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Arbeitswelt 1. April 2025

Gewerkschaft ›stört‹ verschuldeten Prothesenhersteller Ottobock
von Gerhard Klas

Abmahnungen an kritische Beschäftigte, außerordentliche Kündigung von Betriebsräten, verweigerter Zugang zum Werksgelände für Gewerkschaftssekretäre: Bei Ottobock, dem Weltmarktführer für Prothesen und mit 1600 Beschäftigten zweitgrößten Arbeitgeber in Duderstadt (Südniedersachsen), herrscht seit Monaten Ausnahmezustand.

Grund dafür ist eine Auseinandersetzung zwischen der Geschäftsführung und den Betriebsrats- und Gewerkschaftsmitgliedern.
Letztere wollen mit Unterstützung der IG Metall eine Tarifbindung im Unternehmen durchsetzen. Dagegen geht die Geschäftsführung massiv vor. Derart massiv, dass sogar wirtschaftsnahe Presseorgane wie Business Insider oder die Wirtschaftswoche nicht mit Kritik sparen: »Ottobock: Unternehmen setzt Manager auf Gewerkschafter an« oder »Ottobock: So will die Geschäftsführung einen Betriebsrat loswerden« lauten einige der Schlagzeilen.

Verschuldung…
Besonders auf Betriebsversammlungen geht es hoch her, so auf der letzten im November 2024: Als die Leiter des vor kurzem gegründeten Vertrauensleutekörpers der IG Metall dort von der hohen Verschuldung des Konzerns und dem Gefahrenpotenzial für das Unternehmen berichteten, kam es zu Zwischenrufen der Personalabteilung. Das stimme alles nicht und überhaupt, was sich die Redner da anmaßen würden.
Tatsächlich entnahm trotz finanziell angespannter Lage der Mehrheitsgesellschafter und Milliardär Hans Georg Näder in den Jahren 2017 und 2018 erhebliche Summen aus dem Unternehmen. Ausschüttungen, die auch in Jahren erfolgten, als Ottobock Verluste verzeichnete. Kritiker sehen hierin eine Belastung der finanziellen Stabilität des Unternehmens. »Näder führt einen exzentrischen Lebensstil und setzt damit sein Unternehmen aufs Spiel«, schrieb etwa die Wirtschaftswoche im Juli vergangenen Jahres.
Näder, Schwiegersohn des Firmengründers Otto Bock und 2023 von der Unternehmensberatung Ernest & Young zum »Entrepreneur« (Unternehmer) des Jahres gekürt, hat nicht nur durch Fehlinvestitionen wie die missglückte Übernahme der Firma Freedom Innovations in den USA Millionen in den Sand gesetzt. Auch seine Vorlieben für teure Autos, Schiffe und Kunst haben laut Wirtschaftswoche die finanzielle Situation des Unternehmens belastet.
Im Bundesanzeiger kann man die Abschlüsse der Näder Holding, vormals Otto Bock Holding, einsehen. Sie ist die Muttergesellschaft der Ottobock-Gruppe; Kommanditisten sind Hans Georg Näder und seine beiden Töchter. Die Entnahmen und Dividenden, die sich die Gesellschafter:innen zwischen 2010 und 2022 ausgeschüttet haben, belaufen sich auf fast 600 Millionen Euro. Das sind rund 260 Millionen Euro mehr, als der Konzern im selben Zeitraum als Ergebnis nach allen Steuern verdient hat.
Ottobock dürfte zwar in Kriegszeiten gestiegene Verkaufszahlen für Prothesen verzeichnen. Aber die Wirtschaftswoche weist darauf hin, dass ein neues Darlehen über 1,1 Milliarden Euro, bei dem die Zinsen erst am Ende der Laufzeit fällig werden, Ottobock vor neue finanzielle Herausforderungen stellen könnte. Denn üblich seien bei solchen Darlehen Zinssätze von etwa 10 Prozent.

…auf Kosten der Belegschaft
Ottobock weist die Verschuldungsprobleme zurück, die Belegschaft müsse sich keine Sorgen machen. »Missverständnisse darüber, dass der aufgenommene Kredit durch die Näder Holding eine Schuldenlast für Ottobock bedeuten würde, wurden intern aufgeklärt«, heißt es dazu auf Anfrage der Anti-Union-Busting-Initiative Work-Watch e.V.
Also doch große Harmonie bei Ottobock? Dazu passt nicht, dass die Geschäftsführung massiv gegen Betriebsräte und Gewerkschaften vorgeht. Das ist typisch: Besonders in einer angespannten Finanzsituation gelten sie als Kostentreiber – ebenso wie eine tarifliche Bindung. Um die Forderung der Beschäftigten nach Tarifbindung zu unterlaufen, stellte die Geschäftsführung auf der Betriebsversammlung schließlich eine Lohnerhöhung um 4,5 Prozent in Aussicht.
»Sie wollen den Eindruck erwecken, eine tarifliche Bindung sei überflüssig«, sagt Andreas Köppe, der zuständige Gewerkschaftssekretär. »Die Kolleg:innen bei Ottobock identifizieren sich sehr mit ihrer anspruchsvollen Arbeit«, so Köppe, »und es ist völlig klar: Nur mit einer tariflichen Bindung können langfristig angemessene Lohnerhöhungen für die Beschäftigten garantiert werden.«

