Wer zahlt den Preis der Zerstörung?
von John Clarke
Wenn wir an Klassenkampf denken, sehen wir meist Streiks oder Proteste gegen Sozialabbau. Doch die Klimakatastrophe wird zum zentralen Konfliktfeld der Arbeiter:innenbewegung werden. Denn wie bei der Covid-Pandemie treffen ihre Folgen Menschen ungleich – entlang sozialer, rassistischer und globaler Spaltungen.
Selbst in reichen Ländern wird die Zerstörung durch Wetterextreme, Brände und steigende Meeresspiegel vor allem jene treffen, die am wenigsten Ressourcen haben. Im globalen Süden zeigt sich bereits jetzt, dass Klimafolgen existenzielles Leid bedeuten. Wer mit den schlimmsten Konsequenzen konfrontiert ist, wird ums Überleben kämpfen – und sich organisieren müssen. Das Klima wird so zum Schauplatz des Klassenkampfs.
Angriff auf die natürliche Welt
Eine gerechte Gesellschaft würde Emissionen senken und den Übergang zu nachhaltigen Wirtschaftsformen einleiten.
Doch der Kapitalismus verhindert genau das. Der US-Soziologe und Herausgeber des marxistischen Magazins Monthly Review, John Bellamy Foster, beschreibt in Capitalism in the Anthropocene, wie der Zwang zu Wachstum und Profitakkumulation im Widerspruch zu einer nachhaltigen Beziehung zur Natur steht. Wir leben in einem »irrationalen System aus künstlich stimuliertem Wachstum, Verschwendung, finanzialisiertem Reichtum und extremer Ungleichheit«.
Die Folgen sind unübersehbar: eskalierende Hitze, Dürre, Stürme, Brände und Überschwemmungen – begleitet von katastrophaler Untätigkeit. Laut Guardian erreichte der Verbrauch fossiler Brennstoffe 2024 ein Rekordniveau; die CO2-Emissionen überstiegen erstmals 40 Gigatonnen. Shell-Chef Wael Sawan erklärte, man wolle Emissionen nur senken, wenn es »profitabel« sei. Die Schlussfolgerung ist klar: Ohne tiefgreifenden sozialen Wandel wird der ökologische Kollaps fortschreiten.
Notwendig sind Massenaktionen, die fossile Industrien, Banken und Regierungen zu Emissionssenkungen zwingen und den Umstieg auf erneuerbare Energien erzwingen. Es existieren bereits Bewegungen und Erfahrungen, an die angeknüpft werden kann.
Klima & Arbeit
Die Klimakrise trifft die arbeitende Klasse unmittelbar – am Arbeitsplatz wie in den Gemeinden.
In Kanada fordern Migrant-Worker-Initiativen Schutzmaßnahmen gegen extreme Hitze; Landwirtschaftsarbeiter:innen sterben dort 35mal häufiger als der Durchschnitt. In New York protestieren Lieferfahrer:innen gegen gefährliche Arbeitsbedingungen in der Hitze. Laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) sind 2,4 Milliarden Beschäftigte weltweit übermäßiger Hitze ausgesetzt.
In dieser schwierigen Situation sorgen Arbeitgeber und Regierungen bereits dafür, lebenswichtigen Schutz zu verweigern: In Florida verbot Gouverneur Ron DeSantis 2024 den Kommunen, Pausen bei extremer Hitze für Arbeit im Freien vorzuschreiben – in einem Bundesstaat, in dem es sehr heiß wird und wo Bau und Landwirtschaft dominieren. Extreme Wetterlagen führen zu Zerstörung, Arbeitslosigkeit und Verdrängung. Öffentliche Dienste und soziale Sicherungssysteme müssen deshalb massiv ausgebaut werden, um Klimafolgen sozial abzufedern.
Im Kampf für einen gerechten Übergang (»just transition«) wird die Macht der organisierten Arbeiter:innen entscheidend sein. Gewerkschaften müssen das Streikrecht nutzen, um Regierungen und Unternehmen zum Handeln zu zwingen. Es darf nicht sein, dass Beschäftigte entlassen werden, wenn schädliche Industrien geschlossen werden. In Großbritannien etwa müssen die Arbeiter:innen auf Nordsee-Ölplattformen beim Umstieg auf erneuerbare Energien geschützt werden – sie dürfen nicht das Schicksal der Bergleute der 1980er Jahre erleiden.
Globaler Süden und internationale Solidarität
Die imperiale Weltordnung teilt die Welt in ausbeuterische und ausgebeutete Länder. Der Klimawandel verschärft diese Ungerechtigkeit: Bevölkerungen des globalen Südens tragen kaum zur Krise bei, leiden aber am stärksten unter ihren Folgen.
Waseem Ahmad von Islamic Relief Worldwide beschreibt, dass die Ärmsten in fragilen Häusern leben, kaum Ersparnisse besitzen und keinen »Plan B« haben. 2022 zerstörten Überschwemmungen in Pakistan große Landesteile, 33 Millionen Menschen verloren ihr Zuhause oder ihre Arbeit. Ein Jahr später litten 40 Prozent der Kinder in den betroffenen Regionen unter Wachstumsstörungen, 25 Prozent waren untergewichtig – die Folge von Hunger und fehlender medizinischer Versorgung.
Zugleich ersticken viele Länder des Südens unter Schulden. 2024 mussten arme Staaten bis zu 38 Prozent, in Afrika bis zu 54 Prozent ihrer Staatseinnahmen für Schuldendienste verwenden. Pakistans drohender Staatsbankrott wurde nur durch einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) über sieben Milliarden Dollar abgewendet – im Gegenzug zwingt der IWF Pakistan, neue Sparprogramme aufzulegen, die die Bevölkerung weiter verarmen lassen. Die Kinder hungern, damit westliche Banken ihre Zinsen erhalten.
Währenddessen verhandeln reiche Staaten über minimale Entschädigungsfonds (Loss and Damage Fund) – ein Tropfen auf den heißen Stein. Wirkliche Klimagerechtigkeit erfordert nicht »Schuldenerlass«, sondern eine klare Weigerung, diese illegitimen Schulden zurückzuzahlen. Die Bedürfnisse der Armen müssen Vorrang vor den Profiten parasitärer Finanzinstitutionen haben.
Klimabedingte Migration wird massiv zunehmen. Laut UN wurden zwischen 2008 und 2016 jährlich 21,5 Millionen Menschen durch Wetterereignisse vertrieben; bis 2050 könnten es 1,2 Milliarden sein. Reiche Staaten reagieren mit Grenzregimen und Abschottung, statt Solidarität zu zeigen.
Klassenkampf für das Überleben
Der Kampf gegen den Klimawandel ist untrennbar vom Klassenkampf.
Die Verteidigung des Lebens auf diesem Planeten verlangt kollektive Organisierung gegen Profitlogik und Ausbeutung – lokal wie global. Eine solidarische, demokratische Gesellschaft, die Bedürfnisse über Profit stellt, ist nicht nur wünschenswert, sondern überlebensnotwendig.
Angesichts der existenziellen Krise bleibt keine Alternative: Nur durch internationale Solidarität, durch den Kampf der arbeitenden Klasse und durch den Bruch mit der kapitalistischen Zerstörungslogik kann eine gerechte Zukunft erkämpft werden.
Der Autor war 28 Jahre Organizer bei der Ontario Coalition Against Poverty (OCAP) und schrieb zuletzt zusammen mit Sarah Glynn Climate Change is a Class Issue; https://climateandclass.net/.
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