NRW-Kommunalwahlen
von Rolf Euler
Bei der Bundestagswahl 2025 fielen in NRW zwei Städte auf, die deutliche Stimmengewinne für die AfD brachten: Gelsenkirchen und Recklinghausen, typische Städte mit größeren Stadtteilen, in denen früher der Bergbau „das Sagen“ hatte. Unter anderem die Stilllegung der Bergwerke führte dazu, dass die finanzielle Lage in diesen Städten defizitär ist. Die hohen Wahlergebnisse der AfD betreffen daher auch nicht die gesamte Stadt, sondern die Stadtteile, in denen die Menschen unter den Strukturanpassungen besonders zu leiden hatten.
Vor den Kommunalwahlen im September gibt es große Sorge, wie sich die Wählerentscheidungen auf die gesellschaftliche Stimmung und die Kommunalparlamente auswirken werden. Zunehmend wird in mehreren Untersuchungen auf die soziale und bildungspolitische Ungleichheit als Ursache von Wahlverhalten hingewiesen. Dies betrifft im nördlichen Ruhrgebiet immerhin Hunderttausende Menschen.
Stilllegung der Bergwerke und ihre Auswirkungen
Insbesondere Revierstädte mit größeren Zechen waren früher fest in der Hand der SPD. Sie und ihre Basis waren praktisch in den Bergarbeiterwohngebieten die politisch unangefochtene Kraft. Ihre Vertreter:innen in den Kommunalparlamenten waren teilweise selber Bergarbeiter gewesen oder stammten aus deren Familien. Es gab immer eine enge Zusammenarbeit mit der Bergbaugewerkschaft. Die große Mehrheit ihrer Funktionäre hatte ein rotes Parteibuch.
In der Aufbruchzeit der NRW-SPD in den 70er Jahren und mit der Ministerpräsidentschaft von Johannes Rau gab es auch im Revier die Jugend-, Studenten- und Lehrlingsbewegung, Streiks und bildungspolitische Erfolge im Nachgang. Doch während die Bergleute im Ruhrgebiet während der Stilllegungswelle Ende der 90er Jahre noch einmal 100.000 Bewohner auf die Straßen brachten, schwand später sowohl die gewerkschaftliche als auch die sozialdemokratische Bindung in der Bevölkerung.
Die Stilllegung der Bergwerke Anfang der 2000er Jahre führte nur in geringem Maße zu Neuansiedlung von Industrie, fast hauptsächlich Logistik, Kleingewerbe oder Dienstleistungen folgten den Zechen, sodass die Nachkommen ehemaliger Bergleute nicht in demselben Maße Arbeitsplätze fanden. Dies galt auch für Immigrantenfamilien. Wer auf die Armuts- und Arbeitslosenquoten schaut, wird deshalb im nördlichen Revier höhere Zahlen finden als im Süden.
Die soziale Frage
Hinzu kommt die Abwicklung des ehemals den Bergbau- und Stahlkonzernen gehörenden sozialen Wohnungsbestandes. Im Gefolge seiner Übernahme hauptsächlich durch Vonovia, aber auch der Privatisierung einzelner Siedlungen wurden Wohngebiete entweder vernachlässigt oder aber modernisiert und dadurch teurer.
Zusätzlich zu den lokalen Faktoren wie vernachlässigte Infrastruktur, Abwanderung von Geschäften, Ärzten, Gaststätten, Abbau kommunaler Leistungen gibt es natürlich auch die anderen Gründe für die Wahl rechter Parteien, die in der Bundesrepublik immer eine mehr oder weniger offene Zustimmung hatten, die in jeder Krise deutlich wurde.
Hinzu kommt, dass in diesen Stadtteilen die Wahlbeteiligung deutlich unter dem Durchschnitt liegt, Menschen haben resigniert und fühlen sich durch die Parteien nicht vertreten, gehen nicht zur Wahl. Auch dadurch fällt der Stimmenanteil der AfD höher aus.
So ergaben sich bei den letzten Bundestagswahlen in Recklinghausen in einem traditionellen Bergarbeiterviertel bei 50 Prozent Wahlbeteiligung folgende Prozentzahlen: AfD 29, SPD 26, CDU 16 und (etwas überraschend, wie überall) die Linke mit 10 Prozent.
