Was erwarten junge Neumitglieder von der Linken?
Gespräch mit Jonas Büttner
Sie haben sich im Wahlkampf richtig ins Zeug gelegt, haben sich eine eigene Struktur geschaffen und mit ihrem Aktivismus für viel Aufsehen gesorgt – und gewonnen. Was erhoffen sich junge Leute von der Linken?
Jonas Büttner wohnt in Kassel, ist 33 Jahre alt und aktuell beschäftigungslos. Auf dem Höhepunkt des Haustürwahlkampfs ist er der Linken beigetreten, um selbst aktiv zu werden.
Das Gespräch führte Peter Holland.
Wie kamst du zur Linkspartei? Warum bist du beigetreten?
Ich wähle schon immer links, bis auf die erste Wahl. Da habe ich die Grünen gewählt, weil meine Mutter das getan hat. Ich hatte schon öfters überlegt einzutreten, aber meine Motivation war immer verhalten. Als in den letzten Jahren die Situation immer schlimmer wurde, gerade was Migration angeht, hatte ich das Gefühl, wählen allein reicht nicht mehr. Ich war dabei, als Jan van Aken hier in Kassel gesprochen hat. Auf einmal hatte ich ein Beitrittsformular vor der Nase und dachte mir, jetzt mache ich das mal.
Hast du dich gleich in den Haustürwahlkampf gestürzt?
Ich fand’s interessant, weil ich auf einem Treffen für Neumitglieder gehört hatte, wie er geführt wird. Dass es nicht um Werbung für die Partei ging, sondern darum, auf die Leute zuzugehen, ihnen zuzuhören, dass sie im Mittelpunkt stehen. Mithilfe solcher Gespräche wurde ja das Wahlprogramm erstellt. Das fand ich super interessant. Wäre es nur eine Werbeveranstaltung gewesen, hätte mich das nicht interessiert.
Wie war das, als du das erste Mal an einer Tür geklingelt hast?
Ich war ziemlich aufgeregt. Ich hatte mit viel mehr Ablehnung, gar Feindseligkeit gerechnet. Am Anfang war ich mit Nora unterwegs, sie hat sehr viel Erfahrung. Da habe ich erstmal zugehört. Die ersten Erfahrungen waren aber sehr positiv. Die Leute waren interessiert. Und so haben sich meine Befürchtungen sehr schnell zerschlagen.
Worüber habt ihr gesprochen?
Es ging oft um die Miete und generell die Lebenshaltungskosten, das sind die größten Sorgen, auch Angst vor Krieg.
Was erwartest du jetzt von der Linken?
In der nächsten Zeit wäre wichtig, dass Projekte wie der Mietendeckel durchgesetzt werden und dass die Partei ein Gegengewicht herstellt zur Stigmatisierung von Leuten mit geringem Einkommen oder mit Migrationshintergrund. Stichwort: Antifaschistische Wirtschaftspolitik. Wir brauchen eine Perspektive, die davon wegführt, dass immer mehr Menschen in prekäre Verhältnisse rutschen und die Rechten dadurch gestärkt werden.
Was befürchtest du?
Wenn es so weitergeht, wird sich die gesellschaftliche Schere immer weiter öffnen. Das war für mich ein Beweggrund, überhaupt aktiv zu werden. Ich muss dann immer an die Studien denken, die einen Zusammenhang zwischen prekärer Lebenslage und rechter Wählerschaft herstellen. Wenn die Linke es nicht schafft, ein so starkes Gegengewicht herzustellen, dass es wirklich Veränderung gibt, haben wir in der nächsten Bundesregierung die AfD sitzen. Oder eine CDU, die endgültig nicht mehr von ihr zu unterscheiden ist.
Vor welchen Herausforderungen siehst du jetzt die Partei?
Eine Herausforderung ist, die vielen neuen Leute einzubinden, ihnen Raum zu geben und klarzumachen, dass sie selbst aktiv werden können. Ob das jetzt als Ortsbeirat, an Infoständen oder in weiteren Haustürgesprächen ist.
Neue Leute einbinden heißt auch, ihren Positionen Gehör zu verschaffen, Raum zu schaffen für differenzierte Meinungen. Und wir müssen für die Menschen sichtbar bleiben, indem wir die Haustürgespräche weiterzuführen – möglichst entkoppelt vom Wahlkampf, damit wir vermitteln: Wir sind nicht nur zu Wahlkampfzeiten an euch interessiert.
Wie kann so eine basisorientierte Arbeit aussehen?
In den Haustürgesprächen können wir den Leuten Hilfen nahebringen: Zu deinem Problem gibt es eine Sozialsprechstunde, es gibt die und die Stelle, an die du dich wenden kannst, usw. Ich kenne das aus eigener Erfahrung, teilweise wusste ich gar nichts von den Hilfen, die es gibt.
Es ist auch eine Frage der Kapazitäten. Auf die Dauer ist die Sozialsprechstunde, die die Linke anbietet, schnell überlastet. Da braucht es Leute, die sich in diesen Bereichen engagieren und Lust darauf haben.
Hilfe ist auch, mit den Leuten zusammen wohin zu gehen. Zum Beispiel wenn es heißt, ich muss zum Gericht und mir dort einen Beratungsschein holen. Aber ich habe keine Ahnung wie das geht…
Wie geht es für dich jetzt weiter?
Ganz klar mit Haustürgesprächen an der Basis. Das interessiert mich am meisten. Ambitionen auf Parlamentarismus habe ich nicht. Wichtig finde ich, dass wir die Themen nicht vergessen, die die vielen jungen Leute mitbringen, die jetzt kommen. Ich finde es superschön, dass die Linke eine so diverse Ansammlung von Menschen ist. Aber es muss auch wirklich darauf geachtet werden, dass alle ihren Platz haben, das darf man nicht aus dem Blick verlieren.
Queeren und FLINTA-Personen muss ein Raum gegeben werden, in dem sie sich wohlfühlen und sprechen können. Da braucht es auch eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit. Ich denke, da ist die Linke verhältnismäßig weit. Dass die Partei eine so diverse Ansammlung von Menschen ist, war für mich ein Punkt, wo ich gesagt habe: Das ist ein Ort, an dem ich mich wohlfühlen kann.
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