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Gewerkschaften 1. April 2025

Gewerkschaftsführungen zeigen sich begeistert vom Infrastrukturpaket
von Christiaan Boissevain

Die noch nicht installierte neue Bundesregierung aus CDU und SPD plant ein gigantisches Aufrüstungsprogramm. Alle Ausgaben für Rüstung und Kriegsvorbereitung, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, sollen zukünftig aus dem Haushalt und der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse ausgegliedert werden. Eine Obergrenze gibt es nicht mehr.

Im Gespräch waren zuletzt zusätzliche Sonderausgaben für die Bundeswehr in Höhe von 200 Milliarden Euro. Begründet werden sie mit der angeblichen Verpflichtung der EU, das Loch zu stopfen, das eine Einstellung der US-Waffenlieferungen an die Ukraine reißen würde. Anders ausgedrückt: Deutschland und zahlreiche EU-Staaten rüsten für einen Krieg gegen Russland mit möglichst wenig US-amerikanischer Hilfe.
Dieser weitere Ausbau einer Kriegswirtschaft soll mit einem demokratisch fragwürdigen Verfahren noch bis zum 25. März durchgepeitscht werden – dann konstituiert sich der neue Bundestag; die geplante Schlussabstimmung soll deshalb noch im alten Bundestag am 18. März sein. Eine Verfassungsänderung im Schnellverfahren – als würde der böse Russe schon am Kurfürstendamm stehen. Im neuen Bundestag wäre die Regierung auf Stimmen der Linken angewiesen, um die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erreichen.
Um sich die erforderliche Zustimmung der Grünen, des Bundesrates und eine öffentliche Legitimation zu sichern, wird gleichzeitig ein Infrastrukturprogramm in Höhe von 500 Milliarden Euro angekündigt. Dies soll als Sonderausgabe zum normalen Haushalt laufen und über zehn Jahre gestreckt werden. Für die Bundesländer sind dabei 100 Milliarden Euro reserviert.
Nach heutiger Planung sollen beide Finanzierungsprojekte in einer gemeinsamen Abstimmung durch den Bundestag gepeitscht werden. Es gibt keine getrennten Abstimmungen.
Gleichzeitig soll im Rahmen der Europäischen Union ein 800 Milliarden Euro schweres Aufrüstungspaket beschlossen werden, das dem forcierten Aufbau einer europäischen Armee bzw. eines eigenen europäischen Kommandos in der NATO dienen soll.

Begeisterung bei der Gewerkschaftsführung
Die Vorsitzenden von IG Metall und Ver.di haben bereits ihre Zustimmung, ja: fast Begeisterung für das 500-Milliarden-Infrastrukturpaket verkündet. Von einem »Durchbruch« ist die Rede. Kein Wort dazu, dass sich dahinter ein massives Aufrüstungsprogramm und der Einstieg in die Kriegswirtschaft versteckt. Wir erinnern an den Beschluss des IG-Metall-Gewerkschaftstags, der eine Kampagne gegen die NATO-Forderung nach einer Steigerung der Rüstungsausgaben um jährlich 2 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt forderte. Bei anderen DGB-Gewerkschaften ist die Beschlusslage ähnlich.
Wann, wenn nicht jetzt, in der laufenden Tarifrunde für die Beschäftigten bei Bund und Kommunen, beim geplanten Aktionstag und den Kundgebungen der IG Metall in fünf Städten müssen die Gewerkschaften laut und hartnäckig gegen die Rüstungspläne auf die Straße gehen? Die Zurückhaltung und die Zustimmung zu den Regierungsplänen sind ein echter Skandal.
Für den kommenden Kanzler Merz ist dieses Vorhaben ein offener Bruch seiner ursprünglich verbreiteten Wahlversprechen. Plötzlich ist die Schuldenbremse kein Dogma mehr. Und SPD und Grüne machen dieses Manöver mit.
Selbstverständlich müssen die Gewerkschaften und die politische Linke ihre grundsätzliche Kritik an der Schuldenbremse und die Forderung nach deren Abschaffung aufrechterhalten. Aber auf keinen Fall kombiniert mit einer Zustimmung oder auch nur Duldung dieses monströsen Einstiegs in die Kriegswirtschaft.

Nein zur Aufrüstung – Ja zu einem Infrastrukturprogramm
Die Regierungspläne zeigen, dass es offenkundig nicht das Geldproblem war, weshalb die seit Jahren überfälligen Investitionen in die öffentliche Infrastruktur nicht angepackt wurden. Es ist auch nicht jeder Ausbau der Infrastruktur eine Wohltat – man denke nur an den Ausbau der Autobahnen, die Tunnelbauten oder andere umweltschädliche Megaprojekte.
Die Gewerkschaften müssen hier ihre konkreten Forderungen nach einem Ausbau der sozialen Infrastruktur auf den Tisch packen: von der Sanierung der Schulen, Schwimmbäder und anderen öffentlichen Einrichtungen bis zu einer ökologisch nachhaltigen Verkehrswende.
Aber eine Zustimmung zum Rüstungspaket ist ein No-Go. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Infrastrukturpaket vorrangig der Kriegswirtschaft dienen soll, indem Straßen und Brücken panzertauglich gemacht werden. Krankenhauskapazitäten müssen angeblich auf die Aufnahme von Soldaten und auf die Versorgung spezifischer Kriegsverletzungen vorbereitet werden. Die Umstellung der Produktion von Automobil- auf Rüstungsindustrie läuft derzeit fast lautlos ab. Wir können davon ausgehen, dass die Bundesregierung gerne bereit sein wird, für so manche den Unternehmen dabei entstehenden Kosten Millionen Euro Unterstützung zu gewähren.
Für die Euphorie der Gewerkschaftsvorstände über das Infrastrukturprogramm gibt es also eigentlich keine belastbaren Gründe. Denn das zeigen die bisherigen Erfahrungen: Ohne dass die Gewerkschaften für die Umsetzung des nichtmilitärischen, sozialen Teils des Infrastrukturprogramms reale Kämpfe führen, wird in diese Infrastruktur auch kein Geld fließen. Schlimmer noch: In ihrer Euphorie über das in Aussicht gestellte Infrastrukturprogramm bejahen sie gleichzeitig die angebliche »Notwendigkeit der Hochrüstung« Deutschlands und der EU.
Im Lichte der weitgehend herbeigeredeten Bedrohung Europas durch Putin und dem möglichen Rückzug Amerikas unter Trump aus der bisherigen »Verantwortung« für Europa wird emsig an einer umfassenden Kriegswirtschaft gearbeitet. Dafür darf es von Seiten der Gewerkschaften keine Unterstützung, sondern nur ein lautes NEIN geben!
Die Gewerkschaften müssen endlich auch ein politisches Mandat annehmen und ihre Aufgabe als wichtigste Friedenskraft in der Gesellschaft erfüllen. Auch bei den jüngsten Tarifverhandlungen und -abschlüssen haben viele Kolleginnen und Kollegen eine deutliche Zurückhaltung der Gewerkschaftsspitzen gespürt. Die Unterordnung unter den Kriegskurs der Regierung erschwert immer auch das Tagesgeschäft der Tarifpolitik.
Wir haben viel zu tun!

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