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Aufmacher Klima 1. November 2025

Die Rolle der Arbeit bei der Transformation
von Sarah Glynn

Wenn die Menschheit überleben will, muss sie ihre Gesellschaft grundlegend verändern. Die Klimakrise verlangt nichts weniger als eine Neuorganisation unserer Wirtschafts- und Lebensweise. Doch viele betrachten den Kapitalismus als naturgegeben und verteidigen ihn selbst dann, wenn er unser Überleben bedroht.

Über den Weg zur Transformation besteht noch kein Konsens, doch schon heute können wir Schritte gehen, die nützlich sind und zeigen, dass radikaler Wandel notwendig und machbar ist. Wettbewerb und endloses Wachstum müssen ersetzt werden durch Kooperation und das Primat menschlicher Bedürfnisse – auch dem künftiger Generationen. Die Ausbeutung von Mensch und Natur muss einer Haltung weichen, die Gesellschaft als Teil eines ökologischen Ganzen begreift.

Öffentliches Bedürfnis statt privater Gier
Unsere Ressourcen müssen gerechter verteilt und sinnvoll genutzt werden. Das erfordert die öffentliche Finanzierung von Gütern und Dienstleistungen, die das Gemeinwohl fördern, sowie ein Steuersystem, das Ungleichheit verringert und gesellschaftlichen Reichtum gemeinsam nutzbar macht.
Lokale Gemeinschaften können dies praktisch umsetzen – durch Nachbarschaftskooperativen, gegenseitige Hilfe und Kampagnen, die Regierungen zu Veränderung zwingen. Solche Aktionen widerlegen die kapitalistische Erzählung, dass es keine Alternative gäbe und grüne Politik Entbehrung bedeute.
Viele öffentliche Dienste – Bildung, Infrastruktur, Abfallentsorgung, Gesundheit – entstanden durch Kämpfe und staatliche Verantwortung für grundlegende Lebensstandards. Heute müssen diese Eingriffe massiv erweitert werden, um das Überleben zu sichern.
Öffentliche Gesundheitsversorgung ist gerechter und effizienter; öffentlicher Nahverkehr kann Städte lebenswerter machen; sozialer Wohnungsbau kann Spekulation eindämmen. Frühere Schwächen zentralisierter Staatsbetriebe – Bürokratie, Entfremdung – dürfen nicht wiederholt werden. Mit demokratischer Kontrolle durch Beschäftigte und Nutzer:innen und mit lokaler Verwaltung können öffentliche Dienste bedarfsgerecht und partizipativ gestaltet werden.
Auch neue Technologien wie Künstliche Intelligenz müssen öffentlich gesteuert werden, damit ihr Nutzen allen zugute kommt. Eine klimagerechte Politik braucht öffentliche Energieunternehmen, die konsequent auf erneuerbare Quellen setzen.

Arbeitsplatzgarantie, gerechte Arbeit und Steuergerechtigkeit
Mit wachsender öffentlicher Beteiligung kann jedem Menschen sinnvolle, gut bezahlte Arbeit garantiert werden – unter gerechten Bedingungen und mit kürzeren Arbeitszeiten.
Das schafft nicht nur Sicherheit, sondern auch Freiräume für Familie, Bildung und Engagement.
Kostenlose oder subventionierte öffentliche Dienste erfordern solide Finanzierung: durch progressive Steuern, höhere Sätze für Spitzenverdiener sowie Abgaben auf Erbschaften und Vermögen. So lassen sich Ungleichheiten verringern und Mittel bereitstellen, die produktiv und sozial wirksam eingesetzt werden.

