erreichen. Das sogenannte Sozialpartnermodell, bislang nur für tarifgebundene Betriebe zugänglich, soll dafür geöffnet werden und auch nicht-tarifgebundene Unternehmen einschließen.
Armin Grau lobte in der Bundestagsdebatte am 16.Oktober die geplante Ausweitung als Verbesserung für Menschen mit niedrigen Einkommen und für kleinere Betriebe, betonte aber, dass die Förderung für Geringverdiener:innen viel stärker ausgeweitet werden müsse, dies fordere »sogar Bayern und die CSU«.

Symbolpolitik statt Zukunftsvorsorge
Als weiterer Pfeiler der Altersvorsorge soll die sogenannte Frühstartrente künftig schon bei Kindern ansetzen. Laut dem Konzept aus dem Bundesarbeitsministerium sollen Kinder zwischen sechs und achtzehn Jahren ab 2026 monatlich 10 Euro staatliche Einzahlung in ein Altersvorsorgedepot erhalten.
Dabei handelt es sich wohl mehr um Symbolpolitik als um eine wirkliche Erleichterung: Das ifo-Institut nennt die Reform einen »Irrweg«, der Bürokratie schafft und vor allem Banken nützt.
Auch Ver.di hält die Frühstartrente für »kostspielig, aber wirkungslos«, Eltern müssten ohnehin kräftig drauflegen.
DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel rechnet vor: »Mit monatlich 10 Euro Beitrag erhält man nach 60 Jahren nur etwa 30 Euro Rente – ein mageres Ergebnis bei jährlichen Kosten von einer Milliarde Euro«. Das Programm helfe also kaum den Kindern, wohl aber der Finanzindustrie.
Das Rentenpaket 2025 ist weniger Reform als Flickwerk. Es stopft Lücken, ohne die Ursachen der Ungleichheit zu beseitigen. Notwendig wären echte strukturelle Schritte: eine breitere Finanzierungsbasis durch die Ausweitung der Einzahlenden, etwa über Zuwanderung und einen leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt, sowie eine stärkere Besteuerung hoher Einkommen und Vermögen.
Angesichts wachsender Haushaltsdefizite und Kürzungen bei Sozialleistungen ist es längst überfällig, Reiche in die Verantwortung zu ziehen. Statt kosmetischer Korrekturen braucht es eine Reform, die Gerechtigkeit nicht verspricht, sondern auch wirklich herstellt.

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