Eine kritische Kartographie der ökosozialistischen Strömungen – mit Lücken
von Michael Heldt
Christian Stache: System Update oder System Change? Glanz und Elend des Ökosozialismus. Köln: PapyRossa, 2025. 334 S., 24 Euro
In einer Zeit, in der Klimaberichte und Katastrophenmeldungen im Wochentakt erscheinen, überlagert vom aufziehenden Autoritarismus mit seinen Kriegen, Verwerfungen und Neugruppierungen, versucht Stache, den Ökosozialismus als theoretisches und strategisches Feld zu ordnen. Sein Anliegen ist zugleich bescheiden und anspruchsvoll: Er will die jüngsten ökosozialistischen Strömungen im deutschsprachigen Raum systematisch darstellen, vergleichen und kritisch bewerten – und damit klären, was von ihnen für eine sozialistische Perspektive zu lernen ist.
Stache strukturiert seine Untersuchung entlang von sieben Kapiteln, in denen er zentrale Strömungen des gegenwärtigen Ökosozialismus behandelt:
- bewegungsorientierter, linkssozialdemokratischer Ökosozialismus,
- zirkulationistisch-strukturalistischer Ökosozialismus,
- Marcuses Rückkehr: ökosozialistische Kritische Theorie,
- Degrowth-Ökosozialismus,
- Herrschaftskritisch-intersektionaler Ökosozialismus,
- Libertär-trotzkistischer Ökosozialismus,
- Anstatt eines Fazits: Umrisse eines ökologischen Kommunismus.
Für jede Strömung untersucht Stache fünf Leitfragen:
Was gilt als Ursache der ökologischen Krise? Wer trägt Verantwortung? Wie sieht das gesellschaftliche Ziel aus? Wer ist das Subjekt der Veränderung? Welche Strategie soll den Übergang tragen?
Wir bekommen eine dichte Kartografie der aktuellen akademischen Landschaft – von sozialdemokratischen Green-New-Deal-Ansätzen über Degrowth-Kritiken bis zu trotzkistischen Revolutionsentwürfen – und eine Ahnung welche Arbeit noch vor uns liegt.
Zwischen Reformismus und Revolution
Staches Befund fällt ernüchternd aus: Die meisten Strömungen bleiben in Reformismus, Kulturpolitik oder moralischem Appell stecken. Sie verschieben den Fokus von den Eigentums- und Produktionsverhältnissen auf Lebensstile, Ethik und kulturelle Muster.
Die Bewegungssozialdemokratie, der er Riexinger, Dörre und Zelik zuordnet, setzt auf eine demokratische Marktwirtschaft mit kooperativen Betrieben – im Ergebnis ein Update des Kapitalismus, kein Change. Zirkulationistische Theorien verlieren sich im Kapitalfetisch, Degrowth-Modelle predigen Schrumpfung und Verzicht, intersektionale Ansätze ersetzen Klassenanalyse durch Lebensstildebatten, und libertär-trotzkistische Entwürfe beschwören Bewegungen von unten, ohne sie materiell zu verorten.
Stache geht mit diesen Ansätzen kritisch, aber nie hämisch um. Er würdigt ihren Versuch, ökologische und soziale Fragen zu verbinden, insistiert aber auf der Marxschen Erkenntnis, dass der Kern des Problems in den Produktions- und Eigentumsverhältnissen liegt. Eine ökologische Politik, die das Kapitalverhältnis nicht antastet, bleibt für ihn notwendigerweise reformistisch.
Vom Ökosozialismus zum ökologischen Kommunismus
Im Schlusskapitel »Anstatt eines Fazits« entwirft Stache die »Umrisse eines ökologischen Kommunismus«. Er begreift die ökologische Krise nicht als Fehlsteuerung, sondern als Produkt der kapitalistischen Produktionsweise selbst. Die Lösung könne nur in einer Gesellschaft liegen, in der der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur bewusst und demokratisch reguliert wird – jenseits des Marktes, jenseits des Profits. Das bedeutet: Eigentumsbruch, Planung, gesellschaftliche Kontrolle der Produktion, aber auch eine neue Kultur der Bedürfnisse.
Sein ökologischer Kommunismus ist keine nostalgische Rückkehr zum Realsozialismus, sondern ein Versuch, die materialistische Kritik in das Zeitalter der Klimakrise zu übersetzen.
Diese Perspektive bleibt zu Recht skizzenhaft. Stache liefert kein fertiges Programm, sondern ein theoretisches Koordinatensystem: Er will den Marxismus aus der Defensive holen und die ökologische Frage im Klassenkampf verorten.
Gerade weil Stache so systematisch vorgeht, fallen die Begrenzungen seines Projekts stärker ins Auge. Er beschränkt sich ausdrücklich auf den deutschsprachigen Raum – Deutschland, Österreich, Schweiz (DACH) – und auf Publikationen seit 2019. Diese Selbstbeschränkung macht das Buch handhabbar, verengt aber zwangsweise den Horizont. Denn Stache kennt zwar die internationale, vor allem nordatlantische Debatte – Foster, Burkett, Fraser, Löwy –, doch die lebendigeren, bewegungsnäheren Strömungen der globalen Klimagerechtigkeitsbewegung bleiben außen vor.
Gerade dort, in den Auseinandersetzungen des globalen Südens oder der Peripherien des Westens, entstehen heute die spannendsten Formen ökosozialistischer Praxis: Bauern-, Indigenen- und Arbeiterkämpfe, die Eigentum, Energie und Land als gemeinsame Fragen begreifen. Dieser Reichtum internationaler Erfahrung taucht in Staches Darstellung kaum auf – der Ökosozialismus erscheint als akademische Debatte, nicht als globale Bewegung.