Gesetzliche Einschränkungen statt teurer Anreize
Ökologisch zerstörerische Aktivitäten müssen verboten, nicht subventioniert werden. Das betrifft neue Öl- und Gasfelder, die Ausbeutung fossiler Ressourcen und andere schädliche Industrien. Diese Verbote müssen mit öffentlicher Entwicklung alternativer Energien und Energiesparmaßnahmen einhergehen.
Mit öffentlicher Investition und Arbeitsplatzgarantie können Industrien umgebaut oder geschlossen werden, ohne Menschen zu entlassen.
Weitere gesetzliche Schritte könnten die Macht des Kapitals begrenzen – etwa eine Begrenzung der Lohnspreizung innerhalb von Unternehmen, verpflichtende Reparierbarkeit von Produkten, längere Garantien, das Verbot geplanter Obsoleszenz oder Werbeeinschränkungen im öffentlichen Raum.

Organisierte Arbeit als Motor des Wandels
Solche Veränderungen erfordern strategische Massenbewegungen.
Die Arbeiterklasse besitzt Macht – durch ihre Zahl und ihre zentrale Rolle in Produktion und Versorgung. Sie kann entscheidende Punkte im Wirtschaftssystem treffen und nachhaltige Produktionsweisen selbst mitentwickeln.
Gewerkschaften sind Schlüsselstrukturen dieser Bewegung. Arbeiter:innen sind nicht nur Schutzbedürftige, sondern aktive Gestalter:innen einer gerechten Zukunft. Sie können Unternehmen zum ökologischen Umbau drängen und demokratische Mitbestimmung auf allen Ebenen einfordern.
Es geht nicht nur darum, Jobs bei der Umstellung zu bewahren oder prekäre Arbeit zu verhindern. Es geht darum, den Wandel selbst in die Hand zu nehmen, damit er nicht in Greenwashing endet, sondern sich an gesellschaftlichen Bedürfnissen orientiert. Der Aufbau und die Stärkung von Gewerkschaften müssen daher zentraler Bestandteil jeder ökologischen Strategie sein.

Gegenseitige Hilfe als Kraft der Veränderung
Veränderung entsteht nicht nur durch Druck auf Regierungen oder Unternehmen, sondern auch durch Selbstorganisation.
Gemeinschaften können Ressourcen teilen und solidarische Strukturen aufbauen – Werkzeugbibliotheken, Fahrgemeinschaften, Gemeinschaftsräume oder Nachbarschaftsgärten. Solche Initiativen fördern praktische Solidarität, Selbstbestimmung und lokale Vernetzung. Sie zeigen, dass eine andere Gesellschaft möglich ist – eine, die auf Kooperation statt Konkurrenz beruht. Die Prinzipien gegenseitiger Hilfe lassen sich auf Arbeit und Wohnen ausweiten, etwa durch Arbeiterkooperativen und Wohnungsgenossenschaften.
Diese Modelle können als Grundlage demokratischer Verwaltung dienen, wie Mieterkooperativen in Glasgow zeigen, die ihren Wohnraum selbst verwalten. Doch in kapitalistischen Strukturen stoßen solche Initiativen auf Grenzen: Gemeinschaftliche Organisationen sind das Bindemittel, das unsere Gesellschaften zusammenhält, und lokale Erfolge können Inspiration für größere Veränderungen geben. Aber oft beschränken nationale und lokale Behörden diese Organisationen, indem sie ihnen verbieten, »politisch« zu sein.
Mächtige reagieren auf Krisen selten mit Ursachenbekämpfung, sondern mit Repression. Politische Rechte werden eingeschränkt, rassistische Spaltungen gefördert – das sind klassische »Teile-und-herrsche«-Strategien. Wenn Krisen eskalieren, tendieren Regierungen dazu, autoritäre Lösungen zu suchen; sie versuchen, Widerstand mit neuen Formen des Faschismus zu unterdrücken.
Unser Schutz dagegen ist der Kampf für echten, positiven Wandel. Menschen dürfen nicht auf falsche Versprechen von Nationalismus oder autoritärer Stärke hereinfallen. Die Alternative ist eine demokratische Gesellschaft, die auf reale Bedürfnisse reagiert – und diese Demokratie muss in unseren Bewegungen selbst beginnen.

Die Autorin ist Aktivistin beim Scottish Unemployed Workers Network, in Mieter- und Solidaritätskampagnen sowie Co-Autorin von Climate Change is a Class Issue; https://climateandclass.net/

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