Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2025

…auf der Straße und im Parlament
von Michael Schwarz

»Wir müssen endlich rein in die Arbeiterviertel!« In kaum einer Diskussion mit älteren Genoss:innen fehlt dieser Satz. Und was hört man im Gespräch mit Jüngeren? »Wir müssen endlich der Übermacht der AfD in den sozialen Medien entgegentreten!« So oft diese Sätze gesagt wurden, so schwierig war es, eine politische Praxis daraus zu entwickeln. Mit der aktuellen Erneuerung der Linkspartei ist nun genau das möglich geworden.

Graue Hochhäuser aus Beton, wolkenverhangener Himmel, knapp über null Grad: So präsentiert sich der Kölner Stadtteil Ostheim an einem Sonntag im Winter. Corinna und Robin klingeln an der Haustür eines Wohnblocks mit mehreren Dutzend Wohnungen. Beide sind Mitte 20, tragen weiße Westen und rote Klemmbretter. »Hallo, wir sind von der Linkspartei. Wir sprechen gerade mit allen Nachbar:innen darüber, wie es hier im Veedel läuft. Könnten Sie uns reinlassen?« Dreimal müssen die beiden es versuchen, bevor die Haustür aufspringt. Dann klingeln sie an allen Wohnungstüren im ganzen Haus.
Ihr Einsatz ist Teil der »Großen Befragung«. In ganz Deutschland klingeln Aktive der Linkspartei an Haustüren, über 100.000 waren es bis zum Jahresende 2024. Sie fragen die Menschen nach ihren Problemen im Alltag, schwerpunktmäßig in wenig wohlhabenden Gegenden. Von Problemen mit Migrant:innen redet hier kaum jemand, stattdessen von hohen Mieten und allgemeiner Teuerung. Sie kristallisieren sich als die Themen heraus, die die meisten Menschen bewegen, und sollen deshalb Schwerpunkte im Wahlkampf werden.
Corinna und Robin sind am Ende ihres Tages zufrieden. Die meisten Kontakte verlaufen positiv. »Die Leute sind einfach froh, dass sie überhaupt mal jemand fragt, wie sie die Sachen sehen,« erklärt Corinna gegenüber der SoZ. Die Tagesbilanz der knapp zehn Aktivist:innen: 219 geklopfte Türen, davon 89 geöffnet, 44 gute Gespräche und 9 Wahlzusagen für Die Linke. »Das ist sicher nicht alleine wahlentscheidend, aber mehr als nichts«, sagt Robin lachend. Nebenbei wird die Aktion von einem Social-Media-Team dokumentiert, ein Video über Instagram verbreitet. Zusätzlich werden so Tausende Weitere erreicht.

Paradoxe Situation
Was passiert da gerade in der Partei Die Linke? Der größte Teil der Medien sagt fast täglich ihr Ende voraus. Trotzdem strömen junge Neumitglieder in die Nachbarschaften aus, und die Bundestagsabgeordnete Caren Lay erreicht mit ihren Rap-Performances Hunderttausende in den Sozialen Medien.
Als ein Grund für den Niedergang wird häufig die Abspaltung des Wagenknecht-Lagers zitiert. Das ist nun ein Jahr her und die Die Linke befindet sich heute in einer paradoxen Situation. In der Wählergunst scheint sie geschwächt, in bundesweiten Umfragen sackte sie um entscheidende 1–2 Prozentpunkte unter die 5-Prozent-Hürde ab. In der Hochburg Thüringen ging es von 20 Prozent in Umfragen vor der Spaltung runter auf 13 Prozent bei der Landtagswahl im vergangenen September.
Im scharfen Kontrast dazu steht die Stärkung der Strukturen. Auf den Wagenknecht-Austritt folgte eine Eintrittswelle, die das ganze Jahr hindurch anhielt, und durch das Ampel-Aus noch verstärkt wurde. Zum Jahreswechsel 2024/2025 zählt die Linkspartei 58.000 Mitglieder, 16 Prozent mehr als 2023. Der Altersdurchschnitt ist von 55 auf 51 Jahre gesunken, womit er nur noch knapp über dem der Grünen liegt.
Am wichtigsten: Viele Neumitglieder sind tatsächlich aktiv. Die »Aktive Linke«, die an den Wohnungstüren geklingelt hat, ist eine Untergruppe des Kölner Kreisverbands. Sie steht neben den »offiziellen« Strukturen und Ortsverbänden, um weniger bürokratisch und damit attraktiver für Neue zu sein. »Der November war richtig krass.« berichtet Corinna. »In jedem Treffen hatten wir mindestens zehn Leute sitzen, die vorher noch nie da waren und gesagt haben: ›Wir sind neu eingetreten – was können wir jetzt tun?‹« Nicht nur in den Großstädten gibt es diese Dynamik: Die »Aktive Linke« versucht den Schwung in die Haustür-Offensive bundesweit. Der Kreisverband Niederbayern-West zum Beispiel berichtet von einer Verdoppelung seiner Mitgliederzahlen.