Gewerkschaften belästigen Kolleg:innen?
Um die Position der Gewerkschaft bei Ottobock zu stärken, hatten die Mitglieder der IG Metall im vergangenen Sommer einen 30köpfigen Vertrauensleutekörper gewählt. Seitdem sind fehlende Tarifbindung und Recht auf Homeoffice regelmäßig Thema im Betrieb, und die IG Metall hat mehrere hundert neue Mitglieder gewinnen können.
Der Geschäftsführung gefällt das nicht. In einem Schreiben vom 11. Oktober 2024 an die Führungskräfte des Unternehmens, das Work-Watch vorliegt, unterstellt sie Betriebsräten und Vertrauensleuten, sie würden »ein positives und störungsfreies Arbeitsklima« verhindern. Angeblich, so der Vorwurf des Schreibens, fühlten sich Kolleg:innen durch die »ständige Ansprache« genötigt.
»Unsere Führungskräfte wurden zu keinem Zeitpunkt dazu aufgefordert, Vertrauensleute der IG Metall oder Betriebsräte … zu beobachten«, schrieb die Presseabteilung von Ottobock auf die entsprechende Nachfrage von Work-Watch. Vielmehr diene das »interne Schreiben an unsere Führungskräfte dazu, ihnen bei Beschwerden ihrer Mitarbeitenden Hilfestellung seitens der Personalabteilung anzubieten.« Als Beleg für ihre Behauptung zitiert die Presseabteilung aus dem internen Brief an die Führungskräfte: »Sollten Ihre Mitarbeitenden Ihnen Situationen oder Begebenheiten berichten, die eine Störung oder Unterbrechung der Arbeit oder des betrieblichen Ablaufs verursacht haben oder als unangenehm empfunden wurden« – eigenartigerweise bricht das Zitat hier ab. Da uns der komplette Brief vorliegt, können wir ergänzen: »kontaktieren Sie bitte unverzüglich Ihre/n HR Business Partnerin. Wir können etwas unternehmen, wenn wir von Ihnen über solche Zwischenfälle informiert werden.«
Ganz offensichtlich weist die HR (HR steht für Human Resources – früher hieß das »Personalabteilung«) in diesem Schreiben also ihre Führungskräfte tatsächlich an, Informationen über gewerkschaftliche Diskussionen im Betrieb zu sammeln und nach oben weiter zu reichen, damit von dort »etwas« unternommen werden kann.
Solch ein Schreiben sei ihm in seiner Zeit als Gewerkschafter »noch nicht untergekommen«, sagt Andreas Köppe. Wenn Ansprache schon als Störung eingeordnet werde und es Menschen nicht mehr erlaubt sei, miteinander zu reden, »wie sollen sie dann ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit wahrnehmen?«
Nicht nur dieser Brief ist ein deutlicher Hinweis auf aktives Union-Busting im Betrieb. Auch bei der von Ottobock beauftragten Anwaltskanzlei Taylor-Wessing handelt es sich um eine bekannte Union-Buster-Kanzlei, die für ihr Vorgehen gegen Betriebsräte und Gewerkschaften berüchtigt ist.

Abmahnung und Kündigung
Das längere Zeit verweigerte Zugangsrecht für den Gewerkschaftssekretär wird mittlerweile wieder gewährt, nachdem die Klage der IG Metall gegen das Unternehmen vor dem Gericht Ende vergangenen Jahres mit einem Vergleich endete.
»Ich kann Ihnen versichern, dass die Ottobock SE & Co. KGaA sich grundsätzlich weder arbeitsverfassungswidrig noch betriebsverfassungswidrig verhält«, erklärte die Pressestelle der Firma. »Auf die … gestellten Fragen … im einzelnen« wolle sie allerdings »nicht eingehen«. Nämlich die zur Abmahnung des Leiters des Vertrauenskörpers der IG Metall und zur Kündigung eines Betriebsratsmitglieds.
Der VK-Leiter wurde abgemahnt, nachdem er einen kritischen Kommentar im Intranet gepostet hatte – die Geschäftsführung hatte den Text als »rufschädigend« gewertet. Der Kollege hatte Missstände bei Ottobock angeprangert und über Kolleg:innen geschrieben, »die ohne Respekt behandelt werden: denen mit Standortverlagerungen gedroht wird, um noch mehr Überstunden zu rechtfertigen; die für ihre Knochenarbeit hier mit einem Hungerlohn nach Hause gehen. Wenn es Menschen gibt, die seit Jahren über Rückenschmerzen klagen, aber doch nie einen verstellbaren Schreibtisch bekommen.« Der Betriebsrat würde hier tun, was in seiner Macht stehe. Aber wenn er mit Kollegen spreche, dann merke er, »dass das noch nicht reicht!« Der betroffene Kollege klagte erfolgreich gegen seine Abmahnung.
Anhängig ist hingegen noch die außerordentliche Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden. Ihm wirft die Geschäftsführung vor, dass er seine Geheimhaltungspflichten verletzt habe. Der Anwalt des betreffenden Betriebsratsmitglieds erklärte gegenüber der Tageszeitung HNA, die Vorwürfe seien nicht haltbar, es gehe in dem Konflikt um Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit.
Der Arbeitsgerichtsdirektor regte in der Güteverhandlung Mitte November vergangenen Jahres an, die »Eskalationsebene« nach unten zu verschieben und nach einer konstruktiven Lösung zu suchen. Der Anwalt von Ottobock machte allerdings deutlich, dass man auf der außerordentlichen Kündigung des Mitarbeiters mit 26 Jahren Betriebszugehörigkeit beharre. Das Beschlussverfahren ist nun für den 5. Mai vor dem Göttinger Arbeitsgericht geplant. Mit Protesten darf gerechnet werden.

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