Das göttliche Recht
von Angela Klein
Im Jahr 1476 macht eine Schrift namens Reformatio Sigismundi die Runde. Sie war in deutscher Sprache verfasst und griff die Reformvorschläge auf, die auf Betreiben des Kaisers Sigismund auf dem Konzil von Basel 1431–1449 verhandelt worden waren.
Diese erste deutsche Reformschrift eines Laien vor Luther wurde bis 1525 siebenmal nachgedruckt. Sie benannte schonungslos die Missstände der staatlichen und kirchlichen Welt und forderte eine Reform »an Haupt und Gliedern«: die scharfe Trennung zwischen Kirche und Staat, das Verbot des Ämterkaufs durch Geistliche, stattdessen ihre feste Besoldung; Säkularisation des Kirchenguts, Abschaffung des Zölibats; die Ablösung von Zins und anderen Lasten, d.h. die Streichung der Schulden und die Unterbindung des Wuchers: geliehenes Geld sollte nur noch getilgt werden. Außerdem die Aufhebung der Leibeigenschaft.
Diese Forderungen leitete sie aus dem Evangelium ab. Ein Christenmensch dürfe nicht zum anderen sprechen: Du bis mein eigen. Wer davon nicht abstehen wolle, den solle man abtun und zerstören. Die Armen sollten sich ihre Rechte erstreiten, auch unter Gewaltanwendung: »Das ist göttlich Werk.« Die Kleinen müssen wachen, wenn die Großen schlafen, und wenn diese sich nicht freiwillig reformieren lassen, muss man das Schwert brauchen und das Unkraut ausjäten. Gott wird die Seinen nicht verlassen. »Schlag fröhlich drein, sieh, es geht leichtlich zu.« Das war die Sprache der Revolution. Radikaler formulierte nur noch Thomas Müntzer ein halbes Jahrhundert später.
Die Schrift hatte ungeheuren Einfluss, auch unter den Bauern, wurden hier doch im Namen der höchsten Autorität, des Kaisers, Missstände benannt, die der Bauer nur allzu gut kannte und für die er kirchliche Würdenträger und weltliche Landesfürsten verantwortlich machte. Zwei davon betrafen den Bauern unmittelbar: seine gewaltsame Herabdrückung in die Leibeigenschaft und der Anstieg der Schuldenlasten – in Anbetracht der massiven Teuerung um die Wende zum 16.Jahrhundert ein drängendes Problem, es herrschte Hungersnot, drei Jahre lang wütete die Pest.
Die »Reformation des Kaisers Sigismund« lieferte das Schlagwort, den Deckel, unter dem sich die zahlreichen zersplitterten Unruhen und Aufstände der Bauern zusammenfassen ließen: das göttliche Recht.
Auf der Fahne des Bundschuhs, der im Jahr 1502 einen Aufstand gegen den Bischof von Speyer leitete, stand unter dem Abbild des Schuhs die Parole: »Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes!« Joß Fritz, der Anführer der Verschwörung, kannte die »Reformatio«. Die Fahne, die er zehn Jahren später für einen neuen Bundschuh in Lehen bei Freiburg malen ließ, entsprach bis in die Einzelheiten der Fahne, die in der »Reformatio« der Welterneuerer und Priester Friedrich tragen sollte. Nur der Bundschuh wurde hinzugefügt. Aus einer Reformbewegung wurde eine Revolution, ein Kampf für eine rundum neue Ordnung auf der Basis des Evangeliums.
Der letzte der 12 Artikel von Memmingen, die die breiteste programmatische Grundlage der aufständischen Bauern darstellen, lautet: »Wenn einer oder mehr der hier gestellten Artikel dem Worte Gottes nicht gemäß wären … von denen wollen wir abstehen, wenn man es uns auf Grund der Schrift erklärt. Wenn man uns schon etliche Artikel jetzt zuließe und es befände sich hernach, dass sie Unrecht wären, so sollen sie von Stund an tot und ab sein. Desgleichen wollen wir uns aber auch vorbehalten haben, wenn man in der Schrift noch mehr Artikel fände, die wider Gott und eine Beschwernis des Nächsten wären.«
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