Alle Linken sind gefragt
Trotzdem – die Krise der Partei ist existenziell: In Brandenburg ging im September zum ersten Mal in einem ostdeutschen Landtag die Fraktion verloren.
Warum sollte uns das als Linksradikale, Kommunist:innen und Sozialist:innen interessieren? Die Linke ist schließlich keineswegs eine geschlossen antikapitalistische Partei, auch wenn ihre Ausrichtung auf den Sozialismus durch die neuen Parteivorsitzenden, Ines Schwerdtner und Jan van Aken, immer wieder betont wird. Mit vielen Mitgliedern – neuen wie alten – haben wir sicher Widersprüche, sowohl inhaltlich als auch in unserer politischen Kultur.
Aber was bedeutet das in einer Zeit, in der wir gesellschaftlich gesehen auf dem Rückzug sind und der Rechtsruck voran schreitet? In einer Phase, in der sich linke Ideen in der Gesellschaft verbreiten, würden wir vielleicht neue Organisationen gründen, um radikalere Inhalte zu setzen. In der aktuellen Situation ist es aber wichtig, sich mit allen anderen Linken zu sammeln und wichtige Strukturen zu erhalten.
Die Linkspartei gehört ohne Zweifel dazu: Eine fundierte Kritik der Regierung ist kaum möglich ohne die Informationen, die parlamentarische Anfragen im Bundestag ergeben – dabei müssen die Ministerien zu kritischen Fragen der Opposition Stellung nehmen und auch recherchieren. Die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung (die nur bei Existenz einer Bundestagsfraktion staatliche Gelder erhält) finanziert wissenschaftliche Recherchen und Bildungsveranstaltungen der gesamten Bewegung. Und die Büros von Linkspartei-Abgeordneten werden in vielen Städten als regelmäßige Treffpunkte für linke Gruppen genutzt, wie etwa in Erfurt, Kassel oder Leipzig.

Eine Krise und eine Chance
In dieser Krise liegt auch eine Chance: Die Erneuerung der Partei bringt für die gesamte linke Bewegung neue Möglichkeiten. Das Wagenknecht-Lager vertrat Positionen, die mit unseren politischen Grundsätzen unvereinbar sind, z.B. eine menschenfeindliche Migrationspolitik oder die Diskriminierung von Trans-personen. Diese Grabenkämpfe entfallen nun. Das Wahlprogramm gibt uns die Möglichkeit, wichtige linke Forderungen in der breiten Öffentlichkeit zu platzieren, vom Mietendeckel bis zur Vermögensteuer. Die Partei hat sich verjüngt und ist näher an die außerparlamentarische Linke herangerückt, wie sich etwa an der Kandidatur der Sea-Watch-Aktivistin Lea Reisner im Wahlkreis Köln II zeigt. Wir haben nun die Chance, eine Bewegung zu werden, die auf den Straßen, in den Häusern und im Parlament verankert ist.
Corinna und Robin sitzen wenige Tage nach der Aktion in Ostheim wieder beim wöchentlichen Treffen der »Aktiven Linken«, und erklären mehreren Neumitgliedern die Strategie für den Wahlkampf in Köln. Nachdem im Herbst vor allem Ost­heim und Chorweiler im Fokus standen, sollen die Haustürgespräche jetzt auf viele weitere Viertel ausgeweitet werden. Mindestens zweimal die Woche soll es losgehen, bis zur Wahl am 23.Februar. Und nebenbei müssen auch noch ganz klassisch Plakate aufgehängt werden.
Corinna und Robin wollen den Leser:innen der SoZ noch unbedingt etwas mitgeben: »Kommt zur Aktiven Linken, wenn ihr in Köln lebt. Und fragt sonst euren lokalen Ortsverband, wie ihr ihn unterstützen könnt. Wir brauchen jede Hand, bis zur Wahl und auch danach!«

Der Autor kommt aus der Klimagerechtigkeitsbewegung, hat lange im Hambi gelebt und sich gegen die Zerstörung von Lützerath gewehrt. Er schreibt seit 2020 für die SoZ und ist Anfang 2024 der Linken in Köln beigetreten.

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