Fehlender Bezug zur realen Bewegung
Auch innerhalb des DACH-Raums spürt man die Distanz zur Praxis. Stache kennt die Literatur, nicht aber die Dynamik der sozialen Kämpfe, in denen ökosozialistische Ideen längst präsent sind: in der Verkehrswendebewegung, in den Gewerkschaften, in der Mieten- und Wärmewendebewegung. Gerade dort wird konkret gestritten und erprobt, wie ökologische und soziale Interessen zusammenfallen können – etwa wenn Arbeiter:innen für eine klimafreundliche öffentliche Infrastruktur kämpfen oder Mieterinitiativen die Vergesellschaftung der Energieversorgung fordern.
Diese realen Orte ökosozialistischer Politik bleiben im Buch unsichtbar. Das gleiche gilt für die Partei Die Linke, in der ökologische Klassenpolitik und ökosozialistische Positionen in den letzten Jahren durchaus an Gewicht gewonnen haben. Stache analysiert die theoretische Szene präzise, aber er schaut kaum auf die gesellschaftlichen Kräfte, die sich dort formieren, wo Theorie auf Praxis trifft.
Der Fall Zeller
Dabei kritisiert er genau das am konkreten Beispiel richtig. Christian Zeller tritt als akademisch geschulter Stratege auf, der mit trotzkistischem Übergangsprogramm und taktischen Stufenplänen eine revolutionäre Perspektive modelliert. Er gibt sich als orthodoxer Trotzkist auf intellektuellem Niveau, bleibt dabei aber weitgehend isoliert. Seine Texte wirken wie aus der Seitenlinie geschrieben: klug, systematisch, aber ohne Resonanz in realen Bewegungen.
Zellers Versuche, vom Schreibtisch aus ein revolutionäres Subjekt zu konstruieren, sind weder praktisch wirksam noch politisch verbindend. Was fehlt, ist der Kontakt zu jenen Feldern, in denen sich die Klassen- und Klimafrage tatsächlich kreuzen – Verkehr, Energie, Wohnen, Produktion.
Stache erkennt diese Leerstelle und arbeitet sie klar heraus. Er zeigt, dass Zellers Übergangsprogramme ins Leere laufen, solange sie nicht in Arbeitskämpfe, kommunale Vergesellschaftungsinitiativen und internationale Klimabewegungen eingebettet sind.
Das ist einer der stärksten Abschnitte des Buches: Stache kritisiert Zeller auf hohem Niveau, fragt, wo die sozialen Träger des Programms bleiben sollen. Umso bedauerlicher, dass Stache selbst die existierenden, bewegungsnahen Alternativen kaum sichtbar macht.
Wer die realen ökosozialistischen Praktiken in Bahn-, Miet- und Wärmewende-Initiativen kennt, weiß, dass dort längst mehr in Bewegung ist, als Zeller oder die akademische Bubble vermuten. Dass Stache diese Kräfte nicht einbezieht, ist ein blinder Fleck seines ansonsten scharf gezeichneten Buchs.
Theoretische Klarheit als Stärke
Trotz dieser Begrenzungen ist System Update oder System Change? eine der klarsten und gründlichsten Analysen des gegenwärtigen Ökosozialismus-Diskurses im deutschsprachigen Raum. Stache sortiert die theoretische Landschaft, benennt die neuralgischen Punkte der Debatte und öffnet den Raum für eine marxistische Erneuerung, die weder technikgläubig noch moralistisch ist.
Er verteidigt den Anspruch, dass Sozialismus nicht »grüner Kapitalismus« heißen kann, sondern den Bruch mit der Profitlogik verlangt. Gerade darin liegt der Wert des Buches: Es zwingt die Leser:innen, zwischen kosmetischen Reformideen und realer Systemkritik zu unterscheiden.
Er anerkennt dessen marxistische Präzision, weist aber nach, dass Theorie ohne soziale Basis zur Pose wird. Damit stellt er den akademischen Diskurs wieder in das Feld der politischen Verantwortung zurück. Diese methodische Strenge – Theorie am Maßstab praktischer Veränderbarkeit zu messen – macht das Buch zu einem wichtigen Bezugspunkt für alle, die den Ökosozialismus nicht nur diskutieren, sondern organisieren wollen.
Fazit
System Update oder System Change? ist kein Lesebuch für die schnelle Kampagne und keine linke Motivationsschrift. Es ist ein Beitrag zur strategischen Selbstverständigung der sozialistischen Linken im Zeitalter der Klimakatastrophe – und ein notwendiges Korrektiv gegenüber der Tendenz, Ökologie zur moralischen Geste zu machen. Stache erinnert daran, dass der Kapitalismus nicht grün werden kann, weil seine Grundlage die Ausbeutung von Mensch und Natur ist. Wer von Ökologie redet, muss von Eigentum und Klassenkampf reden.
Gerade weil das Buch auf den akademischen Diskurs fokussiert, bleiben viele reale Kämpfe unsichtbar. Aber es liefert den begrifflichen Rahmen, in dem diese Erfahrungen eingeordnet und weitergedacht werden können.
Sein größter Wert liegt vielleicht darin, den Ökosozialismus aus der Nische der Bewegungsethik herauszuholen und ihn wieder in den Zusammenhang von Theorie, Klasse und Macht zu stellen. Wer verstehen will, warum so viele linke Ökologie-Konzepte in halben Reformen enden – und wie eine revolutionäre ökologische Perspektive aussehen könnte –, wird an diesem Buch nicht vorbeikommen.
System Update oder System Change? ist ein notwendiges, provozierendes und bisweilen unbequemes Buch – ein Plädoyer für eine Linke, die den Mut hat, aus der Defensive zu treten und die ökologische Krise nicht zu verwalten, sondern zum Ausgangspunkt des Klassenkampfs im 21.Jahrhundert zu machen.
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