Vergesellschaftung wird Gesetz
von David Stein
Am 26.September 2025 stellte die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« (DWE) ihren Entwurf für ein Vergesellschaftungsgesetz (VergG-E) der Presse vor – genau vier Jahre, nachdem der erste Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne mit rund 59,1 Prozent der abgegebenen Stimmen im Land Berlin angenommen wurde.
Senat und Abgeordnetenhaus fühlten sich daran allerdings nicht gebunden und ignorierten den Volksentscheid schlicht. Deshalb griffen die Initiator:innen zu der ihnen gesetzlich zustehenden Möglichkeit, selber ein Gesetz zu schreiben. Wird es von der Bevölkerung angenommen, muss der Senat es umsetzen.
Tritt das geplante Gesetz in Kraft, können Wohnungen von Immobilienkonzernen, die mehr als 3000 Wohnungen in Berlin im Bestand haben, in eine zu gründende Anstalt öffentlichen Rechts mit dem Namen »GemeingutWohnen« und damit in Gemeineigentum überführt werden. Unter dem Dach der Anstalt wären dann geschätzt rund 220.000 Wohnungen und diese damit dem Markt entzogen.
Art.15 GG auf die Füße gestellt
Die Initiative erwartet sich davon einen deutlich dämpfenden Effekt bei den Mieten auf dem Berliner Wohnungsmarkt und damit die Sicherstellung der Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum. Zusätzliche Ziele sind die Ermöglichung sozialer Integration, die Bewirtschaftung der Immobilien anhand von Klima- und Umweltzielen, der Schutz gemeinwohlorientierter Strukturen in den Bezirken sowie die Mitsprache der Mieter:innen und der Beschäftigten der Anstalt bei sie betreffenden Entscheidungen.
Diese Regelungen sind die Kernelemente der Vergesellschaftung, die sich dadurch von einer bloßen Entziehung privaten Eigentums durch staatliche Enteignung unterscheidet. Die Vergesellschaftung soll die Eigentumsverhältnisse im Ganzen umstrukturieren und privatnützige, auf Eigentumskonzentration basierende Machtstrukturen und Verwertungslogiken zugunsten einer gemeinwohlorientierten Nutzung aufheben.
Der Gesetzentwurf soll nun, wie in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren üblich, im Dialog mit Fachverbänden der Fachöffentlichkeit zur Diskussion vorgestellt werden, bevor er – mit den dann eventuell noch vorzunehmenden Änderungen – Grundlage eines zweiten Volksentscheids wird. Dieser wird voraussichtlich wegen des nötigen Vorlaufs für ein weiteres Volksbegehren nicht vor 2027 stattfinden können.
Das Inkrafttreten des Gesetzes wird sicherlich weiter verzögert werden, weil die CDU bereits jetzt im Fall einer Annahme des Gesetzes durch die Bürgerinnen und Bürger seine verfassungsrechtliche Überprüfung durch das Berliner Landesverfassungsgericht angekündigt hat.
Die geplante, breit geführte Diskussion über den Gesetzesentwurf ermöglicht, Vergesellschaftung allgemein, nicht nur von Wohnimmobilien, sondern auch z.B. im Bereich Energie und Gesundheit in den politischen Fokus zu rücken. Die Wirkung davon kann weit über Berlin hinausgehen.Zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik erhält Artikel 15 des Grundgesetzes, der die Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln ermöglicht, eine praktische Bedeutung in der deutschen Verfassungswirklichkeit. Von der »herrschenden Meinung« wird er als Fossil abgetan. Die kapitalistische Wirtschafts- und Eigentumsordnung ist jedoch im Grundgesetz nicht festgeschrieben.
Die deutsche Verfassung ist, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, »wirtschaftspolitisch neutral« und lässt deshalb grundsätzlich eine Vergesellschaftung jenseits des Marktes in allen wirtschaftlichen Bereichen nach Maßgabe dieses Artikels zu. Dieses geltende Recht fordert die Initiative durch den Gesetzentwurf ein, weil – sofern es weiterhin eine breite Mobilisierung dafür gibt – das Machtverhältnis zwischen Mietern und profitgetriebenen Wohnungsunternehmen zugunsten der Mieter verschoben und die Grundlage für eine soziale Stadtentwicklung geschaffen werden kann.
Querschüsse sollen verhindert werden
Anders als im ersten Volksentscheid soll nach intensiver Expertenarbeit nun ein kompletter Gesetzentwurf zur Abstimmung gestellt werden, der für den Berliner Gesetzgeber bindend ist, wenn nach Durchlaufen eines Volksbegehrens die Mehrheit der Teilnehmenden und zugleich mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten im Volksentscheid zugestimmt haben. Damit könnten die seit vier Jahren verfolgte Verschleppungstaktik von CDU und SPD und ihre Negierung des Willens der Berlinerinnen und Berliner durchkreuzt werden, die zu 85 Prozent Mieter sind.
