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Buch 1. Juli 2025

Der Metallarbeiter und Anarchosyndikalist Wilhelm Wehner
von Eveline Linke

Dieses Buch ist mehr als nur die individuelle Lebensgeschichte des Metallarbeiters und Anarchosyndikalisten Wilhelm Wehner.

Wilhelm Wehner. Anarchist, Syndikalist, Antimilitarist, Freigeist und Naturfreund. Hrsg. Initiative gegen das Vergessen Schweinfurt. Schweinfurt: Verlag Rudolph Druck, 2025. 140 S., 16 Euro

Auf Grundlage von ungefähr 600 Fotografien und verschiedenen Dokumenten aus seinem Nachlass zeichnet der Autor Norbert Lenhard den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmen nach, in dem Wehner agierte, von der Schweinfurter Kugellagerindustrie über das solidarische Netzwerk der Arbeiterorganisationen bis zu den Folgen der beiden Weltkriege.
Wilhelm Wehner, geboren 1885, wurde früh politisch aktiv, trat mit 17 Jahren der Sozialdemokratischen Partei bei, arbeitete an verschiedenen anarchistischen Zeitschriften mit, auch redaktionell verantwortlich. Mit 21 verließ er Schweinfurt, lebte unter anderem in Berlin, wo er Anschluss an die Anarchistische Föderation und an den Sozialistischen Bund (SB) Gustav Landauers fand, dann in Mannheim und Stuttgart.
1913 kehrte er nach Schweinfurt zurück und heiratete.
Mehrfach verbüßte er Haftstrafen, teils wegen seiner redaktionellen Tätigkeit oder »sicherheitsgefährdender Umtriebe«, insbesondere aber wegen seiner antimilitaristischen Überzeugung. Sie ließ ihn hartnäckig den Wehrdienst verweigern, als der Erste Weltkrieg ausbrach.
Nach dessen Ende baute er in Schweinfurt eine syndikalistische Gewerkschaft auf und beteiligte sich an der Schweinfurter Räterepublik.
Bis zum Zweiten Weltkrieg engagierte er sich maßgeblich in der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD). Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem die Stadt als bedeutender Standort der Rüstungsindustrie stark zerbombt wurde, musste Wehner, trotz Invalidenrente und Entschädigung als politisch Verfolgter, auf die Unterstützung seines, im Exil in den USA lebenden Freundes Rudolf Rocker zurückgreifen.
Trotz Krankheit blieb Wehner weiter politisch tätig, trat wider seine Überzeugung in die 1945 gegründeten IG Metall ein und schloss sich der Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS) an. Bis in die 60er Jahre hinein traf er sich noch mit Genossen zu Gesprächen. Er starb 1968 in einem Seniorenheim.

Die Kämpfe der 20er Jahre
In der Industriestadt Schweinfurt entwickelte sich schon früh eine organisierte Arbeiterschaft. 1883 wurde die erste Gewerkschaft gegründet, der bald weitere folgten. Die Arbeiter schlossen sich zudem in Parteien, Kultur-, Sport- und Sozialvereinen zusammen wie den Naturfreunden (für die der naturliebende Wehner in Schweinfurt eine Ortsgruppe gründete), Arbeitersportvereinen und der Freigeistigen Gemeinschaft.
Die Anarchisten, denen Wehner anhing, setzten sich für die vollständige Gleichberechtigung von Frauen ein, organisierten Bildungsveranstaltungen, unter anderem zur Geburtenregelung, wozu auch Wehner Vorträge hielt.
Beispiele großer Proteste, wie der Schweinfurter Bierkrieg 1910, der ganz Bayern erfasste, der Protest gegen den zur Finanzierung der Kriegsschulden eingeführten Lohnsteuerabzug 1920, ebenso wie der große Streik in der Schweinfurter Kugellagerindustrie im gleichen Jahr, zeugen von großer Solidarität. Sie hinterlassen aber auch den Eindruck von Vergeblichkeit, da sie sämtlich mit einer Niederlage endeten. Auch die Bemühungen um eine politische Neuordnung nach der Revolution 1918 scheiterten. Der von Kurt Eisner Ende 1918 ausgerufene Freistaat Bayern brachte erhebliche politische und soziale Fortschritte, wie das allgemeine Wahlrecht, auch für Frauen. Der Freistaat währte nur knapp fünf Monate, die nach Eisners Ermordung in mehreren bayrischen Städten ausgerufenen Räterepubliken nicht einmal fünf Tage.
Zwischen 1920 und 1932 warb der Ortsverein Schweinfurt der FAUD mit vielfältigen Veranstaltungen und Gastvorträgen, etwa Rudolf Rockers und Emma Goldmanns, für den Anarchosyndikalismus. Schon gegen Ende der 1920er Jahre befand sich die Bewegung im Niedergang. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Wehner, den anarchosyndikalistischen Gedanken wieder zu beleben, aber in den »Wirtschaftswunder«-Jahren der 1960er hatte er keine Überlebenschance.
Eine kurze Einführung der Historikerin Gisela Notz in die Utopie Gustav Landauers, des Gründers des Sozialistischen Bundes, rundet die Biographie ab, ebenso eine sehr persönliche Erzählung der Autorin, die selbst in der Schweinfurter Gartenstadt aufwuchs, über ihren Großvater Rudolf Keinholz, einen Schweinfurter Anarchisten und Freund Wehners. Die Grundüberzeugungen Rudolf Rockers, des Ideengebers des Föderalismus, stellt der Historiker Helge Döhring, Mitbegründer des Instituts für Syndikalismusforschung, in einem weiteren Beitrag vor. Ergänzt wird das Buch durch zahlreiche Abbildungen, eine ausführliche Zeittafel von 1885 bis 1968, Verzeichnisse der Schweinfurter Anarchisten und der damals herausgegebenen Zeitschriften.

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