In einem der „besseren“ Stadtteile ergaben sich folgende Zahlen: CDU 31, SPD 17, Grüne 16, AfD 11 und Linke 7 Prozent.
Niedergang der Sozialdemokratie
Die schwindende Zustimmung vor allem zur damals dominierenden SPD hatte nicht nur bundesweite Folgen, sondern auch unmittelbar in den Vorstädten des Reviers. Immerhin hatten lokale Versammlungen gewerkschaftlicher oder parteipolitischer Art immer auch einen demokratischen Diskussions- und Bildungsraum geboten, gab es eine „Vor-Ort-Betreuung“ von Mitgliedern, städtische Entwicklungen konnten diskutiert werden.
Die Verluste an lokalen Treffs, die Alterung der Bevölkerung in vielen ehemaligen Bergbaustadtteilen, der Abbau von Infrastruktur im Zuge der wirtschaftlichen Krisen und die Defizite der kommunalen Finanzen können heute kaum aufgefangen werden. Damit schwindet aber vor allem das, was Soziologen in den Wahlstudien als „politische Selbstwirkung“ der Menschen beschreiben.
Das „Erlernen von Demokratie“ – ohne die Zeiten damals rosig malen zu wollen – wird schwieriger, wenn gemeinsames Handeln für die Vertretung der eigenen Interessen in Betrieben oder Stadtteilen nicht mehr da ist. So sind Bürgerinitiativen in den sog. „abgehängten“ Stadtteilen selten oder nicht vorhanden.
Die Spaltung in den Revierstädten zwischen wohlhabenden und prekären Stadtteilen nimmt zu, ein Grund sich „abgehängt“ zu fühlen.
Auch die Bundespolitik der SPD, zu den Zeiten der großen Koalitionen und danach, wirkte sich negativ aus. So gibt es eine ständige Zunahme der sozialen Ungleichheit, die Schere zwischen dem Anwachsen von Vermögen und den prekären Verhältnisse niedriger Einkommensschichten wurden weder vom Bund noch vom Land ernsthaft angegangen.
Wer nach Alternativen sucht
Sowohl in Gelsenkirchen als auch in Recklinghausen gab es zeitweilig oder länger eine CDU-geführte Kommunalpolitik, zum Teil mit den Grünen. Das konnte man teilweise so verstehen, dass Alternativen gesucht wurden, zumal in Recklinghausen oder in Gelsenkirchen-Buer traditionell die Mittelschichten und die katholische Tradition eine größere Rolle spielen als in den Bergarbeiterstadtteilen.
Aber auch diese parteipolitischen Alternativen konnten nichts an der prekären finanziellen Lage der Städte ändern. Möglicherweise ist der Versuch rechter Parteien oder Wahlgruppen, daraus Wählerstimmen zu schlagen, auch deshalb erfolgreich, weil auch ihre „ausländerfeindlichen Parolen“ Zustimmung finden.
Der Verweis ehemaliger Bergleute auf die Solidarität aller Kollegen unter Tage kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch rassistische Parolen bei Gewerkschaftern auf Zustimmung stoßen, unabhängig von ihrer eigenen finanziellen Lage. Da sind alte linke Traditionen mit gesellschaftsverändernden Vorstellungen ebenfalls auf dem Rückzug.
Ratlosigkeit
Im jetzigen Wahlkampf werden soziale Themen, Wohnungspolitik, Energiepreise, Personalmangel in Kitas und Altenheimen zwar angesprochen, lokale Lösungen müssen angesichts der kommunalen Finanzen jedoch immer auf den Bund oder das Land verweisen.
So werben die Parteien vor allem mit ihren Personen, die Folgen der Klimakrise oder der massiven Verschuldung durch die Militarisierung werden kaum angesprochen.
Die Hinnahme der Krisenfolgen und die Belastung unterer Einkommensschichten werden sich bei den Kommunalwahlen wohl erneut in Zuwachs rechter Parteien niederschlagen. Das macht die Stadtregierung nicht einfacher und Selbsttätigkeit oder demokratische Wirksamkeit von prekarisierten Menschen wird bestimmt nicht gefördert. Neben Ratlosigkeit wird ein hilfloses „Weiterwurschteln“ nach den Wahlen wahrscheinlich.
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