Die Abstimmungsvorlage für den Volksentscheid in 2021 hatte den Makel, dass nicht ein Gesetzentwurf mit bestimmtem Inhalt zur Abstimmung gestellt, sondern die Schaffung eines einschlägigen Gesetzes gefordert und dessen Umsetzung dem Senat bzw. dem Abgeordnetenhaus überlassen wurde. Das hat sich bitter gerächt. Der CDU/SPD-Senat konnte erfolgreich auf Zeit spielen und durch die Vorlage eines Vergesellschaftungsrahmengesetzes ein Ablenkungsmanöver starten, bei dem angeblich noch offene verfassungsrechtliche Fragen geklärt werden müssten. Diese Fragen wurden jedoch durch eine vom Senat eingesetzte Expertenkommission längst geklärt.
Der nun von der Initiative vorgelegte Gesetzentwurf orientiert sich pragmatisch an dem Abschlussbericht dieser vom Berliner Senat 2022 initiierten und im Ergebnis auch von der Initiative unterstützten »Vergesellschaftungskommission«, um verfassungsrechtliche Angriffsflächen zu vermeiden. Diese unter dem Vorsitz der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) eingerichtete Expertenkommission, die vorwiegend mit Verfassungsrechtlern besetzt war, kam zum Leidwesen des Senats und der Immobilienlobby zum Ergebnis, dass die intendierte Vergesellschaftung von Wohnimmobilien zulässig und nicht verfassungswidrig ist.
Eckpunkte des Gesetzesentwurfs
Dem Abschlussbericht folgend sollen die betroffenen Wohnungsunternehmen, die über der Vergesellschaftungsschwelle von 3000 Wohnungen liegen und Adressat der Vergesellschaftung sind, einen Bestand von 3000 Wohnungen behalten dürfen, um eine Ungleichbehandlung mit kleineren Unternehmen zu vermeiden. Ausgenommen vom Adressatenkreis des Gesetzes sind landeseigene Gesellschaften, Genossenschaften oder Unternehmen mit religiösen und mildtätigen Zwecken.
Ein zentraler und immer höchst umstrittener Punkt ist die Höhe der geforderten Entschädigung. Hier ist Art.15 GG vage. Sie soll in »Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen sein«. Die Expertenkommission bestätigte jedoch, dass der Gesetzgeber einen weiten Ermessensspielraum hat und die Entschädigung unterhalb des Marktwerts liegen kann.
Im Gesetzentwurf wurde eine politisch kluge Lösung gefunden: Voll entschädigt werden soll anhand des Gebäudesachwerts, also was auf der Eigenleistung und auf wertsteigernden Investitionen der Eigentümer beruht, gemessen an den Baukosten der Gebäude und an ihrem baulichen Zustand.
Abzüge sollen hingegen bei der Entschädigung der Bodenwerte gemacht werden, sie soll nur nach einem Durchschnittswert erfolgen. Die Bodenwerte stellen eine »leistungslose Wertsteigerung« dar, für die die Konzerne nichts aufgewendet haben. Sie beruhen ausschließlich auf externen Faktoren wie Rendite und Spekulation. Die explodierte Bodenwertsteigerung der letzten Jahre wird somit nicht vollständig berücksichtigt, wie dies beim Verkehrswert/Marktwert der Fall wäre. Dieses Verfahren wird bereits bei der Berechnung der Erbschafts- und Schenkungssteuer angewendet.
Folgt man diesem Lösungsansatz und nicht der Orientierung am Marktwert würde sich eine Entschädigungssumme ergeben, die sich zwischen 8 und 18 Milliarden Euro und damit etwa bei 40–60 Prozent unterhalb des aktuellen Marktwerts bewegen dürfte. Die Entschädigung soll nicht cash, sondern aus den Mieteinnahmen erfolgen, die Trägerin des Gemeineigentums würde dafür verzinste Schuldverschreibungen zugunsten der Adressaten der Vergesellschaftung, also der in Frage kommenden Immobilienunternehmen, ausgeben, um den Landeshaushalt nicht zu belasten. Das Land übernimmt die Haftung für die Schuldverschreibungen. Somit werden diese auch handelbar.
Reaktionen auf den neuen Vorstoß
Reflexartig äußerte sich die Berliner CDU und lehnte den Gesetzentwurf pauschal als verfassungswidrig und populistisch ab. Der Berliner SPD-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahlen 2026, Steffen Krach, versuchte hingegen eine durchsichtige Umarmungstaktik. Er bedankte sich bei der Initiative »für das Engagement bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs« und will mit der Initiative »ins Gespräch kommen«. Kurz zuvor lehnte er jedoch in den Medien jeden Vergesellschaftungsvorstoß ab, seine Berliner Partei wolle mit dem Entwurf des in diesem Jahr vorgelegten Vergesellschaftungsrahmengesetzes (siehe oben) einen zweiten Volksentscheid eliminieren.
Ohne wenn und aber steht nur die Fraktion der Berliner Linken hinter dem Gesetzentwurf. Schon vorher hat sie die Arbeit der Initiative und deren Ziele aktiv unterstützt, ohne diese politisch zu vereinnahmen. Diese Unterstützung hatte vielfach den Charakter einer Wiedergutmachung und praktischen Selbstkritik, da die PDS in den 2000er Jahren in der Koalition mit der SPD (2002–2011) die Sparhaushalte und die Verscherbelung von landeseigenen Wohnungen mitgetragen hatte.
Aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen muss in Zukunft auch heißen, dass für Die Linke u.a. das unverzügliche Inkrafttreten des Vergesellschaftungsgesetzes zur roten Linie bei Koalitionsverhandlungen werden muss.
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